Maaßens Hetzjagd auf die Glaubwürdigkeit
(Politik der Worte #6)

Seit mehr als einer Woche wird nun öffentlich darüber diskutiert, ob es in Chemnitz am vorletzten Samstag eine Hetzjagd auf nicht-deutsch aussehende Menschen gegeben hat. Ausgangspunkt der Diskussionen ist folgendes Video.

Wer Chemnitz ein bisschen kennt, erkennt die Johanniskirche im Bildhintergrund eindeutig wieder. Es kursiert inzwischen ein Video, das den Vorfall von der anderen Straßenseite zeigt. Es gibt Zeugen, die bestätigen, dass sich die Situation so zugetragen hat. Heute+ zeigt ein Feature, in denen ein Mensch behauptet, er sei derjenige, der verfolgt wird. Zett spricht mit jemandem, der deswegen Strafanzeige gestellt hat. Was im Video zu sehen ist, ist passiert. Punkt. Und nein, es ging nicht um einen Brieftaschen-Diebstahl sondern um Fremdenfeindlichkeit, die Tonspur ist da kompromisslos. Ende der Diskussion. Denkste. Maaßens Hetzjagd auf die Glaubwürdigkeit
(Politik der Worte #6)
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Lebwohl Whatsapp, hallo Threema!

Vielleicht bin ich altmodisch, aber: Wenn ich Nachrichten an meine Freunde versende, sollen sie meine Freunde erreichen und sonst niemanden. Whatsapp ist in meinem Umfeld zum Standardkanal für Zwischendurch-Kommunikation geworden. Aber ich rufe zum Boykott auf und mache ab sofort nicht mehr mit.
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Aggressive Homophobie bei DSDS

Dass sich DSDS als mustergültiges Kleinod der institutionalisierten Zuschauerverdummung einen feuchten Dreck um die Grenzen des guten – und sogar des schlechten – Geschmacks schert, holt ja mittlerweile niemanden mehr vom Sofa. Auch daran, dass man ohne ein kürzlich verstorbenes oder sich noch besser in akutem Siechtum befindliches Familienmitglied keine Chance auf seine 15 Minuten Ruhm hat, haben wir uns gewöhnt. Sogar die gnadenlose Inszenierung einzelner Kandidat(inn)en als Zicke, Lügenmaul, Dummchen, Heulsuse, Gigolo oder notlgeile Drecksau mit den Mitteln der modernen Schnitttechnik regt niemanden mehr auf und zündet daher kein Publicity-Feuerwerk.

Was mich aber wie eine Rakete abgehen lässt ist, dass man jetzt die Homosexualität eines Kandidaten nutzt, um den angerosteten und mit mittelmäßig cleverem Kandidatenmaterial nur noch lauwarm befeuerten Unterhaltungsdampfer wieder in Fahrt zu bringen.
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Die vollständige #fragreg-Twitterview-Nachlese

Statt der geplanten 30 hat sich Regierungssprecher Steffen Seibert 41 Minuten Zeit genommen, die Fragen der Bürger zu beantworten. Natürlich nicht alle. Das war auch nicht nötig.

Fragen wie “Welcher Bundestagsabgeordnete fährt den dicksten Sportwagen?” oder “Wie war das damals wirklich mit Kennedy?” überliest wurden dankenswerterweise geflissentlich überlesen. Trolle gehören zum Netz, das wird auch Herr Seibert begriffen haben. Ich fremdschäme mich trotzdem manchmal für Sie. Um Himmels Willen also bloß nicht füttern!

Andere durchaus spannende Fragen blieben leider ebenfalls unbeantwortet, zum Beispiel die nach der von Deutschland immer noch nicht ratifizierten UN-Anti-Korruptions-Richtlinie oder alles zum Thema Netzneutralität. Das ist schade, konnte aber niemanden überraschen, der das Foto gesehen hatte, das Seibert mit zwei Fingern tippend übers iPad gebeugt zeigte.
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Trommelwirbel: 30 Minuten Volksnähe 2.0

Twitter-Gründer Jack Dorsey ist gerade in Berlin gelandet und hat noch auf dem Flughafen knackig verkündet, wofür:

“Just landed in Berlin for a visit with Chancellor Angela Merkel. I’ve been wanting to meet her for a while: the world needs her on Twitter.”

