10 Sätze über die nötige Revision öffentlicher Urteile

“Ich kommentiere natürlich Gerichtsentscheidungen nicht, kann aber sagen: Die Tatsache, dass Hoeneß jetzt dieses Urteil so angenommen hat, nötigt mir hohen Respekt ab.”, sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern in Münchener Pressemikrofone. Auch Seehofer, Seibert und Beckenbauer sind ganz ergriffen von dieser – wovon eigentlich? Von dieser Selbstverständlichkeit würde ich sagen: Ein Gericht fällt nach einem fairen, genau beobachteten und offenbar einwandfreien Prozess ein Urteil und der Verurteilte nimmt es hin. Was bitte soll er denn sonst tun? 10 Sätze über die nötige Revision öffentlicher Urteile weiterlesen

Warum es diskriminierend ist, dass Schwule kein Blut spenden dürfen

Vor eineinhalb Jahren schrieb ich einen längeren Beitrag über den Fakt, das schwule Männer in Deutschland kein Blut spenden dürfen. Der Artikel ist hier nachzulesen. Davon ausgehend wurde heute auf App.net darüber diskutiert, ob das Diskriminierung sei oder nicht.

Es ist Diskriminierung. Ich rechne das im Folgenden gern vor. Warum es diskriminierend ist, dass Schwule kein Blut spenden dürfen weiterlesen

Warum ich nicht will, dass ihr wisst, wie Homosexualität entsteht

Als ich mich outete (und auch der Letzte eingesehen hatte, dass ich nicht behauptete, schwul zu sein, weil ich noch nie eine Freundin hatte, sondern dass ich noch nie eine Freundin hatte, weil ich schwul bin,) brach unter Familie und Freunden ein bunter Wettkampf um die plausibelste Herleitung meiner, nun ja: Andersartigkeit aus. Am Ende gab es leider keinen Gewinner, einen eindeutigen Verlierer aber schon: mich. Warum ich nicht will, dass ihr wisst, wie Homosexualität entsteht weiterlesen

Wer in meiner schwulen Beziehung die Frau ist.

Als ich gestern Abend von der Runde mit meiner Hündin nach Hause kam, begrüßte mich meine Nachbarin im Hausflur und verwickelte mich in ein Gespräch. Meine Nachbarin ist 74, ein bisschen rau, ein bisschen laut, sehr herzensgut. Manchmal passt sie ein Stündchen auf meinen Hund auf, manchmal helfe ich ihr mit ihrem Fernseher. Oft nimmt sie meine Pakete an.

Als unser Geplänkel beendet war und ich schon einen Treppenabsatz genommen hatte, rief sie: “Ach, und-“.
Ich drehte mich um.
“Was ich schon lange mal fragen wollte: Wer ist eigentlich bei euch die Frau?”
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10 Sätze über Nebeneinkünfte von Politikern

Der Versuch, Peer Steinbrück nach seiner Kür zum SPD-Kanzlerkandidaten wegen sehr üppiger Vortragshonorare zum käuflichen Jubelbarden seiner Auftraggeber zu degradieren, ist unanständig, populistisch und irreführend. Deutschen Politikern ist es ausdrücklich gestattet, sich Nebeneinkünfte in beliebiger Höhe zu organisieren, solange sie diese bestimmten Regeln folgend offenlegen – was Peer Steinbrück stets fristgemäß und einwandfrei getan hat. Das Problem ist also, dass Steinbrücks Verhalten eigentlich kein Problem ist.

Wie mir die Fabeln Gauselmann und die FDP, Gerhard Schröder und Gazprom oder auch Mario Draghi und Goldman Sachs lehrten, hat die Bezahlung von Politikern durch Unternehmen nämlich immer ein Geschmäckle, und zuweilen ein unerträglich fauliges.

Dabei ist es weniger kompliziert, als es scheint: Wenn wir möchten, dass die hellsten und kompetentesten Köpfe unserer Zeit Karriere inder Politik und nicht in der Wirtschaft machen, müssen wir ihnen Diäten zahlen, die mit den Gehältern in der freien Wirtschaft mithalten können, auch wenn das teurer wird als bisher. Im Gegenzug dürften wir dann aber erwarten, dass diese von uns gewählten und bezahlten Politiker für uns arbeiten – und für niemanden sonst. Soweit ich das verstanden habe, sind Parteivorsitzender, Minister und sogar Abgeordneter ohnehin Full-Time-Jobs die – sofern man sie gewissenhaft ausfüllen möchte – gar keine Zeit für Nebentätigkeiten lassen.

Zur Vermeidung von Interessenkonflikten und Korruptionsvorwürfen sollten wir Politiker wenigstens für die Dauer ihrer Mandate dazu verpflichten, auf jegliche Nebeneinkünfte zu verzichten. Das freilich werden wir nie tun – denn wer sollte es in unserem Namen beschließen?

Warum ich sehr wohl etwas zu verbergen habe

„Ich habe doch nichts zu verbergen.“

Dieser Bereich wird videoüberwacht.
Dieser Bereich wird videoüberwacht.

Dieser Satz begleitet mich treu. Er fällt in Diskussionen über Onlinedurchsuchung und Bundestrojaner. Er fällt in Debatten über die Vorratsdatenspeicherung. Wenn es um INDECT geht. Um Fingerabdrücke im Pass und biometrische Fotos. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit in einer Wohnanlage der DDR-Volksarmee.

