10 Sätze über das sinkende Schiff

Viel Zeit habe ich in den letzten Tagen damit verbracht, Fotos des auf Grund gelaufenen Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia anzustarren, schamhaft angesichts dessen, was ich dabei empfinde.

Costa Concordia
CC darkroom productions/ Flickr

Die Havarie hat elf Menschen das Leben gekostet, weitere einundzwanzig werden augenblicklich noch vermisst. Fast zweieinhalbtausend Tonnen Schweröle im Rumpf des Schiffes drohen auszulaufen und eines der letzten europäischen Walschutzgebiete zu zerstören. Die vierhundertfünfzig Millionen Euro, die da mit fünfundsechzig Grad Schlagseite im Wasser liegen, sehen ihrer Verschrottung entgegen.

Trotzdem sprüht das Bild des gekenterten Riesenkreuzers in meinen Augen vor Poesie, ist eine Metapher unserer Zeit, ein Icon unserer Hybris, ein Mahnmal.

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10 Sätze zum Wert von Kiwis

Um unser Begrüßungsgeld abzuholen, waren wir wie Sardinen in eine Dose in ein enges Zugabteil gequetscht nach Hof gefahren. In der Gemüseabteilung eines dortigen Supermarktes machte ich eine faszinierende Entdeckung: “Guck mal Mama. hier gibt es Kartoffeln mit Haaren!” Obwohl auch meine Mutter noch nie zuvor in ihrem Leben eine Kiwi gesehen hatte, erklärte sie mir gespielt fachkundig verstohlen das kleine Etikett lesend, dass ich offensichtlich falsch lag. Dann nahm sie mich an die Hand und wir verließen schnellen Schrittes die Frischeabteilung, in der sich einige Kunden köstlich über meinen Ausruf amüsierten. Da ich die seltsame Frucht an der Kasse noch immer in der Hand hielt, hat meine Mutter sie mir gekauft und ich habe sie den ganzen Tag in meiner Jackentasche mit mir herum getragen, um wann immer Zeit war das süßlich-exotische Aroma zu inhalieren, das sie verströmte.

Am Abend – wir waren gegen elf völlig erschöpft wieder zuhause angekommen – holte ich sie hervor und bat meine Mutter, sie mit chirurgischer Genauigkeit in vier gleich große Teile zu zerschneiden, damit jeder etwas davon habe. Andächtig und in völliger Stille saßen wir am Esstisch und löffelten langsam das grüne Fleisch, bevor wir – kaum war das letzte Fitzelchen genossen – wild durcheinander plappernd versuchten, unseren Geschmackseindrücken Ausdruck zu verleihen. In der festen Überzeugung, nie wieder in meinem Leben nach Hof zu kommen, versuchte ich, aus den winzigen schwarzen Kernen kleine Kiwipflanzen zu ziehen – vergeblich.

Heute habe ich eine Sechserpackung Kiwis weggeworfen. Die war letze Woche sehr günstig im Angebot und ich dachte, vielleicht würde ich Appetit auf Kiwis bekommen, bevor sie allesamt verschimmelt wären.

Butler auf dem CSD: Politisch ist anders!

Dass der Berliner Mainstream-CSD schon seit einigen Jahren keine politische Veranstaltung mehr ist, kann niemandem entgangen sein. Zu Abba-Hits im schrägen Elektro-Megamix wackeln sich Boys und Bären, Butches und Femmes in knappen Karnevalskostümen durch die halbe Stadt zur Siegessäule (und dieses Jahr weiter zum Brandenburger Tor), den neuesten Alkopop in der einen und die heiß gelaufene Digicam in der anderen Hand. Grundsätzlich wäre gegen eine halbnackt gefeierte, sommerliche Open-Air-Disko ja auch überhaupt nichts einzuwenden, würde sie nicht an die gefährlichen Demonstrationen von Schwulen und Lesben gegen die gewaltsamen Razzien in Homoclubs im New York der 60er Jahe erinnern und davon ausgehend für die Rechte Homosexueller in unserer Gesellschaft eintreten wollen.
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Pro Elektronikzölibat

Noch bis übermorgen präsentieren die strahlenden Heiligen unserer modernen Elektronik-Religion die neuesten Götzen auf dem Hightech-Kirchentag CES, der Consumer Electronics-Show in Las Vegas. Und während die einschlägigen Blogs  im 10-Minuten-Takt neue Gadget-Evangelien liefern, bei deren Lektüre mir der Sabber aus dem Mund läuft, kam mir heute eine Greenpeace-Pressemitteilung unter die Augen die mir den ganzen Spaß verdorben hat. Als hätte einer das Fenster meiner WLAN-Weihrauch-geschwängerten Kemenate aufgerissen, damit die frostig-frische Luft meine Sinne wieder klärt. Hat funktioniert.

Es geht um den Greenpeace Guide to Greener Electronics, den die Umweltschützer vierteljährlich aktualisieren, um dem verführten Konsumenten einen kleinen ökologischen Reiseführer für seine nächste Tour durch den Mediamarkt an die Hand zu geben, dessen Empfehlungen sich danach richten, wie stark sich die einzelnen Firmen für den Umweltschutz engagieren, ob sie die Verwendung giftiger Substanzen vermeiden und wie energieeffizient sie produzieren. Diesmal sieht er so aus:

Wer jetzt “Oberflächlicher Bunte-Bildchen-Populismus!” rufen will halte ein. Freilich liefert Greenpeace detailliertere Angaben darüber, wie es zu den einzelnen Bewertungen gekommen ist, und gibt auch bekannt wer die größten Gewinner und Verlier der Öko-Hitparade sind.

