Aktion Kinder in Gefahr

Anfangs war ich der festen Überzeugung, es mit einer kongenialen Satire zu tun zu haben. Und ein Teil von mir glaubt das offen gestanden immer noch.

Denn es stimmt einfach alles: Ein Mann mittleren Alters mit messerscharfem Scheitel, altmodischer Brille, schlecht sitzendem Schlips, dem Gesichtsausdruck desjenigen, der in Sportstunden nicht mal als letzter in die Fußballmannschaft gewählt wurde  und einer Rhetorik, die einem Logopäden über mehrere Jahre hinweg ein sicheres Auskommen garantieren würde, werden vor einem Potpourri überquellender Postkisten in einem Büroraum, in dem 1987 die Zeit stehen geblieben ist Sätze verlesen, wie der folgende.

“Wir dürfen nicht zu lassen, dass die Linken eine Stasi im Kopf gegen Christen errichten.”

Schön, oder? Eine Stasi im Kopf. Klingt doch, als hätte sich das jemand an einem sehr geselligen Abend mit der einen Hand auf einen Bierdeckel gekritzelt, während er sich mit der anderen den Bauch hielt. Offenbar war es aber nicht so. Und wie sich nach kurzer Recherche herausstellt, ist dieser schrullige Typ keine grimmepreisverdächtige Parodie sondern bittere, sehr bittere Realität. Die mit bürgerlichem Namen Mathias von Gersdorff heißt.  Kostprobe? Bitte sehr:

 

Schon 8873 Unterschriften für Petition gegen Homo-Adoption

 

Mathias von Gersdorff ist Mitglied der Deutschen Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) e.V., einem Verein der sich “der sich u.a. für die Förderung der abendländischen christlichen Kultur basierend auf den grundlegenden Prinzipien des christlichen Glaubens, und insbesondere für den Schutz von christlichen Werten einsetzt.” Sagt jedenfalls die Webseite.

Meiner persönlichen Meinung nach hat Mathias von Gersdorff panische Angst vor “Omosexellen” – wie er gleichgeschlechtlich Liebende nennt – und ist der festen Überzeugung, dass sie Ursache allen Übels wenigstens auf diesem Planeten, wenn nicht gar im Universum insgesamt sind.

Nicht umsonst hat sein Verein die Aktion Kinder in Gefahr ins Leben gerufen der er vorsitzt, und auf deren YouTube-Kanal selbst Hartgesottene das Fürchten lernen können.

Ich gebe unumwunden zu, dass die Vermeidung hochgradig beleidigender Schimpfwörter und Flüche ein überaus hartes Selbstbeherrschungstraining für mich darstellt, wenn Herr Hofschulte die “Eindämmung der Einflüsse der Homo-Lobby” mit der Gefährdung von Kindern zusammenbringt. Das liegt daran, dass ich mich dadurch an eine Zeit erinnert fühle, in der zwischen Pädophilie und Homosexualität noch nicht unterschieden wurde, und in der homosexuelle Gedanken oder Sehnsüchte noch als Königsdisziplin des Teufelswerks galten. Selbst nach eingehender Auseinandersetzung kann ich mich aber nicht des Eindruckes erwehren, dass Herr Hofschulte noch genau in dieser Zeit lebt. Möglicherweise befand er sich just in dem Moment in dieser ominösen Poststelle, als dort die Uhren aufhörten zu ticken.

Als Beweis für das bravouröse Absolvieren meiner Selbsbeherrschungs-Herausforderung erlaube ich mir das E-Mail zu veröffentlichen, dass ich Herrn Hofschulte heute schrieb:

Sehr geehrter Herr von Gersdorff,

in Ihren Videos sprechen Sie von „den Homosexuellen und deren Lobby”, nie aber vom einzelnen gleichgeschlechtlich Liebenden. Mir scheint, als hätten Sie sich mit diesem nie persönlich auseinandergesetzt.

Gern möchte ich Sie daher auf eine Tasse Kaffee einladen um Ihnen bereitwillig Auskunft über den oft harten Weg zum Coming Out zu geben und auch über die sehr alltägliche gesellschaftliche Repressionen danach.

