Tot sein auf Facebook

Trauer ist eine sehr persönliche Angelegenheit.

Ich habe diese Binsenweisheit nun einige Minuten angestarrt. Vorher noch etwas länger ein Foto in meinen Facebook-Neuigkeiten. Nebenbei habe ich darüber nachgedacht, ob Pietät mit Würde zu tun hat, mit Höflichkeit oder mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Ich bin unsicher.

Für den Fall, dass ich dereinst sterbe, verfüge ich (u.a.) Folgendes:

  1. Ich möchte nicht, dass sich einer meiner Facebook-Freunde mein Profilfoto runterlädt, um es erneut auf meiner Pinnwand zu teilen, nachdem er in fetten schwarzen Großbuchstaben „R.I.P.“, „Du wirst uns fehlen fehlen…“ oder „Wir werden dich nie vergessen!!!“ darauf gesetzt hat.
  2. Ich will nicht, dass meine übrigen vierunddrölfzig Facebook-Freunde diesen Beitrag ihrerseits auf Pinnwänden teilen können, sodass deren zwohunderthastenichgesehen Kumpels „Aufrichtiges Beileid“ darunter kritzeln dürfen.
  3. Ich verwahre mich dagegen, dass irgendwer diese laue Instant-Beinahe-Traurigkeit mit „Gefällt mir“ markieren darf.

Aber ich würde gerne verstehen, warum andere Menschen das tun.

Mein Tod soll bitte kein Facebook-Event werden. Facebook ist ein börsennotiertes US-Unternehmen, das mit dem Erzeugen, Halten und Verkaufen von Aufmerksamkeit Geld verdient. Facebook ist in meinen Augen kein adäquater Ort der Trauer. Ich sehe, dass es viele Menschen nutzen, um den Kontakte zu ihrem Umfeld zu pflegen, aber schon das ist mir suspekt. Wann immer ich Facebook nutze, komme ich mir manipuliert vor. Schließlich entscheidet Facebook und nicht ich, welche Neuigkeiten mir angezeigt werden.

Den Mann, von dessen Tod ich heute auf Facebook erfuhr, kannte ich gar nicht. Sein Foto erschien für mich unter einer Anzeige eines Herrenausstatters und über einem Rezept für veganen Käsekuchen. Es war dort falsch. Ich habe sein Profil besucht, damit ich ihn einordnen konnte und Facebook hat mir vorgeschlagen, ihm eine Freundschaftsanfrage zu schicken.

Das Sterben ist eine alltägliche Sache, ich weiß. Es wird genauso beständig gestorben, wie gebacken und geshoppt wird. Neben den Traueranzeigen in der Tageszeitung schalten die Bestatter seit Jahrzehnten Werbung, ohne dass ich mich je veranlasst sah, darüber zu bloggen. Wenn wir unser Leben teilweise auf Facebook stattfinden lassen, findet auch unser Tod teilweise dort statt. Außer mir überrascht das wahrscheinlich niemanden.

Unter den Traueranzeigen in der Zeitung prangt allerdings kein hellblaues Daumen hoch. „Aufrichtiges Beileid“ in einem Facebook-Kommentar ist genau das eben nicht. Es ist ein schnelles „Hier, ich!“-Rufen wie das allermeiste auf Facebook. Es ist Ausdruck einer flüchtigen Wohlfühl-Betroffenheit, unangenehm genug, dass sie mich schaudern und kurz über den Tod nachdenken lässt, aber weit genug weg, um mich im innersten ungerührt zu lassen. Es ist eine Form von Eigeninszenierung und Selbstdramatisierung. Es wird dem Verstorbenen nicht gerecht. Vielleicht geht es gar nicht um den Verstorbenen. Vielleicht geht es nicht einmal um die Verarbeitung des Verlustes des Verstorbenen.

4. Ich möchte, dass mein Facebook-Profil nach meinem Tod bitte genauso plötzlich verschwindet wie ich.

Noch besser wäre es, ich könnte mich noch zu Lebzeiten von eben diesem trennen.

Ein Gedanke zu „Tot sein auf Facebook“

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