10 Sätze über das sinkende Schiff

Viel Zeit habe ich in den letzten Tagen damit verbracht, Fotos des auf Grund gelaufenen Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia anzustarren, schamhaft angesichts dessen, was ich dabei empfinde.

Costa Concordia
CC darkroom productions/ Flickr

Die Havarie hat elf Menschen das Leben gekostet, weitere einundzwanzig werden augenblicklich noch vermisst. Fast zweieinhalbtausend Tonnen Schweröle im Rumpf des Schiffes drohen auszulaufen und eines der letzten europäischen Walschutzgebiete zu zerstören. Die vierhundertfünfzig Millionen Euro, die da mit fünfundsechzig Grad Schlagseite im Wasser liegen, sehen ihrer Verschrottung entgegen.

Trotzdem sprüht das Bild des gekenterten Riesenkreuzers in meinen Augen vor Poesie, ist eine Metapher unserer Zeit, ein Icon unserer Hybris, ein Mahnmal.

10 Sätze über das sinkende Schiff weiterlesen

Wir schaffen Erde aus der Stadt

Wie von Straßenstaub verdrecktes Konfetti,
dass ab Aschermittwoch die Gossen verstopft,
zeugt das trockene Laub unter den Bäumen
von der goldgelben Rauscheparty,
die der Herbst hat für uns steigen lassen.

Leicht verkatert hat die Stadtreinigung mit dem Aufräumen begonnen.
Mit Mistgabeln und Schaufeln
schippen Gestalten in orange
mannshohe Haufen abgeworfener Blätter
in die Bäuche tuckernder Müllwagen,
die Fuhre um Fuhre aus der Stadt schaffen.

Vermutlich verschwinden Vororte hinter kompostierenden Deponien.
Oder wir beheizen Bezirke mit der Abwärme beißender Laubfeuer.
Oder Hallenbäder und Saunen.

Nur: Laub besteht nicht nur aus Wasser, das sickert und regnet und fließt von überall her.
Laub muss doch aus Erde bestehen; wie sonst könnte es später wieder zu Erde werden?

Bäume sind sanfte Bohrer, wenn das stimmt.
Das Laub ist ihr Abraum;
ihre Wurzeln transportieren es gen Himmel
und die Müllwagen später gen nirgendwo.
Wir schaffen Erde aus der Stadt.

Sind so womöglich die Gebirge entstanden:
An Orten mit kräftigen Bäumen die Täler und an Orten ohne sanfte Hügel erst,
und später die Berge?