Auf der CES selbst wird das Thema weitestgehend vermieden. Obwohl auch hier das eine oder andere grün-angemalte Elektronikspielzeug präsentiert wird, bleibt die Suche nach dem solarbetriebenen Killerrechner erfolglos. Kein Wunder.

Denn selbst wenn Sony-Ericsson, Samsung oder LG mit vermeintlichen Ökohandys um die Gunst der Öko-Aktivisten buhlen, haben diese freilich längst kapiert, dass es am besten für die Umwelt ist sich gar kein neues Handy zu kaufen. (Zumal das alte trotz grober Misshandlung einfach nicht kaputt gehen will, sowie bei mir.)

Denn auch das grünste Handy ist eines Tages Elektroschrott, und nur selten liegt dieser Tag länger als zwei Jahre in der Zukunft. Elektroschrott könnte man freilich umweltschonend recyceln. Billiger aber ist es, ihn in Länder der immer noch so genannten Dritten Welt zu verschiffen, zum Beispiel nach Ghana. Die Geräte die noch funktionieren werden verkauft, der Rest auf Deponien unter freiem Himmel geschmissen, wo – gar nichts mit ihm passiert, so dass die in vielen Geräten enthaltenen Schwermetalle und Gifte nach und nach ausgewaschen werden und den Boden dauerhaft verseuchen.

Wenn Elektronikmärkte die Kirchen von heute sind, dann bin ich für Katholizismus. Der predigt ja Enthaltsamkeit für alle seine Priester. Nicht, dass ich jemals ernsthaft ans Zölibat geglaubt hätte. Es ist das Wesen von Idealen, unerreichbar zu sein. Hauptsache, die Richtung stimmt.

Warum der gescheiterte Klimagipfel auch ein erfolg ist

Der Klimagipfel in Kopenhagen hat es sehr deutlich veranschaulicht: Nicht die Politiker können den Klimawandel begrenzen sondern – wenn überhaupt – nur die Menschen. Von ihnen aber jeder Einzelne.

Das Kompromiss-Papier, auf dessen Unterzeichnung sich einige wenige Teilnehmerländer einigten, ist nicht mehr als ein Feigenblatt zur Kaschierung offensichtlich unvereinbarer Interessenskonflikte. Es schreibt lediglich fest, dass versucht werden soll, die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert  im Rahmen von maximal 2°C zu halten. Wer dieses Ziel durch welche Maßnahmen erreichen soll, steht da nicht.

Was ich an der medialen Rezeption dieses Scheiterns sehr verblüffend finde, sind die wüsten Beschimpfungen der sogenannten politischen Klasse, die vornehmlich von deren eigenen Mitgliedern erledigt wird. Grünen-Chefin Claudia Roth beispielsweise posaunte gestern die Parole vom “Gipfel der Verantwortungslosigkeit und der Zukunfts-Blindheit” in jedes Mikrofon, dass ihr zu nahe kam: “Es ist eine Tragödie politischen Versagens, so etwas habe ich noch nicht erlebt.”

Unbestritten ist es eine Katastrophe, das der Gipfel gescheitert ist. Gerade die Regierungen von Schwellenländern wie Indien oder China müssen die Zügel in die Hand nehmen um die Emissionen ihrer Länder so gering wie möglich zu halten. Für uns aber, die wir in einem der reichsten westlichen Industrieländer über die nötige Zeit und die nötigen Ressourcen verfügen diesen Blog-Eintrag zu lesen, hätte auch ein durchschlagender Erfolg nichts an der Faktenlage geändert.

Hierzulande kann jedes Schulkind im Schlaf daher beten, was getan werden muss, um zu retten was zu retten ist. Man traut sich gar nicht mehr über Autos, alternative Energien oder das Sparen derselben zu schreiben, aus Angst, die Menschen zu langweilen. Ein erfolgreicher Gipfel hätte uns nichts gelehrt, war wir nicht schon heute wissen – oder wissen könnten. Der gescheiterte Gipfel aber hat das Potential, uns endlich begreifbar zu machen, dass es in der Hand jedes Einzelnen liegt, durch die Veränderung seines Verhaltens zum Klimaschutz beizutragen.

Das kostet was, das strengt an und wahrscheinlich bedeutet es Verzicht auf Liebgewonnenes. Wem das aber zu viel ist, dem sei die Kritik an Politikern versagt. Ganz offensichtlich braucht er sie, damit sie ihm mit Ge- oder Verboten helfen, seine eigene Verantwortung zu tragen.

Auszuräuchern: News-Parasiten im Web-Kommunismus

Auf dem gerade zu Ende gegangenem Monaco Media Forum wurde allerlei spekuliert über die Zukunft des Journalismus, die – glaubt man dem Gezeter der meisten Verantwortlichen – wohl vor allem davon abhängen wird, wer künftig für Nachrichten bezahlt.

Augenblicklich stehen sich zwei Modelle gegenüber: Nach dem traditionellen Modell bezahlen die Nutzer für den Zugang zu Nachrichten, in dem Sie beispielsweise eine Zeitung am Kiosk bezahlen, oder brav ihre GEZ-Gebühren überweisen, bevor sie die Tagesschau einschalten. Dem gegenüber steht ein neues Modell, nachdem Inhalte durch Werbung finanziert sind. Zugegeben, so neu ist das nun auch wieder nicht, wie ein Blick in eine Zeitung Ihrer Wahl beweisen kann. Neu ist nicht einmal, Inhalte ausschließlich über Werbung zu finanzieren. Das belegt Ihnen die deutsche Privatfernsehlandschaft lautstark, und vielleicht sogar noch etwas eindrucksvoller Google.

