Butler auf dem CSD: Politisch ist anders!

Dass der Berliner Mainstream-CSD schon seit einigen Jahren keine politische Veranstaltung mehr ist, kann niemandem entgangen sein. Zu Abba-Hits im schrägen Elektro-Megamix wackeln sich Boys und Bären, Butches und Femmes in knappen Karnevalskostümen durch die halbe Stadt zur Siegessäule (und dieses Jahr weiter zum Brandenburger Tor), den neuesten Alkopop in der einen und die heiß gelaufene Digicam in der anderen Hand. Grundsätzlich wäre gegen eine halbnackt gefeierte, sommerliche Open-Air-Disko ja auch überhaupt nichts einzuwenden, würde sie nicht an die gefährlichen Demonstrationen von Schwulen und Lesben gegen die gewaltsamen Razzien in Homoclubs im New York der 60er Jahe erinnern und davon ausgehend für die Rechte Homosexueller in unserer Gesellschaft eintreten wollen.

Es stimmt: Zumindest in Städten wie Berlin, Köln, München oder Hamburg dürfen Andersliebende heute am hellichten Tag ausgelassenen feiern. Diese Freiheit wäre ein Grund zu Freude, würden die gutgelaunten Protagonisten in ihrer Sektlaune nicht übersehen, dass es auch heute noch zahlreiche Gesellschaftsbereiche gibt, in denen die Tabuisierung oder gar Stigmatisierung von Homo- oder Transsexualität zum Alltag gehört. Das fängt beim Umgang der Religionen mit der Andersartigkeit an, geht bei der Problematisierung sexueller Diversität in Migrantenkreisen weiter und hört bei der nach wie vor nicht erreichten gesetzlichen Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Partnerschaften noch lange nicht auf. Abgesehen davon kann sich, wer mag, nach wie vor auf kleineren CSDs beispielsweise in in Dresden oder Leipzig von Rentnern anpöbeln oder von Halbstarken mit Stinkefingern beleidigen lassen.

Ein Bewusstsein für diese Probleme will entlang der mit Brauereiständen und Würstchtengrills gepflasterten Demonstrationsstrecke freilich nicht aufkommen, auch, weil sogar die Demonstrationswagen selbst mehr Gummibärchen und Kondome als politische Parolen ausgeben. Der Umstand, dass man sich von einer Brauerei, einem Engerydrink-Hersteller und einem Pharmariesen sponsern lässt, der in den letzten Jahren wegen einer empfindlichen Erhöhung seiner Preise für Aids-Medikamente in die Schlagzeilen geraten war, macht alles noch schlimmer.

Mich persönlich stört außerdem der durch nackte Ärsche und blanke Busen erzeugte Fokus auf das Sexuelle an Homo- und Transsexualität. Nicht, dass ich katholisch erzogen wäre oder irgendetwas gegen den Anblick glücklicher nackter Menschen einzuwenden hätte. Aber dass die Gelegenheit, auf Ausgrenzung und Benachteiligung aufmerksam zu machen, Jahr um Jahr durch die Präsentation  langer angeklebter Wimpern und gepiercter Nippel verschenkt wird, ärgert mich.

Eine sehr hübsche Versinnbildlichung dieses Problems findet sich auf der Internetseite des diesjährigen CSDs. Nach einem Klick auf  “Unsere Forderungen 2010” bleibt die Seite weiß. Als gäbe es keine politischen Forderungen.

Um sich jedoch wenigstens einen dekorativen politischen Anstrich zu geben, wollten die Veranstalter des diesjährigen CSD ihren so gennannten Zivilcouragepreis an die amerikanische Genderkönigin Dr. Judith Butler verleihen. Diese hat sich in den letzten Jahren um eine Neudefinition des Geschlechterbegriffes verdient gemacht und unter anderem die Relevanz des biologischen Geschlechtes in Frage gestellt. Brutal verkürzt gesagt behauptet sie, dass Geschlecht vor allem durch gesellschaftliche Erziehung definiert und durch bestimmte, geschlechtsspezifische Handlungen tagtäglich aufgeführt werde. Von dieser Theorie ausgehend engagiert sie sich sehr stark gegen Diskriminierung und Ausgrenzung sexuell Andersempfindender und kämpft wo immer möglich vehement gegen bestehende Rollenklischees und -begrenzungen.

Wie im Blog von “Im Garten mit Satie” ausführlich nachzulesen ist, weigerte sich Butler jedoch gestern den Preis nach einer wohl sehr saloppen und von peinlicher Unkenntnis geprägten Laudatio der Grünen-Vorsitzenden Renate Künast entgegenzunehmen.  Bei Im Garten mit Satie heißt es über die in deutscher Sprache von einem Blatt abgelesene Begründung Butlers:

Sie habe in den letzten Tagen Einiges über Berlin lernen können und leider auch feststellen müssen, dass sich die Veranstalter_innen des kommerziellen CSDs von rassistischen und islamophoben Äußerungen nicht distanzierten. Unter diesen Umständen könne sie von dieser Seite keinen Preis für Zivilcourage entgegennehmen. Man dürfe sich nicht vor den Karren von Organisationen spannen lassen, die im Namen einer queeren Gemeinde Kriege führten und Bündnisse eingingen, in denen Rassismus sowie Antisemitismus geduldet wurden.

Eine schallende Ohrfeige in die geschminkten Gesichter der Partycrowd, die von der anschließenden Selbstparodie des Moderators wohl so auf die Spitze getrieben wurde, dass ich es ernsthaft bereue, nicht doch dort gewesen zu sein.

PS: Am nächsten Samstag findet der transgeniale CSD in Kreuzberg und Neukölln statt.

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