Politik der Worte #2:
Masterplan

Am 11. Juni taucht Horst Seehofers Masterplan zum ersten Mal in den Medien auf, verbunden mit der Ankündigung, ihn einen Tag später vorstellen zu wollen. Heute ist der 2. Juli und erst seit gestern kennen wir einige Details:

  • In Ermangelung einer ausreichenden Zahl von Abschiebehaftplätzen sollen Geflüchtete künftig eben mit Straftätern gemeinsam inhaftiert werden
  • An Flughäfen sollen “Gewahrsamseinrichtungen” geschaffen werden, in denen man Geflüchtete bis zur “Sammelabschiebung” verwahren kann
  • Die Rechtsmittel für Geflüchtete in einem Asylverfahren sollen auf den Prüfstand; überlegt wird auch, sie künftig an den Gerichtskosten zu beteiligen
  • Falls Geflüchtete mit noch laufenden Asylverfahren aus welchem Gründen auch immer in ihre Heimat reisen, soll ihr Asylgesuch automatisch abgelehnt werden – weil: kann dann ja nicht so schlimm sein in der Heimat, ne?

Der Masterplan ist eine Littanei egoistischer Feindseligkeiten, von denen die allermeisten wegen Ungeheuerlichkeit niemals zur Anwendung kommen werden – es sei denn, Seehofer ist alleinherrschender König und nicht bloß Innenminister. Eines ist der Masterplan jedenfalls nicht: ein ausgeklügeltes, enges Geflecht revolutionärer Ideen, mit denen sich die Flüchtlingskrise zügig wegorganisieren ließe.

Das habe man auch nicht erwarten dürfen? Die Lage sei viel zu komplex für einfache Lösungen? Meine Rede, aber genau diese Erwartungen weckt das Wort. Deswegen hätte man es besser dort gelassen, wo es hingehört: in Actionfilmen. Wer es aber in die politische Debatte wirft um viril und alpha zu wirken, und den anschließenden Trommelwirbel zum allgemeinen Spannungsaufbau fast drei Wochen dauern lässt, muss dann auch mit der allgemeinen Empörung darüber klar kommen, dass vom Plan nicht viel übrig bleibt, wenn man Hass und Aktionismus rausstreicht.

Auf Twitter kursiert das Deckblatt des Dokuments. Über Seehofers Namen und seiner Funktion als Parteivorsitzender (nicht Innenminister!) steht da: “Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung”.

Zuwanderung! Horst Seehofer ist seit 1971 in der Politik. Er ist amtierender Bundesinnenminister und Parteivorsitzender einer Regierungspartei. Seit drei Wochen brüstet er sich mit einem “Masterplan”, für dessen Inhalt er die Öffentlichkeit erst seit gestern reif genug hält. Und als der heiße Scheiß dann endlich leakt, kommt schon auf dem Cover raus, dass er den Unterschied zwischen geordnete Zuwanderung und dem Gewähren von Asyl für Menschen in Not nicht verstanden hat?

Hart. Aber nicht im Sinne von “Darf ich mal deinen Bizeps fühlen?” sondern eher im Sinne von: traurig.

An die gelangweilten Herren Journalistinnen

Benjamin Haerdle veröffentlichte am 4. Juni auf Spiegel-Online einen Artikel über eine Sprachreform an der Uni Leipzig. Wahrscheinlich war ihm langweilig oder er ist jung und brauchte die Klicks; der im Artikel verhandelte Beschluss jedenfalls wurde schon vier Wochen vorher gefasst. Er besagt, dass in der neuen Grundordnung der Universität Leipzig erstmals das generische Femininum verwendet wird. Und ja, das ist schon alles.

Beispielsweise wird statt von Professoren*, Professoren/Professorinnen, Professoren und Professorinnen, ProfessorInnen, Professor_innen oder Professor*innen künftig lediglich von Professorinnen die Rede sein.

Möglicherweise konnte Herrn Haerdle nach dem Schreiben seines Artikels dessen spannendes Momentum selbst nicht entdecken, weshalb er eine fetzige Überschrift versuchte: An die gelangweilten Herren Journalistinnen weiterlesen

In Germany most people speak german

Eigentlich ging es um Handys. Handys sind ja seit der Implosion der Mobiltelefonsparte von Siemens, spätestens aber seit der Schließung des Nokia Werkes in Bochum im letzten Jahr kein besonders deutsches Phänomen mehr. Was sich gerade ändern könnte.

Der kanadischer Hersteller der in Businesskreisen zum Ersatzteddy avancierten Blackberry Mobiltelefone RIM eröffnete nämlich ebenso im letzten Jahr an Ort und Stelle ein Forschungszentrum, in dem deutsche Ingenieure an den Nachfolgern der Nachfolger künftiger Handys arbeiten.