Neu ist auch nicht das Internet, in dem wir uns daran gewöhnt haben, das jede Art von Information kostenlos bereit steht. Das einzige Neue an der ganzen Diskussion ist, dass einige einflussreiche Leute der Medienbranche der Meinung sind, hier müsse dringend etwas geändert werden.

Allen voran Rupert Murdoch, bei dem man angesichts seiner gigantischen global agierenden Medienfabrik News Corp, die neben “The New York Times” und “Fox News” auch das soziale Netzwerk “MySpace” herstellt, beim besten Willen nicht um den Gebrauch des Unwortes Medienmogul herumkommt. Weil seine Fabrik im letzten Jahr fast 3,4 Milliarden Dollar Verlust gemacht hat  steht er nun freilich unter Zugzwang. Seiner Meinung nach ist es die Kostenlos-Mentalität im Internet, die seiner Firma so zu schaffen macht. Allen voran kritisiert er Google aber auch all die anderen “Kleptomanen und Parasiten”, die – im Volksmund auch Blogger genannt – alles Aufsammeln und Remixen und zu ihrem machen. Damit sei jetzt Schluss, konstatiert Murdoch. Das Herstellen von Nachrichten sei schließlich teuer: Auslandskorrespondenten, Fotografen, Experten, Redakteure, Layouter, Drucker Fahrer und Verkäufer wollen schließlich ebenso bezahlt werden wie Programmierer und Administratoren. Das zu leisten sei der weltweite Werbemarkt einfach nicht groß genug. Bei Murdochs Wall Street Journal gibt es deshalb nur noch den ersten Absatz eines jeden Artikels gratis, der Rest bleibt angemeldeten – zahlenden – Nutzern vorbehalten.

Murdochs deutscher Kollege Mathias Döpfner, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG ist offenbar beeindruckt von dessen klaren Worten, selbst aber nicht ganz so mutig. Er traut sich zwar vorerst noch nicht, ganze Zeitungsportale mit einem Eingabefeld für die Kreditkartennummer abzuzäunen, wohl aber deren mobile Ableger. Die BZ, Die Welt und die Bild wird gibt es auf dem iPhone in einigen Wochen nur noch über eine eigens dafür programmierte App, bei der nicht nur Anschaffungskosten sondern auch monatliche Gebühren anfallen sollen. “Die kostenpflichtige App wird bald die einzige Möglichkeit sein, die Medienmarken aus dem Hause Springer auf dem iPhone zu nutzen.” Auch für die Angebote im normalen Internet sollen die Nutzer bald löhnen.

Allerdings sieht Döpfner selber ein, dass es ihm nicht gelingen wird, die Medienkonsumenten – also Sie! – umzuerziehen. “Konsumenten sollen nicht umerzogen werden sondern verführt.”, sagte Döpfner am Donnerstag im Rahmen einer Podiumsdiskussion die sich, wer ausreichend Erdnussflips zur Hand hat hier in voller Länge ansehen kann:

 

Die Verführung sei gar nicht so schwer. Menschenkenner Döpfner analysierte nämlich messerscharf, dass es genau sechs Dinge gäbe, für die sich der gemeine Konsument interessiert. Dies seien:

  • Sex
  • Verbrechen
  • Sport
  • Spiele
  • das persönliche lokale Umfeld
  • Geld und macht
  • und das Wetter

Wesentlich wären aber nur die ersten beiden: Sex and Crime. Und für Intellektuelle eben Eros und Thanatos. Für Informationen zu diesen beiden zahlen die Menschen seit Griechenland. Er sehe keinen Grund, warum sich das im digitalen Zeitalter ändern sollte. Liebe und Hass müssten lediglich hübsch verpackt und exklusiv aufbereitet werden und dann würde der Rubel schon ins Rollen kommen. Glaubt Döpfner.

Grundsätzlich sei er aber auch ein großer Fan von nutzergenerierten Inhalten. So sei es beispielsweise ja die Bildzeitung gewesen, die durch das Abdrucken von Presseausweisen zum Selbstausschneiden den  Nebenberuf des Leser-Reporters etabliert habe und deren “großartiges Material”  nun regelmäßig gegen Bezahlung veröffentlichte. Die pseudo-investigativen Amateur-Paparazzi mit engagierten Bloggern in einen Topf zu schmeißen, die sich wie Pitbulls in Geschichten verbeißen, die nicht immer Sensationen sein müssen ist zwar gewagt, passt aber zum Rest von Döpfners Ausführungen:

"Es ist einfach falsch zu denken, im Web müsse alles kostenlos sein. Die Theorie, dass es einen freien Zugang zu Informationen geben soll, gehört zum Absurdesten, was ich jemals gehört habe. […] Dies ist ein spätes ideologisches Ergebnis von Webkommunisten: Nur wenn alles kostenlos ist, ist es demokratisch." (Golem)

Döpfners Ausführungen gipfelten in einem Vergleich mit bestechender Logik: Bier im Supermarkt sei schließlich auch nicht gratis. Wie er auf diese Metapher kam, erklärte er nicht, wohl aber, was er damit meine: Wenn im Internet die Zukunft der Informationsverbreitung läge, wovon er ausginge, dann muss es auch dort Qualität geben. Diese aber sei nur möglich, wenn jemand bereit sei in die Herstellung dieser Qualität auch Geld zu investieren. Diese Bereitschaft wiederum setze die Aussicht auf Rendite voraus. Informationsportale im Netz brauchen demnach ein klares Geschäftsmodell das sicherstellt, dass sich diese Informationen auch auszahlen. Ohne diesen Geschäftsmodell würde nicht nur die journalistische Qualität sinken, sondern sich der Medienmarkt insgesamt erheblich verkleinern, was wiederum zulasten der Vielfalt ginge. Diese Theorie lässt sich durchaus bereits mit Fakten belegen: In Amerika ist bereits vom großen Zeitgungssterben die Rede und auch in Europa stellen die ersten Blätter ihr Erscheinen ein. Die Publikationen die bleiben müssen sparen wo es nur geht, und dies leider viel zu oft zuerst bei den Auslandskorrespondenten, auch hierzulande.