Falls Sie sich vor einer solchen Begegnung aber fürchten wovon ich offen gestanden ausgehe empfehle ich Ihnen, sich mit einem beliebigen wissenschaftlichen Text zum Thema zu konfrontieren. Sie werden hier lernen, dass Homosexualität im von Perversion und Verderbtheit freien Tierreich ebenso häufig vorkommt, wie beim Menschen. Vielleicht kann Ihnen das die Augen für den Fakt öffnen, dass Homosexualität keine persönliche Entscheidung sondern eine Spielart der Natur ist.

Sobald mir eine Antwort zugehen sollte, landet sie selbstverständlich hier.

Mich ärgert sehr, dass es in dieser Angelegenheit so schwierig ist sachlich zu bleiben, wie die zahlreichen Kommentare unter den Videos bei YouTube.  Herr von Gersdorff gibt sich dabei große Mühe und weicht sicherheitshalber keinen Millimeter von seine vorgefertigten Reden ab.  In seinem neuesten Video führt er aus, dass wir es mittlerweile keineswegs mehr mit einer Diskriminierung von Homosexuellen zu tun haben, sondern im Gegenteil mit einer Religionsverfolgung. Homosexuelle seien mittlerweise quasi nicht mehr kritisierbar, ohne sich dem Vorwurf der Intoleranz oder gar Diskriminierung auszusetzen. Dies widerspreche den Grundsätzen der freien Meinungsäußerung, die ja auch ihm als konservativem Christen erlaubt sein muss.

Ich würde mich gern argumentativ mit diesem Einwand auseinandersetzen. Aber ich kann nicht, weil sich meine Hände beim Tippen zu Fäusten ballen. Vielleicht morgen. Nachdem ich zwei Stunden über Rosa Luxemburg meditiert habe: Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

Effizienzprogramm

Am Anfang war das wie Versteckte Kamera. Ich war der Lockvogel. Ich hatte mir eine lustige Verkleidung angezogen, in der man mich nicht erkennen konnte und meine Aufgabe war es nun, den armen Opfern etwas weißzumachen, dass ziemlich absurd, ziemlich unerhört und auch ein bisschen lächerlich war. Im Unterschied zur Versteckten Kamera gab es bei mir aber keine Kamera und auch keine Auflösung. Und witzig war es auch nur kurz.

Das Situation ist folgende: Ich verdiene mein Geld in einer Bank. Ich mach das nur Teilzeit und nur, um das, wofür ich eigentlich lebe finanzieren zu können. Und ich halte das nur aus, weil ich an Tagen wie diesem auch in Flip-Flops und kurzen Hosen da hingehen darf und die Kollegen einander Witze erzählen und wann immer jemand Geburtstag hat dessen Arbeitsplatz so aufwändig und liebevoll dekorieren, dass zum Arbeiten eigentlich kein Platz mehr ist.

Einige meiner Freunde wundern sich, wie ich das mache und auch warum, weil mein Job nun mal in einer Inkasso-Abteilung situiert ist, in der es zuweilen durchaus hart und kalt und unangenehm zugeht. Sie finden, ich verschwende mein Potential und riskiere abzustumpfen und in jenem gefürchteten Hamsterrad zu landen, aus dem man nie wieder rauskommt. Andere Freunde wiederum, klagen mir nach Feierabend (meinem!) ihr Leid darüber, dass es wahnsinnig schwierig ist, sich seinen Tag zu organisieren, wenn man nichts muss, und dass man von dem bisschen Almosen, das einem der Staat zur Verfügung stellt unmöglich leben kann. Sie finden, ich habe es wirklich gut getroffen, mit meiner vorgegebenen Tagesstruktur und meinem gesicherten Ein- oder Auskommen. Ich finde beide haben recht und kann mich nicht entscheiden.