Voller Stolz präsentierte das Unternehmen heute auf einer Pressekonferenz das erste Resultat des deutschen Think Tanks: ein neues Handy. Nicht jedoch, ohne der nach Rumänien abgewanderten Konkurrenz von Nokia mit der Bemerkung vor die Füße zu spucken, dass die extrem kurze Entwicklungszeit des Telefons von nur 12 statt üblicherweise 16 Monaten nur aufgrund der besonders effizienten deutschen Arbeitsleistung habe bewerkstelligt werden können.

Als Gastredner geladen war auch der amtierende deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert. Das dieser unumwunden zugab, nicht viel von Handys zu verstehen und statt dessen einen mitellangen Ausflug in die Geschichte des 21. Oktobers machte, weil er sich damit nun mal besser auskenne, blieb den meisten internationalen Journalisten verborgen. Weil diese nämlich kein einziges Wort verstehen konnten. Lammert sprach Deutsch.

Eine englische Journalistin unterbrach ihn schließlich mit dem Zwischenruf: "We don’t speak German.", woraufhin Lammert kurz von seinem Skript aufsah und lächelnd mit “In Germany the most people speak german." konterte, um anschließend zu erklären, dass, falls er Englisch spräche viele andere Anwesende nicht folgen könnten, was doch auch schade wäre. Anschließend bot er der Journalistin in fließendem, beinahe elegantem Englisch an, seine Rede nach der Veranstaltung gern für sie in ihrer Sprache zusammenzufassen.

 

Womit haben wir es hier zu tun? Mit einem Running Gag? Mit einem Trend? Mit einer verlorenen Wette?

Lammert ist nicht gerade für seine Schlagfertigkeit berühmt, so dass man sich mit einem gerüttelt Maß an mutiger Arroganz dazu hinreißen lassen könnte, ihm zu unterstellen, dass er sich für den Fall des Falles eine entsprechende Reaktion parat gelegt hatte, die er nun tatsächlich vorführte. Was wiederum bedeuten würde, das seine Reaktion wohl überlegt war. Was seinerseits nun wiederum fragt: Warum fiel seine Reaktion so aus?

Ist das eine Form neuen deutschen Selbstbewusstseins zu der uns die schießhundscharfen französischen Sprachwächter inspiriert haben? Ist das faule Scheu vor einer Fremdsprachenrede? Ein beherzter Stinkefinger gegen das arrogante Selbstverständnis englischsprachiger Journalisten?

Im Gegensatz zur tapsigen Verweigerung Westerwelles imponiert mir diese. Sie hat eine Arroganz, die mit Erhabenheit verwechselt werden könnte und eine Schlagfertigkeit die an eloquente Eleganz grenzt.

Quellen: Deutschlandradio, ruhr.business-on.de, heise.de

 

Watch out Guido!

Nicht nur Westerwelle selbst wünscht sich sicherlich, den 18-plus-X Wahlkampf von 2005 aus den Köpfen der Menschen und den Archiven der Medien zu verbannen. Weil das nicht geht, hat er sich fürs Überpinseln entschieden. Sogar beim schon im Vorfeld nicht gerade als seriös geltenden TV-Total-Wahlkampf-Showdown letzte Woche erschien er als einziger in Schlips und Kragen und mahnte gebetsmühlenartig zur Seriosität. “Schließlich geht es weder um Sie noch um mich. Es geht um unser Land, Herr Raab.” Dass er mit Sätzen wie diesem gepunktet hat, wissen wir heute alle.

Offenbar steigt ihm sein Erfolg jedoch zu Kopf. Über den Pressekonferenz-Eklat am Montag wurde ja auf breiter Front berichtet – nicht gerade zu Westerwelles Gunsten. Für ihn offenbar Anlass genug sich bei der heutigen Pressekonferenz anlässlich der FDP-Präsidiumssitzung nochmals auf den Fremdsprachenverweigerungs-Ausrutscher zu beziehen:

“Herzlich Willkommen zur Pressekonferenz zur FDP-Präsidiumssitzung, die auf Wunsch aller ausschließlich in deutscher Sprache gehalten wurde.” Das Gelächter blieb verhalten, der Witz war eben so witzig nicht. Auch später in der Konferenz bezog er sich nochmal auf den Vorfall und zwar in einer Art und Weise, die man gutmütig durchaus als Entschuldigung verstehen könnte. Er verwies auf den harten, anstrengenden Wahlkampf, sein erheblichen Schlafdefizit und behauptete außerdem dem BBC-Journalisten die Antwort 3 mal höflich und nur ein zu vernachlässigendes Mal etwas spitz gegeben zu haben. Er bat um Nachsicht.

Vielleicht wäre man sogar versucht gewesen selbige walten zu lassen, wenn der Rest dieser Pressekonferenz nicht so katastrophal daneben gegangen wäre. Als er die Frage eines weiteren Reporters inhaltlich nicht verstand, “obwohl sie auf deutsch gestellt war”, schlug dieser gewitzt vor, dass er auch auf Altgriechisch fragen könnte. Westerwelle parierte und drohte er werde die Frage dann auf Latein beantworten. Wenn er es denn nur mal hätte.