Dorsey will Merkel dazu überreden, sich ein Twitter-Konto zuzulegen und künftig nicht mehr nur permanent vertrauliche SMS ins Girls-Camp zu schicken sondern – zack, zack! – brisante Polit-Tweets in die Welt.

Wahrscheinlich würde er das Nutzerkonto der mächtigsten Frau der Welt als eine Art Ritterschlag des alten Europa empfinden, in jedem Fall wäre es prima Publicity und eine Chance mehr, Twitter noch öfter in die Hauptnachrichten zu hieven.

Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert firmiert seit Anfang letzten Jahres unter dem Kürzel @RegSprecher auf Twitter und hat anlässlich des hohen Besuchs ein ganz spezielles Pastetchen gebacken: Ein Twitterview – richtig, ein Interview auf Twitter.

Vor nicht ganz 24 Stunden schrieb er:

„Ich lade Sie morgen ab 11.30 Uhr zu meinem ersten Twitterview ein: Stellen Sie mir Ihre Fragen live unter #fragReg – ich freue mich darauf.“

Super, alles klar! Obwohl: Soll ich die Frage jetzt schon stellen oder erst um 11.30 Uhr?

Und wen frage ich eigentlich?

  • Sie, lieber Steffen Seibert, zum Status ihrer guten Vorsätze für dieses Jahr, Ihrem aktuellen Lieblingsbuch und dem Befinden der werten Ehefrau,
  • Sie, geehrter Herr Regierungssprecher, zu Ihren lustigsten Anekdoten aus dem Arbeitsalltag, Ihrem persönlichen Verhältnis zur launigen Chefin und dem rauen Arbeitsklima im Bundespresseamt,
  • Oder gar Sie, hochgeachtete fleischgewordene Bundesregierung zu Spritpreisen, Eurostabilität und der unterdrückten Islamdebatte?

Und Sie, wie wollen Sie antworten? Zu komplexen Interessenskonflikten bei der Energiewende, zum hochphilosophischen bedingungslosen Grundeinkommen, zur emotional aufgeladenen Frauenquote: Kurz und knackig in 140 Zeichen?

Oh, vielen Dank, das wird unser Land so viel besser machen: Die klaren Aussagen, die einfache Sprache, die neue Volksnähe und Alles!

Immerhin nehmen Sie sich ja 30 Minuten Zeit, jawohl.

Ein Radiointerview über Veganismus, Sexismus & PR. Richtig! Über PETA.

Tom Bond, Radiomacher bei  Corax – dem freien Radio im Raum Halle – hat sich über PETA’s jüngste “Veganer sind brutale Lustmolche”-Kampagne wohl genauso geärgert wie ich. Auf der Suche nach weiteren Informationen und Meinungen zum Spot und der dazugehörigen Website ist er auf einen Blogbeitrag von mir gestoßen. Darin veröffentliche ich die Stellungnahme, die mir PETA auf meine Fragen zur Kampagne und meinen Protest dagegen zur verfügunggestellt hat.

Tom bat mich daraufhin um ein Interview für’s Radio. Nachdem sich meine anfängliche Panik gelegt hatte und ich mich darauf besann, dass sich Menschen wie Hather de Lisle schließlich sogar in Fernsehtalkshows als Expertin betiteln lassen, fasste ich mir ein Herz.

Kann es sein, dass wir gerade im ICE nebeneinander sitzen?

Wann immer ich in einem Fernzug platz nehme – und ich tue dies regelmäßiger, als mir lieb ist – zücke ich das Handy und starte Tweetdeck. Dieser sehr funktionale Twitter-Aggregator versorgt mich mit den neuesten Nachrichten meiner Freunde, den aktuellsten Updates der Menschen und Institutionen, denen ich auf Twitter folge und immer neuen Links zu Artikeln, die mich interessieren. Man muss die wenigen Minuten die der Zug noch im Bahnhof steht nutzen um so viele Informationen wie möglich abzurufen, in Wirklichkeit ist das mobile Internet so mobil nämlich nicht.

Als ich neulich also in geübter Nerd-Pose (Kopf auf die Brust, Smartphone auf den Bauch) im Zugsessel vor mich hin updatete, setzte sich eine junge Frau neben mich. Ich bemerkte sie nur deshalb, weil sie auf der Suche nach der Steckdose zwischen den Sitzen mit ihrer Hand meinen Oberschenkel berührte. Einige Minuten später – der Zug fuhr, ich wartete auf das mobile Internet – folgte mein Blickt dem Kabel des Ladegerätes, dass sie angeschlossen hatte bis zu ihrem Handy. Sie verwendete Tweetdeck. Ich musste kichern, war aber nicht laut genug, um sie aus ihrer Timeline zu reißen.