Die Herstellung von Nachrichten ist teuer. Und Döpfner hat wohl recht, wenn er warnt, dass Blogger und Suchmaschinen nichts zu verwerten, zu verbreiten oder zu remixen hätten, wenn niemand mehr qualitativ hochwertigen Content einstellt. Allerdings vergisst er, dass eben dieser Content, und zwar durchaus auch hochwertiger auch von Bloggern bereitgestellt werden kann. Dies hat sich nicht zum ersten Mal beim Aufstand im Iran vor einigen Monaten gezeigt. Das herrschende Regime konnte westliche Reporter zwar des Landes verweisen, und deren Berichterstattung so erheblich erschweren, es hatte aber vergessen, dass das Internet auch vor seinen Landesgrenzen nicht halt gemacht hat. Die Aufständigen organisierten sich über Facebook, Twitter & Co. und im Zuge der Berichterstattung schafften es YouTube-Videos von Amateuren sogar bis in die Tagesschau.

Spätestens hier zeigt sich, dass Blogger den traditionellen Journalismus erheblich bereichern können. Sie können ihn nicht ersetzen – nutzergenerierter Content muss redaktionell geprüft, editiert und aufbereitet werden. Aber das was Regierungen und Medienkonzernen der Öffentlichkeit als Wahrheit verkaufen, bedarf gelegentlich dringend einer Revision. Das kann man gerade am Beispiel von Murdochs Sender Fox News sehr schön nachvollziehen.

Obendrein sorgen Blogger und Suchmaschinen für einen erheblichen Besucherzuwachs auf einschlägigen Nachrichtenseiten, in dem sie Beiträge andere in ihrem Angebot verlinken. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Werbeeinnahmen der Inhaltsanbieter aus.

Auch das kann ein Geschäftsmodell sein. In den USA sorgt derzeit eine Plattform namens Huffington Post für Aufsehen. Hierbei handelt es sich nicht, wie der Name vermuten lassen könnte um eine weitere gedruckte Tageszeitung sondern vielmehr um einen Zusammenschluss von ca.. 2.000 Bloggern, die über alles mögliche, was ihnen bemerkenswert erscheint schreiben. Wohlgemerkt unentgeltlich. Das Portal hat im letzen Jahr seine Reichweite vervierfacht und glänzt mit 8,1 Mio. Seitenaufrufen monatlich. Dieser Erfolg ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass den Bloggern regelmäßig Exklusivmeldungen gelingen, nach denen sich traditionelle Medien alle zehn Finger lecken.Von den Werbeeinnahmen können 80 Angestellte bezahlt werden. Laut Mitbegründerin Arianna Huffington gingen mittlerweile mehrere Hundert E-Mails täglich ein, in denen Inhaltsanbieter darum bitten, dass auch ihre Beiträge in der “HuffPo” besprochen würden.

Klar ist trotzdem: Die Einnahmen reichen nicht dafür aus auch die Blogger für ihre durchaus respektable Arbeit zu entlohnen. Im Gegenteil, auch Online-Community Projekte renommierter Zeitungen seien teuer und würden letztlich hauptsächlich aus den Verkaufseinnahmen der Papierexemplare finanziert. Brechen deren Absatzzahlen jedoch ein müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden. Darüber wird auch im von mir wärmstens empfohlenen Crossover-Projekt der Freitag eifrig diskutiert.  Freitag Verleger Jakob Augstein äußerte sich unlängst auch in der 3sat Kulturzeit zum Thema paid content, und wurde dafür von seiner eigenen Community heftig kritisiert. Diese nämlich fühlte sich für ihren Beitrag zum Reiz des gesamten Projektes zurecht nicht wertgeschätzt.

Lauscht man Arianna Huffington klingt die Lösung des Problems einfach.

Ambiguity is the new exclusivity.

Wer für die durch ihn zur Verfügung gestellten Inhalte bezahlt werden wolle, solle sich vor allem darum kümmern diese an so vielen Orten im Netz wie möglich verfügbar zu machen und vor allem auf die Finanzierung durch Werbung zu setzen.

Döpfners Prognose, dass es in 10 Jahren von der Grundversorgung mit Nachrichten abgesehen nur noch kostenpflichtige Inhalte geben werde, wies sie humorvoll aber energisch zurück.

Solange Sie keine bizarre Pornografie anbieten oder sehr spezifische Information für Anleger, werden sie keinen Erfolg damit haben Ihre Inhalte einzumauern. […]

und weiter:

I am sorry to say, that even though you are incredibly convincing, you will be proven incredibly wrong.

Hoffentlich behält sie recht.

Aufgewischt: Meine persönliche Datenlache

Ich habe in der letzten Zeit viel über Überwachung und Datenschutz geschrieben. Und freilich noch viel mehr darüber gelesen. Dabei habe ich zweifellos mehr über die Tricks und Kniffe der Online-Datenkraken gelernt, als mir lieb sein kann. Wie sich daran zeigte, dass diesem Wissen in der letzten Nach ein Großteil meines Schlafes zum Opfer fiel.

