4 x 10 Sätze: Der Rundum-Rant zur Bundestagswahl

10 Sätze über die Merkel-Raute
Man muss kein Rhetorik-Trainer sein um zu begreifen, wofür diese Geste steht: Für Hilflosigkeit. Sie ist die einfachste Antwort auf die quälende Frage: Wohin mit meinen Händen? Sie ist der letzte gute Tipp, der Menschen, die nicht gern vor Menschen sprechen mitgegeben wird, bevor man sie auf die Bühne schubst. Sie ist der Strohalm, der vor dem Vergraben der Hände in den Hosentaschen oder dem Verschränken derselben auf dem Rücken bewahrt. Sie ist die letzte Rettung um sich nicht nervös in den Haaren zu spielen oder an den Nägeln zu kauen. Sie steht für Unsicherheit, fehlende Körperspannung und die Abwesenheit charakteristischer Gesten, um die eigenen Worte zu unterstreichen. Ganz bestimmt steht sie nicht für Stabilität, Ausgewogenheit oder eine Vagina. Ich komme mir ganz persönlich verhöhnt vor, wenn die CDU ausgerechnet diese hohle Geste auf ein hauswandgroßes Riesenposter zieht. Ich bin für Inhalte in Wahlkämpfen und gegen die Etablierung von Verlegenheitsgesten als eingetragene Warenzeichen. Und ich möchte nicht für bescheuert gehalten werden.

10 Sätze über Nicht-Wähler
Ich bestreite, dass Nicht-Wählen irgendeinen anderen Zweck hat, als sich auf das angenehme Polster der Totalverweigerung jeglicher Verantwortung zurückzuziehen. Nicht-Wählen ist bequem und feige aber bestimmt nicht sinnvoll. Mit einer frechen Nicht-Wähler-Attitüde auf den Lippen kann man sich wunderbar Abgrenzen von „denen da oben“, „dem System“, „dem Kapitalismus“ und „dem dummen Wahlvolk“. Ganz nebenbei spart man sich durchs Nicht-Wählen auch die aufreibende Auseinandersetzung mit Wahlprogrammen, manche sparen sich dadurch sogar das politische Denken an sich. Wer nicht wählt, macht es sich leicht. Wer nicht wählt, weigert sich einzusehen, dass es auf komplizierte Probleme keine einfachen Antworten gibt und dass eine politische Ideologie niemals 1:1 in die Realität übersetzt werden kann. Wer nicht wählt, umschifft die Notwendigkeit von Kompromissen, kleinen Schritten und Abstrichen. Und kommt sich in seiner Denkfaulheit noch klug vor, weil er Tucholsky auf seiner Seite wähnt. Von wegen „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten“ und so. In einem Land, in dem keine Revolution ansteht, kann sich die politische Richtung nur durch Wahlen ändern. Oder durch eigenes politisches Engagement, was den meisten Nicht-Wählern jedoch viel zu anstrengend sein dürfte.

10 Sätze an vom Wahlkampf gelangweilte Bürger und Journalisten
Soweit ich das verstanden habe, dienen Wahlkämpfe nicht der Unterhaltung. Wer also vom Wahlkampf gelangweilt war, sollte es vielleicht mal mit einem Musical versuchen. Es regt mich auf, wenn ein Foto einer humoresken Interview-Reihe einer Unterhaltungsbeilage zum Skandal aufgeblasen wird. Es ist symptomatisch: Eine einfache Geste, kein Tiefgang, keine komplizierten Fragen, aber ein herrlicher Aufhänger für überbordende Empörung. Empörung können wir (ich zuvorderst), Empörung mögen wir (dito), aber Denken und Diskutieren mochten manche früher mehr. Der Trittin ist ein Pädophiler, der Gysi ein rhetorisch brillanter Hochstapler in der falschen Partei und der Brüderle ein permanent angeschickerter Hotel-Lobbyist, den Blick eine Etage zu tief. Das reicht schon, denn Inhalte sind kompliziert und langweilig. Deshalb schießt man sich lieber auf die persönliche Bewertung der Spitzenkandidaten ein und behauptet, die Programme der Parteien würden sich sowieso alle gleichen. Das tun sie mitnichten. Die meisten Parteien versuchen Antworten auf die gleichen Fragen zu geben – Lohnniveau, Energiewende, Rente, Steuern, Familenpolitik – aber diese Antworten fallen durchaus unterschiedlich aus. Leider reicht die twittereske Aufmerksamkeitspanne der vom Wahlkampf Gelangweilten offenbar nicht aus, sich so weit einzulesen oder den Diskussionen so weit zu folgen. Manchen ist ja schon der Wahlomat zu anstrengend.

10 Sätze an Demoskopen & Demagogen
Mich hat noch nie einer von denen gefragt, wen ich wählen werde. Niemanden, den ich kenne hat bisher einer von denen gefragt, wen er wählen wird. Es ist ein Witz zu behaupten, Umfragen seien repräsentativ.
In den Augen von Demoskopen bedeutet repräsentativ, dass das Feld der Befragten die Alters- und Einkommensverteilung der Wählerschaft abbildet. Das einzige, was in meinen Augen repräsentativ ist, ist das Ergebnis der Wahl. Warum sollten Leute im gleichen Alter und mit gleichem Einkommen auch das gleiche denken? Und wie soll vorhergesagt werden, wie sich die Menschen entscheiden werden, die heute selber noch gar nicht wissen, wen sie wählen? Ich halte Demoskopen für sich selbst überschätzende, zahlenverliebte Wahrsager, deren Prognosen unter anderem deshalb nahe an der Realität liegen, weil sie auf allen Kanälen mantra-artig wiederholt werden. Ich prophezeie, dass die Demoskopen am Sonntagabend neben Hochrechnungen auch Ausreden präsentieren werden. Es wird eine große Überraschung geben. Das habe ich nicht in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, sondern heute morgen unmissverständlich aus dem Satz meines Jasmintees gelesen.