Oxfam Trailwalker: Hoffnungen & Ängste vor der Generalprobe

In drei Wochen ist es soweit – mit fünf Freunden werde ich versuchen, innerhalb von 30 Stunden einhundert Kilometer zu wandern. Gleich werden wir in den Harz aufbrechen, um auf der Originalstrecke fünfzig Kilometer zu laufen. Ich bin überrascht darüber, was ich bisher begriffen habe und wovor ich mich fürchte.

1. Es geht nicht um Ausrüstung. Es geht um dich. Sicher, du brauchst gute Schuhe. Aber gut bedeutet: Schuhe, die deine Füße lieben. In meinem Fall sind das eben nicht die Hi-Tech-Wanderschuhe für 200 Euro, sondern einfache Turnschuhe. Manche brauchen Funktionskleidung, aber mich macht sie nervös, weil ich mich verkleidet fühle. Manche brauchen Stöcke, aber ich finde keinen Rhythmus damit. Manche brauchen Eiweißriegel, ich glaube an Bananen. Herauszufinden, was für mich richtig ist, war nicht einfach. Insbesondere dann nicht, wenn meine Wahl den Vorschlägen des Trainingshandbuchs widerspricht. Es geht um Selbstvertrauen im wörtlichen Sinne von: Sich selbst vertrauen. Ich hoffe, ich liege richtig.

2. Körperliche Fitness schadet nicht. Aber sie ist nur die halbe Miete. Einhundert Kilometer Fußmarsch sind kein Spaziergang – für niemanden. Unabhängig davon wie viel du trainiert hast, wirst du an den Punkt kommen, an dem es nervt wie Sau. Und wenn du an diesem Punkt bist, bist du sehr wahrscheinlich leider noch nicht da. Ich glaube schon, dass mich meine Füße 50 Kilometer weit tragen. Heute Abend werde ich es wissen. Auf den restlichen 50 Kilometern wird die Herausforderung darin bestehen, weiterhin stoisch einen Fuß vor den anderen zu setzen – auch wenn es ziept. Es wird darum gehen, zu beißen. Das wird hart für mich, denn Selbstdisziplin ist nicht meine Stärke. Ich nehme mir vor, wirklich erst dann aufzuhören, wenn ich meinen Körper andernfalls ernsthaft verletze. Ich nehme mir aber auch vor, diese Grenze nicht zu verpassen.

3. Weil ich davon ausgehe, so stark mit meinem Körper konfrontiert zu sein, tritt für mich auch das viel beworbene Thema Teamgeist in den Hintergrund. Oh ja, unsere gemeinsamen Übungswanderungen sind toll – wir singen viel und machen alberne Witze, aber wir führen auch tolle Gespräche. Ich hatte Gelegenheit, zwei meiner Mitläufer, die ich bisher nur flüchtig kannte, näher kennenzulernen und das ist spannend. Und toll. Und natürlich kann man einander über Phasen von Müdigkeit, Erschöpfung und Resignation hinweghelfen.

Aber ich kenne mich gut genug um zu wissen, dass ich still werde, wenn es mir wirklich schlecht geht. Und dass man mich dann besser in Ruhe lässt, weil ich auf jede Ansprache mürrisch, stachlig und zynisch reagiere, gerade dann, wenn sie der Aufmunterung dienen soll.

Es gibt ein Video von mir und einer sehr engen Freundin im tiefsten walisischen Watt. Ich filme. Man sieht meine Füße und wie sie mit jedem Schritt tief im Muschelschlick versinken. Ich stöhne vor Schmerz. Später werde ich entdecken, dass meine Fußsohlen völlig zerschnitten sind. Ich halte an vor Erschöpfung und drehe mich um. Irgendwo am Horizont steht meine Freundin. Leicht gebückt, ihre Arme baumeln in ihrem Schoß. Sie ächzt. Sie sagt, sie könne nicht mehr weiter. Ich sage, dass sie aber weiter müsse. Ich sage, dass ich nicht zu ihr zurückgehen werde, es sei denn, sie werde ohnmächtig. Ich sage, dass es schmerzhaft genug ist, hier auf sie zu warten irgendwann drehe ich mich tatsächlich um und laufe weiter.

Ich habe Angst vor dem Punkt, an dem es bei mir vorbei ist mit dem Teamgeist und ich nur noch für mich selbst sorgen kann. Ich möchte so nicht sein. Aber ich bin nicht Indiana Jones.

Ich frage mich, was passiert, wenn ich derjenige bin, der Hilfe braucht, weil er nicht mehr kann. Insgeheim denke ich, an diese Grenze zu gelangen und Hilfe zu erfahren, könnte sich wie eine Initiation anfühlen. Auch davor fürchte ich mich.

Mir fällt ein, dass ich mich zu Beginn des Trainings vor allem vor Fußblasen fürchtete. Ich kichere.

Jetzt aber ich muss los. Meine Freunde werden gleich hier sein.

Nur eins noch: Über Spenden freuen wir uns nach wie vor. Wie Sau.

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