Letzte Woche nun war ich zum ersten Mal auf Tour. In einer Filiale. „Draußen“, wie es im Bankdeutsch heißt. Meine Aufgabe war, Kundenbetreuerinnen, die seit 30 Jahren im Finanzvertrieb tätig sind zu erklären, wie genau sie unsere Kredite verkaufen müssen und dass es künftig bitte dringend mehr sein müssen als bisher, ohne mir anmerken zu lassen, dass ich eine ahnungslose Teilzeitkraft bin, die in den Job nur reingerutscht ist, weil sie zur falschen Zeit im falschen Call-Center gearbeitet hat und übermütig war. Und die sich in Wirklichkeit weder für Kredite, noch für Kreditkarten, noch für Geld, nicht mal für Zahlen insgesamt interessiert.

Ich mag Herausforderungen. Diesen Satz Bankdeutsch habe ich so verinnerlicht, dass ich ihn mir mittlerweile selbst glaube. Außerdem hatte ich letzte Woche im SSV einen modernen Anzug für nur 60 € ergattert, der mir bei der Anprobe für eine Freundin das zweifelhafte Kompliment „fieser Bürohengst“ bescherte. Zu guter Letzt gelang es mir, das Auswendiglernen jeder einzelnen Präsentationsseite in diesem bibeldicken Vorbereitungsordner als geistigen Fitnesstest zu begreifen, den ich mit Bravour bestand. Dementsprechend war ich voll auf der Überholspur in meinem gemieteten schwarzen Ford Focus mit abgedunkelten Scheiben und Heckspoiler.

Trotzdem ging es irgendwie schief. Und ich wusste, dass es schief gehen würde, in der Minute, in der sich der solariumbraune, perlweißlächelnde Filialleiter mit seiner goldberingten Hand durch sein Haar fuhr, als wolle er mir zeigen, dass die spitzen Enden seiner gegelten Locken als formidable Waffen in einem eventuellen Zweikampf taugen würden. Eskaliert ist es aber erst beim Gespräch mit den Privatkundenbetreuerinnen. Und zwar in jedem einzelnen der drei Gespräche, die ich zu führen hatte.

Die erste kommentierte die Anmoderation ihres Filialleiters, dass ich nun Zeit für sie hätte mit: „Ich aber nicht für ihn.“, ohne ihren Blick vom Computerbildschirm abzuwenden. Im Gespräch, dass dann dennoch stattfand, fiel ihr Kopf zur Seite, ihre Augen fast zu, ihre Arme von der Stuhllehne und der Satz „Mich interessieren nicht die Bedingungen der Restschuldversicherung sondern welchen Ertrag sie mir bringt.“, aus ihrem Mund.

Die zweite gab in der einen Stunde, die ich Zeit für Sie hatte ein und denselben abgelehnten Kreditantrag insgesamt sieben Mal unverändert zur Überprüfung, in der Hoffnung, dass er irgendwann genehmigt werde, während ich ununterbrochen damit beschäftigt war ihr zu erklären, dass dies nicht passieren wird, solange sie den Antrag nicht ändert. Nachdem wir den Antrag vor dem achten Mal gemeinsam geändert haben, woraufhin er genehmigt wurde, ballte sie eine Hand kämpferisch zur Faust, steckte mir den Zeigefinger der anderen zwischen die Schlüsselbeine und rief: „Sehen Sie! Man muss einfach hartnäckig sein, irgend wann klappt’s.“

Die dritte schließlich brach nach der ersten für sie neuen Erkenntnis zum Kreditthema, die sie ungefähr zwei Minuten nach Gesprächsbeginn erlangt, augenblicklich in Tränen aus und kriegte sich bis zum Ende des Gespräches auch nicht mehr ein. Zwischen Schluchzen und Schnäuzen versuchte sie immer wieder mir in Satzfragmenten zu erklären, dass sie drohe wahnsinnig darüber zu werden, dass hier jeder was anderes erzählt, alle behaupten nun aber definitiv recht zu haben, und niemand einsehe, dass es hier ein unbestreitbares Kommunikationsproblem gibt, das seriöses Arbeiten ad absurdum führt.

