U wie Ueberraschungen
Überraschungen wirken wie Power-Ups in Jump‘n‘Runs. Die Kollegen von
Caren waren so eine Extrabatterie (siehe Y wie Yeah), aber auch unsere
Supporter hatten sich einiges einfallen lassen, mit dem ich nicht gerechnet
hatte. Vor dem fiesesten Nachtanstieg beispielsweise zeigten sie jedem von
uns ein Video, dass unsere Partner für uns aufgenommen und unbemerkt auf
unsere Handys gespielt hatten. Wirkte wie ein Extra-Leben. An Checkpunkt 3
wartete eine Babywanne mit kaltem Wasser für ein Fußbad. An Checkpunkt 8
gab es frische, heiße Spiegeleier im Brötchen. Spätestens dort versteht
man, das Freude eine hormonelle Angelegenheit sein muss, die Schmerz- und
Ermüdungssignale abschwächen kann. Mir hat es ungeheuer gut getan, durch
die Überraschungen gelegentlich aus meinem Tunnel gekickt zu werden.
V wie Vorbereitung
Vielleicht verrate ich ein wesentliches Geheimnis, aber ich kann es nicht
für mich behalten. Der Lauf ist nicht die ganze Herausforderung. Mindestens
die Hälfte der Challenge liegt in der Zeit von deiner Entscheidung für den
Trailwalker bis zu seinem stattfinden. Und weil man sich auf die
Vorbereitung schlecht vorbereiten kann, ist sie sogar der fiesere Teil. Alle
vier Läufer unseres Teams waren in der Woche vor dem Trailwalker
gesundheitlich stark angeschlagen. Am wenigsten aber Thomas, der sich sich
wegen einer beruflichen Prüfung gar nicht so sehr um den Lauf kümmern
konnte. Der psychische Druck war enorm. Zum einen die Frage: Habe ich alles?
Tagelang. Listen schreiben, Punkte streichen, neue Punkte dazu schreiben.
Alles zusammensuchen, alles einpacken, alles auspacken, alles überprüfen,
alles wieder einpacken. Habe ich alles? Zum anderen die Frage: Mache ich das
richtig? Will ich wirklich Schuhe wechseln? Wenn ja: Welche will ich
anziehen? Oder bekomme ich dann erst recht Blasen? Jedes Jahr müssen Leute
wegen Blasen aufhören! Will ich Stöcke? Oder sind sie nur Ballast? Welche
Regenjacke nehme ich mit? Welche Snacks? Es war furchtbar. Es sind kleine
Entscheidungen, aber sie können entscheidend sein. Zum dritten die Frage:
Schaffe ich das? In Wirklichkeit ist das keine Frage sondern eine Angst. Es
gab Momente, in denen sich Caren einen Tornado am „Wettkampfwochenende“
wünschte, um nicht an den Start gehen zu müssen oder aufhören zu dürfen,
wenn es schwierig wird. Zu V wie Vorbereitung gehört auch die auf S wie
Scheitern. The hardest part.
W wie Wahrnehmung
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, man hat uns bei der
letzten Etappe angelogen. Nie und nimmer waren das 8 Kilometer. Das waren
mindestens 12. Wahrscheinlich 16. Der Weg war breit und steinig und
streckenweise hatte ich den Eindruck, ich liefe auf einem
Flughafentransportband in die falsche Richtung. Minutenlang veränderte sich
gar nichts. Auf den letzten beiden Kilometern wurde es noch schlimmer: Ich
konnte nicht mehr. Ich vermute das lag daran lag, dass ich wusste es ist
nicht mehr weit. Hätte die Zielmarke bei 130 km gelegen, wäre vielleicht
noch etwas gegangen. So aber ächzte ich bei jedem Schritt. Als ich im
Nachhinein erfuhr, dass wir für die 8 Kilometer nur 1 Stunde 45 gebraucht
hatten, zweifelte ich erneut an mir.
X wie * wie Sterne
Die Nacht ist zauberhaft. Man kann die Milchstraße sehen und doppelt so
viele Sterne wie in Leipzig, vier mal mehr als in Berlin. Man muss über den
Kosmos nachdenken, wenn man das sieht. Darüber, wie klein wir sind und wie
wenig wir wissen. Darüber, wie viele Abenteuer erlebt werden wollen und
welch ein Zufall es ist, dass die Dinge sind wie sie sind. Man wundert sich
über so viele so kluge Zufälle und denkt an Gott. Dann stolpert man.
Y wie Yeah!