Wie durch ein undichtes Dach plätscherte Tropfen für Tropfen die Gewissheit in mein Gemüt, dass ich bisher mit meinen persönlichen Daten überaus salopp umgegangen war. Eigentlich könnte man es auch dämlich nennen: Im Internet hatte ich seit Jahren jedes Formular bereitwillig ausgefüllt, jedes Social Network ausprobiert, in jedem Forum über das ich stolperte arglos unter echtem Namen gepostet, rezensiert, kommentiert, schwadroniert. Herrje! 

Mir fiel ein Dienst nach dem anderen ein, bei dem ich mich irgendwann mal registriert hatte. Und dann erinnerte ich mich an die vielen Artikel darüber, dass das Internet nicht vergisst, dass man das Internet nicht löschen kann, weil es überall Kopien davon gibt, dass sich das Internet zum wahren Karriere-Killer entpuppen kann, wenn man nicht aufpasst, und dass es mitterweile ausgefeilte Personensuchmaschinen gibt, die die bunt verteilten Informationsschnipselchen aus jeder noch so abgelegenen Dreckecke des Internets herausklamüsern, um sie flinkflink zu einem hübschen wohlsortierten Personenprofil aufzubereiten. Mit Telefonnummer und Passfoto. Wenn man dumm genug war. (War ich zum Glück nicht, wie ich erst am nächsten Morgen erfuhr.)

Tropfen für Tropfen hatte sich eine unangenehm große, unangenehm kalte Datenlache gebildet, die mich aus dem Bett trieb. Ich fing an eine Liste zu schreiben mit allen Seiten auf denen ich wissentlich Daten hinterlassen hatte. Also mit allen, die mir nach 15 Jahren Internetnutzung noch einfielen. Unter die achtundvierzigste zog ich einen Strich, der Bleistiftspitze brechen ließ. 48 – das waren alle, die mir einfielen. Google konnte sich auch an keine weitern erinnern. Bing auch nicht, auch nicht Yahoo. 123people oder Yasni habe ich mich nicht getraut zu fragen. Dafür war es zu früh. So gegen halb zwei.

Während der Rechner hochfuhr, machte ich mir einen Tee. Dann arbeitete ich die Liste ab. Auf jeder Seite warf ich meine Angel aus und siehe da: in meiner Datenlache gab es Fische! Dicke sogar! Amazon gab beispielsweise jedem bereitwillig Auskunft darüber, welche Bücher ich mir in der letzten Zeit zugelegt hatte, wie sie mir gefallen hatten, und welche ich mir noch wünschte. Bei Facebook war öffentlich nachvollziehbar, mit wem ich befreundet und mit wem ich verlobt bin. Last.fm versorgte jeden, der wollte (und der ein last.fm Konto hatte) mit meinen persönlichen Hitlisten. Flickr gab Einblicke in mein Wohnzimmer (Gott sei Dank nur mein altes!) und studiVZ in die Ereignisse der letzten Betriebsfeier. Tricks und Kniffe, oder gar Spionage war für keine dieser Angaben nötig. Mein egomanes Sendungsbedürfnis und das meiner Freunde reichte dafür völlig.

Das alles war ja auch keine Katastrophe. Auf keinem der Fotos im Internet war ich so betrunken, dass man es mir angesehen hätte. Und von mir aus kann die ganze Welt wissen, dass ich ab und an zu den alten Hits der Münchner Freiheit abgehe. Muss aber nicht.

Ich habe also gelöscht, abgemeldet, entfernt, unsubscribed was die Nacht hergab und zum Abstreichen der Liste noch zweimal meinen Bleistift angespitzt. Das hat regelrecht Spaß gemacht. Auch, weil mir der Frust des vergessenen Passwortes erspart blieb: In den letzten fünf Jahren habe ich ganz offensichtlich immer und überall das gleiche Passwort verwendet. Das ist war einfach und praktisch und in dieser Nacht war ich überaus dankbar dafür. Auch, weil mich der wohlige Grusel darüber, was dieses Passwort in den falschen Händen hätte anrichten können, wie ein doppelter Espresso wach hielt.

Gegen fünf Uhr war meine Liste auf 21 Dienste zusammengeschmolzen. Das waren wirklich nur die allernötigsten, aber nachprüfbar immer noch zu viele: Wie um Himmels Willen soll ich mir 21 unterschiedliche sichere Passwörter merken?

Mit einem Trick! Mit welchem? Ich bin doch nicht wahnsinnig!

PS: Meine Nachtschicht hat sich vielleicht schon bezahlt gemacht:  Yasni und 123people halten sich brav zurück.

Lichtfest

Genau 20 Jahre nach der entscheidenden, größten Montagsdemonstration, die dem DDR-Regime lehrte, dass es nicht länger gegen sein Volk regieren könne, gingen die Leipziger wieder auf die Straße. 100.000 von Ihnen. Nur weiß man diesmal leider nicht genau warum.

Unbestritten ist der Mut, den die Leipziger vor 20 Jahren aufbrachten bewundernswert. Denn entgegen der historischen Verklärung, die sich wie über alle bedeutsamen geschichtlichen Ereignisse freilich auch über dieses legt, war Demonstrieren gefährlich. Keiner der Demonstranten wusste nämlich, was wir heute wissen: Dass die enorme Zahl der Demonstranten ein Eingreifen der in Stellung gebrachten Hundertschaften, der in Seitenstraßen wartenden Panzer und der mit Stahlmessern bestückten Schneepflüge zu einer Kriegserklärung gegen das eigene Volk erhoben hätte. Dass keiner der Demonstranten einen Stein werfen würde, der leicht eine unbeherrschbare Lawine hätte auslösen können sondern das Gebot der Friedlichkeit der bedrohlichen Stimmung tatsächlich standhält. Und auch, dass die Forderungen der Demonstranten nicht etwa niedergeschlagen sondern bereits in wenigen Wochen überfüllt sein würden.