Mir war schon vor längerer Zeit klar geworden, dass unsere kleinen digitalen Begleiter den zwischenmenschlichen Kontakt mit Unbekannten auf eine unangenehm transzendente ebene hieven. Anstatt den Blick zu heben und der Person, der man gegenüber sitzt ein Lächeln zu schenken, senken wir lieber den Kopf und drücken “Gefällt mir”. Bisher habe ich mir immer recht überzeugend einreden können, dass uns Bücher und Zeitungen schon seit Ewigkeiten vom Beieinandersein in öffentlichen Verkehrsmitteln abgehalten haben und Handys & Co. dies allerhöchstens ein kleines bisschen verschärft haben. Die Situation jetzt war aber so skuril, dass ich sie nicht aushalten konnte.

Was aber tun? Den Kopf heben und lächeln? Dafür war ich nicht mutig genug. Abgesehen davon, war sie viel zu vertieft in Tweets und Retweets, als das sie mein Lächeln hätte bemerken können. Sie ansprechen? Um wenigstens eine kleine Chance auf Erfolg zu haben, hätte ich ihr hierfür zuerst die Stöpsel aus den Ohren angeln müssen. Ihre Musik war ziemlich laut. Aber gut. Ich kannte die Band.

Also suchte ich – eine klassische Übersprungshandlung – nach Updates über die Band bei Twitter. Und fand:

_susaramsch: I am listening to Epica http://bit.ly/i5IPWS @GetGlue #Epica

Hatte sie das geschrieben? Direkt neben mir? Vor einer Minute? Wie wahrscheinlich war es, dass irgendwo irgendjemand auch gerate Epica hört und darüber twittert? Ich musste es herausfinden und schrieb:

kopfkompass: @_susaramsch ein bisschen riskant aber vielleicht witzig: Kann es sein, dass wir gerade im ICE nebeneinander sitzen? 😉

Die folgende Minute verbrachte ich breit grinsend. Ich konnte den Blick nicht vom Handybildschirm abwenden. Und zwar von ihrem. Tatsächlich: Ein kleiner gelber Punkt meldete einen neuen Tweet an sie.
Sie nahm die Stöpsel aus den Ohren, hob den Kopf und lächelte mich an.

Den Rest der Fahrt verbrachten wir in einem sehr angeregten Gespräch. Wir unterhielten uns einfach. Über alles mögliche. Wahrscheinlich so ähnlich, wie sich Menschen vor der Erfindung von Smartphones, iPods, Walkmans und sogar des Buchdrucks unterhalten haben. Es war sehr angenehm.

Seither folgen wir einander auf Twitter.

Ist mir auch noch nicht passiert. Lustig war’s aber. http://bit.ly/fJ2Lys

Abgemeldet: Asoziale Netzwerke

Nach dem Aufwischen meiner persönlichen Datenlache im Netz war ich ziemlich erschöpft. Das war viel Arbeit. Und ein bisschen angewidert war ich auch. Von meinem ungebremsten Drang zum Socialising nämlich: In fast jedem in Deutschland aktivem Sozialen Netzwerk hatte ich versucht, neue Freunde zu finden. Dabei sind meine alten eigentlich ganz okay.

Diese Irritation kannte ich: Als ich mir 1995 von meinem Taschengeld ein 33,3-K-Modem zulegte, fiel mir mein bester Freund um den Hals und rief: “Wie cool! Dann können wir uns jetzt immer e-Mails schreiben!” Was wir in der Folge auch tatsächlich taten. Warum genau, kann ich bis heute nicht erklären. Wir haben uns jeden Tag in der Schule gesehen und die meisten Nachmittage miteinander verbracht. Bei unseren Mails galt eindeutig: The medium is the message. Das hat gefetzt. 1995.

Erst als ich neulich nachts meine Mitgliedschaft in zahlreichen Sozialen Netzwerken beendete, stellte ich fest, dass diese immer noch nach dem alten Grundsatz funktionieren. Der aber hat an Charme  deutlich eingebüßt. Und müsste außerdem um zwei Worte ergänzt heute richtig lauten: The medium is the message is you.  Denn wer nichts sagt, den gibt’s auch nicht. Deswegen quasseln alle ständig über alles was ihnen einfällt. Und sehen dabei wahnsinnig gut aus. Aber eben auch ein bisschen hohl.