Als wir vom Kornmarkt in Osterrode aufbrachen, standen mit die Tränen in
den Augen, Caren ging es genauso. Der Start war gesäumt von Fans und
Einheimischen die jubelten, klatschten, lachten und Mut machten. Entlang der
Strecke blies uns eine Blaskapelle den Marsch und sorgte für übertriebene
Idylle. Auf einer Bank saß ein Pärchen und verschenkte Kekse. In der Nacht
funkelten Kerzen, mit denen Menschen ihre Gitarren beleuchteten, um uns ein
Ständchen darauf spielen zu können. An einem Checkpunkt wurden wir von
drei Kollegen von Caren mit ein Plakat empfangen. An anderen Checkpunkten
standen Fremde mit Pompoms. An einem wurden wir von einer Moderatorin mit
Mikrofon schon über hunderte Meter Entfernung bejubelt. Mein Telefon stand
nicht still. Im Ziel warteten Carens Eltern. Das hat so gut getan! Das war
so wichtig! Ich habe diese Energie, diese Liebe aufgesaugt wie ein Schwamm
und in meinem Herzen zu Wasserdampf für meine Beinbollwerke verwandelt. Ich
kann mir nicht denken, wie es hätte ohne gehen sollen. Besonders
beeindruckt war ich von der Wirkung der Trommler, denen wir leider nur drei
Mal entlang der Strecke begegneten. In ihren Rhythmus konnte ich mich
einklinken wie in einen Skilift, dessen Drahtseil mich ohne Anstrengung
Berge hinaufzieht. In Fußgängerzonen bin ich von der Monotonie die
Trommelgruppen verbreiten schnell genervt. Im Wald habe ich endlich kapiert,
was sie meinen.
Z wie Zeit
Ich war sehr froh darüber, dass wir vom Fleck weg ein gutes Tempo liefen,
etwas schneller als bei der Generalprobe. Trotzdem: Weniger als 30 Minuten
nach dem Start waren wir die letzten. Hinter uns (ungefähr 10 cm hinter
unseren Hacken) fuhren nur noch die beiden Mountain-Biker, die das Feld
schlossen und versuchten, sich mit Heldengeschichten vergangener Radrennen
gegenseitig zu übertreffen. Das nervte. Fast noch mehr als das Gefühl, das
langsamste Team von allen zu sein. Weil einer Läuferin ein Stein in den
Schuh gefallen war, gelang es uns schließlich doch, ein anderes Team
einzuholen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Wir erfuhren, dass sich
jedes Jahr Teams am Anfang der Strecke mit der Geschwindigkeit übernahmen
um sich in der Mitte im irgendwo im Graben wiederzufinden. Das andere Team
hatte schon mehrfach am Trailwalker teilgenommen, weshalb mich diese Aussage
sehr beruhigte. Es gibt Teams, die nach 13 Stunden am Ziel sind. Der
Durchschnitt liegt wohl bei 26 Stunden. Wir haben 28 gebraucht. Ich glaube,
dass es sehr wichtig ist, sein Tempo zu finden und durchzuhalten. Schneller
zu laufen als angenehm kostet zu viel Kraft und langsamer zu gehen auch. Der
Lauf ist in 30 Stunden gut zu bewältigen.
Lieber Ronald.Wir haben letzte Woche mit dir mitgefiebert und mitgefühlt.Heute haben wir deine sehr interessanten und gefühlvollen Ausführungen gelesen.Es war ALLES einfach eine prima Leistung!Uns hat besonders euer kameradschaftliches Miteinander gefallen. Dauer der Mail ca.5 km.;-) Liebe Grüße von Carolin&Bernd.
Lieber Ronald und liebe (Lauf)kameraden,
auch wir wollen uns den Bemerkungen und Glückwünschen von Mama und Papa anschließen.
Wir sind sehr erstaunt, wie der als gemein bekannte “Ottonormalverbraucher” in Gestalt von dir und deinen Mitläufern solche hervorragenden und überdurchschnittlichen Leistungen vollbringen kann. Dazu möchten wir euch nochmals gratulieren und euch unsere Hochachtung für diese Leistung überbringen.
Wir möchten an dieser Stelle auch nochmal erwähnen, dass ihr diesen Marsch nicht nur für eure eigene Herausforderung, sondern auch für humanitäre und unterstützende Spenden gegangen seid, in Gedanken an Menschen in den unfruchtbaren Gegenden Afrikas, die ähnliche Märsche für die Beschaffung einer geringen Menge Nahrung und Wasser auf sich nehmen.
Viele Grüße und beide Daumen hoch
Franzi und Robi
Oh, danke, das ist aber lieb von euch! Vielen Dank! Der Lauf war eine Erfahrung, von der ich noch lange zehren werde. Obwohl: ein bisschen scharre ich schon wieder mit den Hufen. So ein Projekt im Leben hat sich sehr gut angefühlt. Mit allem drum und dran haben wir etwas mehr als 4.000 € gesammelt. Davon können 2 Getreidespeicher gebaut. werden. Und schon dafür hat sich die Schinderei gelohnt.