Schließlich hatte der sozialistische Bruder China nur einige Monate vorher ständig wachsende Demonstrationen von Studenten für Demokratie auf Platz des himmlischen Friedens in Bejing blutig und rigoros niedergeschlagen. Die damalige Regierung der DDR hatte sich öffentlich hinter diese brachiale Präsentation staatlicher Macht gestellt.

Die Leipziger konnten nicht wissen, dass sie gerade den Begriff “friedliche Revolution” prägten und dass man in 20 Jahren ernsthaft darüber nachdenken würde, ihrer Stadt den Untertitel Heldenstadt zu verpassen.

Aus dieser perspektive sind die Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Revolution wichtig und gut. Auch weil sie uns daran erinnern können, dass unsere alltägliche Freiheit alles andere als selbstverständlich ist. Tatsächlich ist es inmitten Demonstration am Freitag gelungen, ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Macht Menschen ausstrahlen können, wenn Sie sich zusammenschließen und welches Potential frei wird, wenn sie sich erheben.  Das schlichte Mitlaufen in diesem Strom am Freitag reichte schon für tiefe Ergriffenheit und Gänsehaut.

Je weiter das Lichtfest jedoch in die Vergangenheit rückt, desto deutlicher legt sich ein dichter Schleier des Zweifels über diese Kraft: Wofür demonstrieren wir eigentlich? Was machen wir eigentlich mit der gewonnen Freiheit? Sind wir jetzt glücklicher? Geht es uns besser?

Die künstlerischen Arbeiten, die die Strecke des schon historisch gewordenen Demonstrationszuges am Freitag säumten, erregten viel Aufmerksamkeit. Erschließen konnte man sich nur die wenigsten von Ihnen ohne vorherige Lektüre. Ein dröhnende Basswellen verströmender, blau angeleuchteter Hauptbahnhof sagt nicht viel, außer, dass er viel sagen könnte. Ein Werbedisplay mit hektisch wechselnden Zahlenkolonnen wirft Fragen auf, beantwortet aber keine. Und farbige Lichsäulen die sich Hochhausfassaden hinunterstürzen sehen toll aus – schweigen aber.

Natürlich gab es auch zahlreiche Arbeiten, die sich sehr direkt mit den Protesten 1989 auseinandersetzten, die teils originale Bild- und Tonquellen verwendeten oder die Zeitzeugen zu Wort kommen ließen. Jene Arbeiten, die das aber eben nicht taten, die also nicht ausschließlich erinnern wollten, offenbarten vor allem eines: Niemand weiß genau wofür wir eigentlich heute kämpfen. Oder ob.

Die LVZ hatte an mehreren Stellen Videowände aufgestellt, auf die Demonstranten mit ihren Mobiltelefonen Nachrichten schicken konnten. Eine andere Videoarbeit gab einfach nur ein Livebild der gerade stattfindenden Demonstration wieder. Überall schossen Digitalkameras blitzend Bilder. Überall filmten winzige Handykameras das Geschehen.  Die Demonstration dokumentierte sich selbst. Warum? Die Demonstranten versicherten sich gegenseitig ihrer Ergriffenheit. Wovon? Und feierten Ihre Freiheit. Ihre Freiheit wozu?

Gelegentlich lief man durch eine Wolke Glühweindampf oder Bratwurstrauch. Und spätestens dann war es mit Händen zu greifen: Wir sind satt und träge geworden. Und an diesem Abend waren wir besoffen von der eigenen Courage. Noch immer mögen wir den starken Auftritt und das große Gefühl. Im Kino zum Beispiel.  Aber weil demonstrieren heute nicht mehr gefährlich ist haben wir uns Kletterhallen gebaut. Wenn wir uns nach Dingen sehnen kaufen wir sie uns einfach.  Und wenn wir frei sein wollen fahren wir in den Urlaub.

Ich bastel’ mir einen Atomausstieg

Der immer noch um eifrige Unterzeichner werbende offene Brief von campact beginnt mit den Worten:

CDU, CSU und FDP haben die Bundestagswahl nicht wegen, sondern trotz ihrer Position zur Atomenergie gewonnen. Nach allen aktuellen Umfragen lehnt eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger/innen Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke ab.

und schummelt ein bisschen. Denn so wahnsinnig deutlich ist diese Mehrheit in Wirklichkeit beileibe nicht : Stattliche 57 Prozent der Teilnehmer einer Onlineumfrage auf den Seiten des Umweltministeriums sprachen sich ausdrücklich für eine Rücknahme des Atomausstieges aus. Glücklicherweise war diese nicht representativ. Im Gegensatz zu einer von  Infratest dimap vorgelegten Studie, die belegt, dass nur eine hauchdünne Mehrheit der Deutschen am Automausstieg festhalten will. Mit der anderen Hälfte würde ich mich gern mal unterhalten.

Im Grunde ist es müßig, sich jetzt noch mit solchen Studien aufzuhalten: Der Wähler hat entschieden und wird erst in vier Jahren wieder gefragt. Wenn er zwischendurch Gesicht zeigen oder ein Zeichen setzen will, kann er eine Petition unterschreiben oder ein Transparent malen. Mit etwas Glück wirft Dieter H. Marx, Geschäftsführder des Deutschen Atomforums eine Blick darauf, aus dem Fenster des Verhandlungszimmers in dem er mit Frau Merkel und Herrn Westerwelle die Einzelheiten der Laufzeitverlängerung bespricht. Vielleicht hat er einen melancholischen Moment.