Grund genug für mich, den  meisten sozialen Netzwerken den Rücken zu kehren. Kleben geblieben bin ich beim schlimmsten von allen: Facebook. Dabei mach ich mir nichts vor: Eine Freundschaftsanfrage bei Facebook bedeutet im Wesentlichen: Darf ich dir künftig  ungefähr 5 Mal am Tag: “Guck Mal! Ich bin hier!” in dein Leben brüllen? Wer jetzt schwach wird und ja sagt, der erfährt in Zukunft ungefragt,  wer wann ein Bäuerchen gemacht hat, wem wann ein virtuelles aber zuckersüüüßes und todtrauriges schwarzes Kätzchen über den Weg gelaufen ist, und wer wann wo mit wem verabredet ist. Vielleicht will man ja selber auch hin. Was mich wirklich  daran nervt ist: Es interessiert mich! Ich will es wissen! Ich checke Facebook jeden Tag. Ich würde es häufiger tun, wenn ich die Zeit dafür hätte. Warum nur?

Ich erfahre hier nichts Nützliches. Außer vielleicht einem Gefühl: “Oh ja! Alle Leute, die ich irgendwie oder über drei Ecken kenne sind noch da und haben auch ein Leben. Prima.” Das ist aber keine Kontaktpflege. In Wirklichkeit ist das sogar Spam. Weil man miteinander überhaupt nicht in Kontakt tritt. Und falls doch ist das glatt und oberflächlich. Statusmeldungen, wie auch die Kommentare dazu können im Netzwerk mitgelesen werden. Natürlich: für den vertraulicheren Austausch kann man den privaten Chat nutzen. Oder die private Nachricht. Warum aber sollte man? Wieso sollte man eine zusätzliche Plattform zwischen sich und den anderen stellen, wenn man ebenso gut telefonieren kann?  Oder – Obacht! – sich gar einfach einmal trifft?

“Facebook ist perfekt dafür, Kontakt zu deinen Freunden auf der ganzen Welt zu pflegen.” Okay, vielleicht bin ich ein langweiliger vereinsamter Eremit. Ich bekenne, die Zahl der Personen, die ich als Freunde bezeichne und die außerhalb Deutschlands leben lautet: 3. Wir mailen oder telefonieren gelegentlich.

“Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben Inhalte […] zu teilen.” Das ist tatsächlich ein Argument. Wer ein interessantes You-Tube-Video entdeckt hat, kann es hier posten, ebenso wie Fotos oder einen spannenden Artikel. In der Praxis bedeutet das, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, mir in Zukunft eine Eieruhr mit 30-Minuten-Countdown neben den Rechner zu stellen, bevor ich mich bei Facebook einlogge. Ja, es ist Social Spam. Aber es ist wie der süße Brei, führt vom Hundertsten zum Tausendsten und macht süchtig, wie Betroffene und Interessierte hier, hier oder hier nachlesen können.

Facebook hat mein Leben nicht sozialer gemacht. Ich verdächtige Facebook sogar, in Wirklichkeit asozial zu sein. Statt Menschen zusammenzubringen verführt es sie dazu, ihre Zeit mit dem Konsum belangloser Statusmeldungen, sinnfreier Minispielchen oder aufgepixelter Musikvideos zu verschwenden. Und zwar allein in orthopädisch ungünstiger Haltung vor ihren Rechnern sitzend.

Sobald meine Therapie abgeschlossen ist, lösche ich meinen Facebook-Account. Versprochen.

 

Aufgewischt: Meine persönliche Datenlache

Ich habe in der letzten Zeit viel über Überwachung und Datenschutz geschrieben. Und freilich noch viel mehr darüber gelesen. Dabei habe ich zweifellos mehr über die Tricks und Kniffe der Online-Datenkraken gelernt, als mir lieb sein kann. Wie sich daran zeigte, dass diesem Wissen in der letzten Nach ein Großteil meines Schlafes zum Opfer fiel.