Die Wahrheit ist: Herr Westerwelle hat keine einzige Frage beantwortet. Natürlich hat er geredet. Gebetsmühlenartig wie gewohnt. Gesagt hat er aber nichts. Weshalb sich sogar der Phoenix-Moderator Gerd-Joachim von Fallois nach Abschluss der Konferenz dazu hinreißen ließ dem irritierten Zuschauer zu erklären: “Wir Journalisten sind ja nicht freiwillig hierher gelaufen, sondern von der FDP eingeladen worden. Wenn Herr Westerwelle aber keine Fragen beantworten will, hätte man sich das auch sparen können.”

Das stimmt nicht ganz. Wie immer gab es was zu lernen. Westerwelles Weisheit des Tages: “Fragen beantwortet man nicht immer, wenn sie gestellt werden, sondern wenn sie sich stellen.” Auf die kritische Nachfrage einer Journalistin, die dieses Statement offenbar nicht nur ebenso respektlos sondern auch ebenso gefährlich für die Demokratie und die Rolle der Medien in selbiger empfand, stolperte er: “Sie dürfen meine Weigerung Ihre Fragen zu beantworten nicht in den falschen Hals bekommen.” Er könne Fragen zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen mit der Union freilich erst geben, wenn diese Verhandlungen abgeschlossen seien.

Das mag stimmen. Was aber war dann Westerwelles Ansinnen bei dieser Pressekonferenz? Hatte er erwartet, dass ihn die Journalisten nach seinem Lieblingsmüsli oder seiner aktuellen Gute-Nacht-Lektüre fragen würden?

Und viel wichtiger: Müssen wir hinnehmen, das Politiker neuerdings ungeniert und vor offenen Mikrofonen erklären, dass es Transparenz und klare Kante in der Politik nicht mehr geben kann? Ganz ähnlich polterten ja Herr zu Guttenberg und auch Herr Steinbrück bei Anne Will einen Sonntag vor der Wahl, als sie verkündeten, dass es unabhängig vom Wahlausgang harte Einschnitte geben würde, und man “Abschied von Liebgewonnenem” nehmen müsse, um sich dann trotz mehrfacher Nachfrage Wills zu weigern, auszusprechen worum es sich dabei handele.

Poor Guido!

Darüber muss man gar nicht streiten: Es war unelegant, unhöflich und belehrend, wie der deutsche Außenminister in spe Guido Westerwelle sich auf einer Pressekonferenz am Montag weigerte, die Frage eines Journalisten der BBC in Englisch zu beantworten und ihm in zweiter Instanz sogar verbot seine Frage wenigstens auf Englisch zu stellen. Zumal Sätze wie “Es ist Deutschland hier.” sogar in Westerwelles Muttersprache ziemlich dahingestolpert klingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dennoch darf man sich darüber wundern, welch hämischen Wellen diese peinlichen 30 Sekunden im Netz schlagen.

Es ist nämlich alles andere als üblich, dass sich Politiker vor laufender Kamera in einer anderen als ihrer Muttersprache äußern, zumal dann nicht, wenn die Themen ernst oder sogar heikel sind. Das begreift man schnell, wenn man beispielsweise versucht, ein Videoschnipselchen im Netz zu finden, an dem sich die Englischkenntnisse unseres bisherigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier prüfen ließen – es gibt keins. Auch die Suche nach einer Englischprobe von Angela Merkel endet mit null Treffern. Lediglich Joschka Fischer traut sich ein englisches Interview zu geben, allerdings erst, nachdem er aus der politischen Verantwortung des Außenministers längst entlassen ist.

Dafür gibt es nachweislich auch gute Gründe: Wenn mein Lieblingspopstar zur Eröffnung seines einzigen Deuschlandkonzertes ein besoffenes “Güten Obend Börlin” herauskaut, ist das niedlich und supersüß. Wenn aber Herr Sarkozy gleiches versucht, während er über politische Dinge spricht, kann das nur peinlich und irritierend wirken:

Das hat offenbar sogar Sarko selbst eingesehen, und sich nach der Bauchlandung umgehend für ein paar Englischstunden angemeldet. Schreibt jedenfalls der Telegraph.

Verblüffend finde ich auch, dass sich niemand über die Selbstverständlichkeit wunderte, mit der der Journalist die englische Frage stellte. Ich weiß schon, wenn ich jetzt sage, dass niemand auf einer Pressekonferenz in London auf den Gedanken käme eine deutsche Frage zu stellen, heißt es sofort, dass man das überhaupt nicht vergleichen könne, weil Englisch schließlich die derzeitig Weltsprache ist. Dass stimmt freilich. Wäre ich jedoch Journalist in Frankreich oder England, würde ich mich bemühen die entsprechende Landessprache zu erlernen. Das soll die journalistische Arbeit ja erheblich erleichtern. Und wäre außerdem Ausdruck von Respekt und Interesse.