Ich hab das eingesehen. Erst recht, als mir die Halbtagskraft vom Schalter, die das Glück hatte, die Filiale genauso zeitig zu verlassen wie ich bei einem Kaffee auf einer Bank in der Fußgängerzone erklärte, dass vor vier Wochen eine der Filialbetreuerin im Rahmen eines so genannten „Effizienzprogrammes“ rausgeschmissen wurde und die verbleibenden vier nun eben jeweils 1.500 statt vorher 1.200 Kunden haben mit denen sie selbstverständlich nun auch 20 Prozent mehr Ertrag erwirtschaften müssten. Dies sei jedoch schon allein deshalb völlig unmöglich, weil die Filiale erstens nun mal nur 12 Stunden am Tag geöffnet sei und zweitens sämtliche Vertriebsprogramme nach einer Softwareumstellung vor einigen Monaten nur noch sporadisch funktionierten.

„Wie halten Sie das aus?“, fragte ich.
„Ich halte das nicht aus.“, antwortete sie. „In zwei Monaten ist mein Haus abbezahlt, dann kündige ich.“
„Um was zu tun?“, fragte ich.
„Um nicht den Verstand zu verlieren.“, antwortete sie. „Und nicht meine Lebensfreude.“

Zum Schießen: Peace, Brüder!

Im Grunde kann ich das ja nachvollziehen. Fast jeder Homosexuelle hat das in seinen jungen Jahren erlebt und wer es nicht erlebt hat oder vergessen oder verdrängt hat kann sich bei Timm daran erinnern lassen, wann immer den ansonsten ja sehr ambitionierten Damen und Herren dort das Material für ihr schwullesbisches Vollprogramm ausgeht:

CSD-Paraden sind oft erschreckend. Erschreckend besoffen, erschreckend prollig, nackt, unpolitisch und kommerzialisiert. Und wenn ich morgens zum Wachwerden den Fernseher einschalte, und mir als erstes bildschirmfüllend der entblößte Popo eines Lederdaddies präsentiert wird, der aussieht, als würde er „im echten Leben“ als Sachbearbeiter im Controlling eines Lebensversicherungskonzernes sitzen und nur heute, für den CSD und die Kamera mal richtig die Sau rauslassen, weiß ich, das wird ein stressiger Tag, dessen erste Herausforderung das sofortige Auffinden der Fernbedienung darstellt.

Ich bin doch selbst jahrelang mitgelaufen – also getaumelt. Richtige Tourneen hab ich gemacht: Berlin, Köln, Leipzig, Düsseldorf und Dresden in einem Sommer. Bis mir irgendwann in einer nüchternen Minute aufgefallen ist, dass das alles keine Demonstrationen mehr sind, sondern Straßenfeste, Kontaktbörsen und Freiluftdiskotheken. Bis mir schlagartig klar wurde, dass man die Diskriminierung von Homosexuellen, die ja nach wie vor stattfindet, dort nicht bekämpfen kann.

Nur, damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin sehr für Spaß. Ich finde, Spaß muss unbedingt sein! Und bin damit – Achtung: geschickte Überleitung! – ganz und gar auf einer Linie mit den skurrilen Ulknudeln der Piusbrudergemeinschaft, die ja immer mal wieder für einen wirklich geistreichen Kracherlacher sorgen und so freundlich sind, zwei unbedingt sehenswerte Kostproben ihres Humorverständnisses auf Ihrer Internetseite zum Besten zu geben, auf die mich mein lieber Freund Zaubererbruder hinwies:

1. Ein Sketch voll schreiender Situationskomik hier. Und
2. Ein satirisch-kabarettistischer Textbeitrag, der so genial geschrieben ist, dass ich ihn für eine Sekunde tatsächlich ernst genommen habe hier.

Junge, Junge, dass auch Herr Adenauer so eine schenkelklopferballernde Stimmungskanone war, wusste ich nicht. Ich hatte den bisher für bierernst und sterbenslangweilig seriös gehalten. Respekt!

Homoparty in Jerusalem

Da könnte ich mich doch glatt in meinen knackigen, entblößten Arsch beißen, dass ich es jetzt nicht mehr schaffen werde, beim diesjährigen CSD in Stuttgart mitzugrölen, weil selbiger in diesen Minuten bereits in vollem Gange ist. Andererseits habe ich gerade eruiert, dass die Organisatoren offenbar in ihrer Hysterie verschwitzt haben, die Homebase der Piusbrüder als wichtige Station in ihrer Parade aufzunehmen. Wenn mich einer fragt, ist das augenblicklich die beste Homopartylocation dieses Landes! Politisch, schockierend und richtig, richtig eng.