Wie durch ein undichtes Dach plätscherte Tropfen für Tropfen die Gewissheit in mein Gemüt, dass ich bisher mit meinen persönlichen Daten überaus salopp umgegangen war. Eigentlich könnte man es auch dämlich nennen: Im Internet hatte ich seit Jahren jedes Formular bereitwillig ausgefüllt, jedes Social Network ausprobiert, in jedem Forum über das ich stolperte arglos unter echtem Namen gepostet, rezensiert, kommentiert, schwadroniert. Herrje! 

Mir fiel ein Dienst nach dem anderen ein, bei dem ich mich irgendwann mal registriert hatte. Und dann erinnerte ich mich an die vielen Artikel darüber, dass das Internet nicht vergisst, dass man das Internet nicht löschen kann, weil es überall Kopien davon gibt, dass sich das Internet zum wahren Karriere-Killer entpuppen kann, wenn man nicht aufpasst, und dass es mitterweile ausgefeilte Personensuchmaschinen gibt, die die bunt verteilten Informationsschnipselchen aus jeder noch so abgelegenen Dreckecke des Internets herausklamüsern, um sie flinkflink zu einem hübschen wohlsortierten Personenprofil aufzubereiten. Mit Telefonnummer und Passfoto. Wenn man dumm genug war. (War ich zum Glück nicht, wie ich erst am nächsten Morgen erfuhr.)

Tropfen für Tropfen hatte sich eine unangenehm große, unangenehm kalte Datenlache gebildet, die mich aus dem Bett trieb. Ich fing an eine Liste zu schreiben mit allen Seiten auf denen ich wissentlich Daten hinterlassen hatte. Also mit allen, die mir nach 15 Jahren Internetnutzung noch einfielen. Unter die achtundvierzigste zog ich einen Strich, der Bleistiftspitze brechen ließ. 48 – das waren alle, die mir einfielen. Google konnte sich auch an keine weitern erinnern. Bing auch nicht, auch nicht Yahoo. 123people oder Yasni habe ich mich nicht getraut zu fragen. Dafür war es zu früh. So gegen halb zwei.

Während der Rechner hochfuhr, machte ich mir einen Tee. Dann arbeitete ich die Liste ab. Auf jeder Seite warf ich meine Angel aus und siehe da: in meiner Datenlache gab es Fische! Dicke sogar! Amazon gab beispielsweise jedem bereitwillig Auskunft darüber, welche Bücher ich mir in der letzten Zeit zugelegt hatte, wie sie mir gefallen hatten, und welche ich mir noch wünschte. Bei Facebook war öffentlich nachvollziehbar, mit wem ich befreundet und mit wem ich verlobt bin. Last.fm versorgte jeden, der wollte (und der ein last.fm Konto hatte) mit meinen persönlichen Hitlisten. Flickr gab Einblicke in mein Wohnzimmer (Gott sei Dank nur mein altes!) und studiVZ in die Ereignisse der letzten Betriebsfeier. Tricks und Kniffe, oder gar Spionage war für keine dieser Angaben nötig. Mein egomanes Sendungsbedürfnis und das meiner Freunde reichte dafür völlig.

Das alles war ja auch keine Katastrophe. Auf keinem der Fotos im Internet war ich so betrunken, dass man es mir angesehen hätte. Und von mir aus kann die ganze Welt wissen, dass ich ab und an zu den alten Hits der Münchner Freiheit abgehe. Muss aber nicht.

Ich habe also gelöscht, abgemeldet, entfernt, unsubscribed was die Nacht hergab und zum Abstreichen der Liste noch zweimal meinen Bleistift angespitzt. Das hat regelrecht Spaß gemacht. Auch, weil mir der Frust des vergessenen Passwortes erspart blieb: In den letzten fünf Jahren habe ich ganz offensichtlich immer und überall das gleiche Passwort verwendet. Das ist war einfach und praktisch und in dieser Nacht war ich überaus dankbar dafür. Auch, weil mich der wohlige Grusel darüber, was dieses Passwort in den falschen Händen hätte anrichten können, wie ein doppelter Espresso wach hielt.

Gegen fünf Uhr war meine Liste auf 21 Dienste zusammengeschmolzen. Das waren wirklich nur die allernötigsten, aber nachprüfbar immer noch zu viele: Wie um Himmels Willen soll ich mir 21 unterschiedliche sichere Passwörter merken?

Mit einem Trick! Mit welchem? Ich bin doch nicht wahnsinnig!

PS: Meine Nachtschicht hat sich vielleicht schon bezahlt gemacht:  Yasni und 123people halten sich brav zurück.