Der Wähler hat aber durchaus noch Trumpf im Ärmel: Sehr gern tritt er nämlich in Personalunion mit einem Konsumenten auf. Und der steuert Kraft seines Portemonnaies sehr direkt in welche Richtung die Reise geht. Dass kann man an der atemberaubenden Reformhausisierung der Lebensmitteldiscounter, an der Centifizierung der Mobilfunkanbieter oder den langen Nasen deutscher Autobauer sehr schön studieren. Unsere Kaufkraft ist ein scharfes Schwert, dass nicht nur Herrn Dieter H. Marx die Sorgenfalten ins Gesicht treiben könnte – wenn wir nur endlich lernen würden damit zu kämpfen.

Eine sehr gelungene Anleitung hier für liefern die gewitzten Zeitgenossen von atomausstieg-selber-machen.de, die sich mindestens genauso sehr wie ich darüber wundern, dass immer noch sechs von zehn Haushalten den Standarttarif des örtlichen Anbieters nutzen. In aller Regel ist der nicht nur teuer sondern auch schmutzig und radioaktiv. Die Seite stellt die vier deutschen Ökostromanbieter vor und erklärt, was diese außer der Lieferung regenerativen Stromes noch alles draufhaben. Von der Förderung dezentraler, bürgereigener Minikraftwerke bis zur Aufforstung des Regenwaldes dürfte hier für jeden was dabei sein.

Ist das geschafft, und hat man einmal gespürt wie mächtig die eigene Unterschrift sein kann, bekommt man vielleicht Lust auf mehr. Zahlreiche Unternehmen haben mittlerweile auf Ökostrom umgestellt, darunter REWEAdidas, Metro, O₂, Postbank, Fordfreenet, 1&1 (inklusive der Töchter web.de und gmx.de). Und als humorvolles Bonbon auch die Deutsche Lufthansa. Die sich offensichtlich ein bisschen dafür schämt, dass man mit einem Urlaubsflug – nur dem Hinflug! –  nach Bali so viel CO₂in die Luft pustet wie sonst in 3 Monaten. Süß. Wichtig ist aber, auch unternehmen von der Sinnhaftigkeit des Wechsels zu überzeugen. Denn in Deutschland entfällt nur knapp ein Drittel des Stromverbrauches auf private Haushalte.

Hat man dauerhaft Gefallen am strategischen Konsumieren gewonnen, ist die Zeit reif Utopia in die eigenen Lesezeichen aufzunehmen. Dann geht der Spaß erst richtig los. Aber eins nach dem anderen. Und zuerst: Ärmel hoch und wechseln.

Zu Tode rationalisiert

Am späten Nachmittag des letzten Freitags öffnet die 32-jährige Stephanie, Mitarbeiterin der Mahnabteilung von France Télécom, das Fenster an ihrem Arbeitsplatz im 4. Stock des Bürogebäudes in der Pariser Rue Médéric und stürzt sich vor den Augen ihrer Kollegin auf die Straße. Einige schreckten erst auf, als sie den Aufprall des Körpers auf der Straße hörten. Stephanie ist nicht sofort tot – eine Kollegin versucht sie mit einer Decke zu wärmen und bei Bewusstsein zu halten – zwei Stunden später erliegt die junge Frau jedoch im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.

Am letzten Mittwoch holt ein Störungstechniker im südwestlich von Paris gelegenen Troyes während einer Konferenz  mit anderen Mitarbeitern des Unternehmens ein Messer aus der Tasche und rammt es sich in den Bauch. Er überlebte schwer verletzt.

Vorgestern Abend wurde eine weitere Angestellte der Firma in ihrem Haus in Metz nahe der Deutschen Grenze von Angehörigen bewusstlos aufgefunden, nachdem Sie eine Überdosis Schlafmittel eingenommen hatte. Auch sie hat überlebt.

Insgesamt haben sich in den letzen anderthalb Jahren 23 Mitarbeiter von France Télécom das Leben genommen. 12 weitere überlebten ihre Suizidversuche.

Als Reaktion setzte der französische Arbeitsminister Darcos am Dienstag einen Behördenvertreter zur Überwachung der Gesundheitssituation bei dem Telekommunikationskonzern ein und traf sich heute mit France Télécom-Chef Didier Lombard um nötige Maßnahmen zu besprechen. Psychisch labile Mitarbeiter sollen nun Zugang zu betrieblich organisierter psychologischer Betreuung erhalten – per Telefonhotline. Weiterhin sollen 100 Personalreferenten eingestellt werden, die die angespannte Lage im Unternehmen analysieren und entspannen sollen. Außerdem soll der massive Umbau des Unternehmens bis Ende Oktober auf Eis gelegt werden. Das alles kann man hier, hier oder hier nachlesen.

Selbstverständlich versucht die Konzernleitung die Situation herunterzuspielen, in dem sie beispielsweise darauf hinweist, dass sich die unternehmensinterne Selbstmordrate statistisch gesehen im normalen Bereich bewegen würde. Außerdem heißt es, dass es sich bei den tragischen Todesfällen grundsätzlich zuerst um persönliche und nicht um betriebliche Dramen handele. Stephanie zum Beispiel, habe psychische Probleme gehabt, wie Personalchef Olivier Barberot dem “Journal du Dimanche” erklärte. "Sie hat 2008 nur 58 Tage gearbeitet und hat in diesem Jahr an 61 Tagen gefehlt. Wir haben reagiert, indem wir ihre Arbeitsbelastung reduziert haben." In den Tod sprang sie allerdings, nachdem sie erfahren hat, dass sie einen neuen Vorgesetzten bekommen soll.