Er fällt immer am Ende des Gesprächs, jedenfalls am Ende des vernünftigen Teils. Ab hier wird’s grundsätzlich, anstrengend und erfahrungsgemäß sowieso nichts mehr. Ich stehe auf, rufe „Bullshit-Bingo!“ und wechsle Thema oder Gesprächspartner. Das ist arrogant und destruktiv. Ich fürchte mich vor schlechtem Karma. Zur Selbstkasteiung werde ich jetzt in ruhigem Ton zu erklären versuchen, warum ich sehr wohl etwas zu verbergen habe.
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Können Deutschlandfähnchen jemals unpolitisch sein?

Die gnadenlose Beflaggung von Gegenständen und Personen anlässlich beliebiger Fußball-Turniere wuchert. In diesem Jahr habe ich erstmals schwarz-rot-goldenes Augen-Make-up und nationalfarbene Dessous wahr genommen. Ich wundere mich.

In meiner Kindheit waren die Straßen zum ersten Mai mit Landesfahnen geschmückt. Am Tag der Arbeit hatte jeder seiner Liebe und Treue zum Arbeiter-und Bauernstaat Ausdruck zu verleihen. Das war oft unauthentisch, aber immer politisch. Sehe ich heute eine Deutschlandfahne im öffentlichen Raum, denke ich zuerst an: Fußball.
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Fürchten Sie sich vor Schwulen, Cordula Drechsler?

Der Shitstorm wütet, und das ist auch gut so. In your face, Cordula Drechsler! Das Mitglied des Stadtrats im sächsischen Bad Lausick verschickte am 29. März folgende E-Mail an den offen homosexuell lebenden parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen Volker Beck.

“Homosexueller Herr Beck,

es gibt noch westliche Länder (wie Rußland), von den islamischen Ländern mal ganz zu schweigen, die Farbe bekennen zu Homosexualität.

Auch in Deutschland denkt die Mehrheit der Bevölkerung so, sie getraut es sich nur (noch nicht) zu sagen.

Sie sollten sich in Zukunft überlegen, ob Sie nach Rußland fahren und auch in Deutschland dürfte Ihr Leben schwerer werden, mal abgesehen im (noch nicht) von Muslimen komplett dominierten Berlin (dann werden Sie auch ein schwereres Leben haben).

Es gab in jeder Zeit in Europa Entwicklungen, die eine Minderheit der Bevölkerung widerspiegelten, so auch jetzt mit der Homosexualität.

Auch diese Entwicklung wird sich in sehr kurzer Zeit als Fehlentwicklung zeigen und nicht als nachhaltig tragfähig für den Fortbestand einer Gesellschaft erweisen.

Leute wie Sie Herr Beck braucht das deutsche Wählervolk beim besten Willen nicht

Mit heterosexuellen Grüßen aus dem erzkonservativen Freistaat Sachsen

Cordula Drechsler”

Die Presse, die FDP, Herr Beck selbst und die große, weite Blogosphäre haben sich gebührend echauffiert, so dass ich mich nun der Frage zuwenden kann, was um alles in der Welt die arme Frau wohl geritten hat, derartig hohle Stammtischparolen ohne Scham in die politische Welt zu rülpsen. Daher schrieb ich ihr heute: Fürchten Sie sich vor Schwulen, Cordula Drechsler? weiterlesen

Volkseigentum Kunst? Mir fehlt die Fantasie, Piraten!

Ich würde den Piraten so gerne auch ein euphorisches Ahoi! entgegenrufen. Ihre Idee, den Zugang zum Internet zu einem Grundrecht zu erklären, finde ich großartig. Regelrecht verliebt bin ich in ihre queeren Gedanken zur Familienpolitik. Beispielsweise den, künftig keine Lebensgemeinschaften mehr zu fördern sondern Kinder. Außerdem habe ich ein ausgeprägtes Faible für Schrulligkeit.

Doch leider kentert mein fröhliches Ruderboot zum glitzernden Piratendampfer in der hohen Welle, die den Begriff “geistiges Eigentum” verwässern will. Die Diskusion wird breit geführt, aber im Grundsatzprogramm steht:

“Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit.”

Bedeutet das im Klartext, dass nur Kaspar Hauser einen Roman schreiben darf, der wirklich ihm gehört? Volkseigentum Kunst? Mir fehlt die Fantasie, Piraten! weiterlesen

Konsumiert nicht, gestaltet! Eine Laudatio den Aufständigen.

Ich gestehe unumwunden: Ich mag Joachim Gauck. Das ist weder rational noch objektiv, aber eben nicht zu leugnen. Dementsprechend voreingenommen bin ich. Daher hatte ich beschlossen, eine Nacht über seine Antrittsrede zu schlafen, um mit etwas Distanz und einem kühlen Herzen vielleicht doch noch Kritikwürdiges zu entdecken, Nichtgesagtes, Verschwiegenes, Missgedeutetes oder Missverstandenes. Aber es bleibt dabei: Ich bin begeistert. Ich finde, Gauck hätte es nicht besser machen können. Ich empfehle nachdrücklich, seine Rede selbst durchzulesen oder anzusehen.

Weil meine geneigte Leserschaft von mir aber guten Service gewohnt ist, hier eine Zusammenfassung der Punkte, die mich persönlich am stärksten berührt haben:
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