1266 Fotos später: Ratlosigkeit

Vom 01. Januar 2010 bis zum 17. Juni 2013 veröffentlichte ich jeden Tag ein Bild auf fotos.ronaldgerber.de. Ich weiß nicht genau, was dann passierte.

Auf die Idee mit dem Blog kam ich aus Trotz. Noch nie war ich so uninspiriert, unkreativ und stumpf wie in diesem Winter von 2009 auf 2010. Ich befürchtete, erwachsen zu werden. Schon geraume Zeit hatte ich aufgehört, Gesichter in Dingen zu entdecken, Mutproben auszutragen oder an Geister zu glauben. Ich fühlte mich abgeklärt. Mir war mein Blick fürs Schöne, Kitschige, Magische abhanden gekommen und meine kindliche Freude darüber. Ich hatte aufgehört mich zu wundern: Über das Leben, über den Tod und alles dazwischen. Mir passte das nicht. Ich langweilte mich. Im Sinne von: Ich war von mir gelangweilt.

So dachte ich: Was, wenn du dir eine Knipse kaufst und dir vornimmst, jeden Tag ein Foto zu machen? Und was, wenn du einen Blog daraus bastelst und die Adresse an deine Freunde schickst? Das funktionierte. Ich lernte wieder Sehen und das war verblüffend einfach. Ich trug die Kamera immer bei mir und jeden Tag entdeckte ich etwas Sehenswertes, und an den Tagen, an denen ich nichts entdeckte, pinkelte ich eben selbst ein Herz in den Schnee.

Schnell wurde das Bildermachen eine Verabeitungsstrategie für mich. Wenn ich etwas fand, dass mir in seinem Verlorensein leid tat, dass ich aber nicht besitzen wollte, machte ich ein Foto davon. Wenn ich etwas entdeckte, an dem ich nicht achtlos vorübergehen konnte, mit dem ich aber auch nichts anzustellen wusste, fotografierte ich es. Begegnete mir etwas, dessen Schönheit im Vergehen bestand, hatte ich einen Trick.

Wenn etwas Schreckliches passiert war, machte ich ein Foto, passierte etwas Wunderbares, erst recht. Manche meiner Freunde fühlten sich durch die Anwesenheit der Kamera zur Eskalation genötigt, was ich überaußerordentlichsehrstark genoss. Manche Fotos sind zu für mich persönlich sehr wertvollen Zeugnissen für unvergessliche Tage oder  bedeutender Abende geworden. Mir ist ein bisschen peinlich, wie viele Selbstporträts dabei sind, aber das muss will ich ein andermal erklären.

Die Fotos erschienen nie an dem Tag, an dem ich sie aufgenommen habe sondern in der Regel ziemlich genau einen Monat später. Ich kann es einfach nicht einrichten, jeden Tag um Punkt 12 ein Bild hochzuladen und nicht jeder meiner Tage ist fotogen. Also saß ich an einem Wochenende im Monat an meinem Rechner, „entwickelte“ Bilder und bestückte den Blog. Ich bin ein sentimentaler Mensch und so gefiel mir, dass es diese Galerie gab, die mir mit einem Monat Abstand nachlief. Als die Bilder erschienen, hatten sie schon eine gewisse Patina.

Obwohl es in Zeiten, in denen es mir schlecht ging nicht einfach war, den Blog am Laufen zu halten, kriegte ich das irgendwie hin. Wohl auch, weil ich Schwankungen im Niveau der Bilder duldete, schließlich gibt es die ja auch im Niveau meines Lebens. Mit Wohlwollen beobachtete ich wie Cluster von Bildern entstanden, die enthüllten, was mich interessiert: Bäume, Gestalten, Aliens.

Ich dachte, irgendwann wird etwas daraus. Vielleicht ein Buch, wenn dir Texte dazu einfallen. Oder eine Ausstellung, wenn es genügend Fotos zu einem Cluster gibt. Oder wenigstens ein Archiv, mit dem ich die Texte für meinen Blog bebildern kann. Stattdessen blieb der Blog, was er war: Eine chaotische Bildersammlung, deren täglicher Neuzugang 24 Stunden Fame genießen durfte, um dann in der immer breiiger werdenden Gulaschsuppe der schon vorhandenen Fotos untergerührt zu werden. Ich habe keine Entwicklung gemerkt und ich hatte keine Idee für eine Entwicklung, die ich hätte forcieren können. Den Besuchern der Seite ging es offenbar ähnlich. Zuletzt gab es an manchen Tagen nur 15 Besucher.

Irgendwann sprach mich eine Kollegin an, was mit meinem Fotoblog kaputt sei. An diesem Tag stellte ich fest, dass die Veröffentlichung des letzten Bildes genau eine Woche zurück lag. Dass es erst jetzt einer merkte, dass nicht einmal ich es eher bemerkt hatte, war der letzte nötige Beweis für mich. Der Blog hatte sich überlebt.

Jetzt steht er verwaist im Netz herum und ich weiß nicht, was ich damit machen soll. Jemand ‘ne Idee?

3 Gedanken zu „1266 Fotos später: Ratlosigkeit“

  1. Du weißt ja, ich mochte deine täglichen Bilder sehr und vermisse sie manchmal. Dein (festgehaltener) Blick auf die Dinge hat mir immer sehr viel gegeben und mich oft zum Lächeln oder irgendwie nachspüren gebracht.

    Dass es sich für dich nicht mehr richtig anfühlt ist schade, aber ich finde auch: ein Zeichen, dass es das eben jetzt nicht ist. Aber das verwaist im Netz herumschwirren finde ich okay und irgendwie schön. Ich bin immer sehr traurig, wenn solche Dinge “einfach” verschwinden und damit für viele verloren sind.
    Ich bin keine Freundin des Vergessens und Abschließend im Netz. Ich mag das so.

  2. Mir ist es eher als nach einer Woche aufgefallen, auch ich hab’ spätestens alle zwei, drei Tage nach Deinen Bildern gesehen.

    Wir kennen uns nicht persönlich (obwohl wir zufällig in der selben Stadt leben, was die Photos für mich irgendwie persönlich gemacht hat, weil ich viele Orte wiedererkannt habe – entweder im Bild oder in der Wirklichkeit), deshalb kann ich dazu nur sagen, dass es Dein Projekt ist und wenn Du es nicht mehr fühlst, ist es wohl zu ende. Leider kann mensch nichts erzwingen, schon gar nicht Inspiration – das haben diejenigen, die sie “konsumieren” zu respektieren.

    Warte doch einfach ab, vielleicht kommt irgendwann wieder eine Phase, in der Du den Impuls hast, so oder ähnlich weiter zu photographieren (und die Bilder zu teilen)? Und wenn nicht, sind die Bilder und der Blog eben eine Art Zeitzeugnis von Dir, so, wie sie jetzt da stehen.

Kommentare sind geschlossen.