Der Störungstechniker habe ebenfalls überreagiert. Seine Stelle sei zwar weggefallen, ihm sei aber eine vergleichbare Position an anderer Stelle im Unternehmen angeboten worden.

Eine andere Sprache sprechen die Abschiedsbriefe, die einige Mitarbeiter hinterlassen haben. In einem heißt es, dass die mit der Versetzung in einen Vorort von Straßburg verbundene Ferne zu Heimat und Familie unerträglich sei. Ein anderer beschreibt, dass die neue Technik am Arbeitsplatz einfach nicht unter Kontrolle zu bringen wäre. In einem dritten öffentlich gewordenen Brief heißt es wörtlich:

Ich habe mich wegen meiner Arbeit bei France Télécom umgebracht. Das ist der einzige Grund.
Dauernde Dringlichkeit, überlastet von der Arbeit, das Fehlen von Ausbildung, die totale Desorganisation des Unternehmens. Ein Management, das über Terror funktioniert.
Das hat mich selbst völlig durcheinandergebracht und verstört. Ich bin zum Wrack geworden, es ist besser, dem ein Ende zu setzen.

"Es handelt sich nicht nur um persönliche Dramen", sagte der Vorsitzende der Arbeitnehmerorganisation CFDT, François Chérèque am Montag. "Wir haben hier ein Unternehmen, dessen einziges Ziel es ist, Cash und Knete anzuhäufen, und dabei verlangt man von den Beschäftigten immer mehr Rentabilität".

Tatsächlich werden enorme Anstrengungen unternommen, den ehemaligen Staatskonzern fit für den internationalen Wettbewerb zu machen. So wurden in den vergangenen Jahren 22.000 Stellen abgebaut, weitere 7.000 Mitarbeiter wurden versetzt, weil das Unternehmen zahlreiche kleinere Niederlassungen geschlossen hat und immer noch schließt um sie in größeren zu bündeln. Dieser Stellenab und –umbau ist offenbar noch längst nicht beendet: "Alle Angestellten erhalten regelmäßig per Mail Angebote, das Unternehmen zu verlassen", sagt Philippe Meric von der Gewerkschaft SUD. "Die Manager haben Vorgaben, die Mitarbeiter zu ermuntern, zu gehen."  Erreichen sie dieses Ziel, erhalten sie eine entsprechende finanzielle Belohnung.

Dementsprechend überrascht es niemanden, dass die Krankheitsquote im Unternehmen im letzten Jahr um sieben Prozent gestiegen ist.

Letzten Donnerstag nun demonstrierten zahlreiche Angestellte gegen die in ihren Augen unerträglichen Arbeitsbedingungen. Auf Transparenten bezeichneten sie diese als “terreur” und forderten: "Stoppt das Leiden bei der Arbeit".

France Télécom ist sicher das deutlichste, längst aber nicht das einzige Beispiel für regelrechte Selbstmordwellen in französischen Unternehmen. Vor zwei Jahren, gab es in den Entwicklungsabteilungen der Autokonzerne Renault und PSA ebenso eine Reihe von Suizidfällen binnen kurzer Zeit.

Mich macht das betroffen und sehr ratlos. Ich selbst arbeite für eine international agierende Bank und weiß, dass die Maschine Erwerbsarbeit gierig ist und man sich sehr gut an seinen privaten, moralischen, ideellen Wurzeln festhalten muss um nicht im sich selbst immer weiter rationalisierenden Räderwerk verloren zu gehen. Oft liest man vom “Kapitalismusbergwerk” oder vom “Hamsterrad”. Psychische Erkrankungen nehmen auch hierzulande zu, das Burn-Out wird zur neuen Volkskrankheit. Und ich verstehe nicht ganz, warum.

Natürlich: Arbeitspensum und –komplexität steigen immer weiter, die Globalisierung und vielleicht auch die Gier zwingt Unternehmen Prozesse immer effizienter und rationeller zu arbeiten, und noch immer Leben wir in einer Gesellschaft, in der sozialer Status direkt von der Teilnahme am oder dem Ausgeschlossensein vom Erwerbsleben abhängt.

Fraglich ist doch aber, wie hoch der Druck, wie stark der “terreur” und wie aufgerieben und ausgebrannt das Nervenkostüm eines Menschen sein muss, damit er direkt durchs offene Fenster am Arbeitsplatz in den Tod springt. Welchen Stellenwert hat die berufliche Stellung für so einen Menschen? Und wie konnte sie so bedeutungsvoll, so wichtig werden, dass sie über Leben und Tod entscheidet?

Hätte die einer Kündigung folgende Arbeitslosigkeit wirklich das Ende aller Möglichkeiten bedeutet? Hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen?

Selbstverständlich kann ich mir kein Urteil über die 23 Verstorbenen erlauben. Aber an diesem Beispiel wird so deutlich wie selten, dass das Konzept von Erwerbsarbeit als Sinnstifter, als Lebensinhalt, als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg eines Menschenlebens nie angemessen war und sich selbst überholt hat. Die Frage die jetzt kommt ist noch schwieriger:

Wofür leben wir eigentlich?

Wenn es nun aber so ist, dass die Erwerbsarbeit zum Lebensinhalt vieler geworden ist, was ja nicht zuletzt auch darin begründet liegt, dass sie vielerorts den Löwenanteil der Lebenszeit und –energie beansprucht, dann muss man fragen, was aus ihr geworden ist bzw. was aus ihr wird: Wenn die Arbeit verlangt, dass sich der einzelne über sie definiert, muss sie ihn auch wertschätzen.

 

Quellen: Nouvel Obs, Le Point, Die Welt, Telepolis