Wer? Gerechtigkeit?

Wann immer ich irgend wo aufschnappe, dass mal wieder ein Junger Mann den Mut, die Nerven und das nötige Kleingeld hat, die himmelschreiende Ungerechtigkeit der deutschen Wehrpflicht gerichtlich verhandeln zu lassen, meditiere ich noch am gleichen Abend eine Stunde lang darüber, um dem heroischen Pazifisten universelle Kraft zu schicken und Justitia endlich zur Vernunft zu bringen.

Jedes Mal denke ich, diesmal stehen die Chancen prima. Und der Mond. Und die Sterne. Mir persönlich fällt ja schon seit Jahren kein einziges Argument mehr ein, mit dem man die Wehrpflicht in ihrer jetzigen Form ernsthaft rechtfertigen könnte. Und außerdem fühlt sich das Versenden universeller Energie wahnsinnig gut und intensiv an, so gut, dass ich meine, dass eigentlich gar nichts mehr schief gehen kann.

Jedes Mal allerdings, werde ich eines Besseren belehrt. Universelle Energie nützt gar nichts. Die kann man nicht einmal in der Pfeife rauchen. Aber Vernunft hilft offenbar auch nur wenig.

In der Klage, die ja nun gestern vom Bundesverfassungsgericht abgeschmettert wurde, ging es ja leider gar nicht um Sinn und Unsinn der Wehrpflicht an sich, sondern nur darum, dass es der inzwischen 20-jährige Kläger nicht einsehen konnte, dass der Kelch der Einberufung an vier seiner Kumpels vorübergeht, und ausgerechnet er nun neun Monate lang daraus trinken soll, nur weil er der 5. ist. Kater garantiert.

Offenbar war die Klageschrift aber schlampig formuliert, weil dieses Verhältnis auch Zivildienstleistende und Wehruntaugliche mit einbezieht, die in dieser Berechnung aber nichts zu suchen haben, weil sie – Zackig! Zackig! – in die Krankenhäuser gehören, um dort Nachtschichten auf der Pflegestation zu schieben, oder gezwungen werden, ihre Jugend auf einem Rasenmähertraktor zu vergeuden, mit dem sie garantieren, dass die Ferienlager unserer Republik schön ordentlich bleiben.

Dabei muss man gar nicht lange recherchieren, um die Pflicht zum Dienst an der Waffe oder an den schlecht bezahlten Rändern der Gesellschaft als skandalös diskriminierend zu entlarven. Im Artikel 3 Absatz 2 unseres gern zitierten Grundgesetzes heißt es nämlich:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Artikel 12 Absatz 2 erklärt weiterhin:

Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Im Artikel 12a Absatz 4 steht dann jedoch plötzlich:

Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.

Was ist also falsch im folgenden Bild?

Das riecht mir doch nach einer 1A-Gelegenheit ein neues Preisausschreiben auszuloben:
Wer es schafft, mir auch nur ein schlüssiges Argument dafür zu liefern, warum es fair sein könnte, dass unser Staat nach wie vor willkürlich junge Männer dazu zwingen kann neun Monate ihres Lebens mit einem zweifelhaften Pflichtdienst zu vergeuden, der ihre persönliche Lebensplanung knallhart unterbricht, während Frauen in dieser Zeit völlig frei ihre Karriere, Selbstfindung oder Familienplanung vorantreiben können, dem backe ich einen spitzenmäßigen Guglupfhelm mit Rumrosinen und Zitronenglasur.

Tropfender Schlips und platzender Kragen

Obwohl ich fror, zog ich es vor meine Morgenrituale heute in Unterhosen zu verrichten. Ich habe mich erst 6 Uhr 25 angekleidet. Fünf Minuten, bevor ich das Haus verließ. Ich mag keine Anzüge. Auch diesen nicht. Dabei habe ich ihn erst letzte Woche gekauft. Als Schnäppchen. Im SSV. Nur so konnte ich es überhaupt vertreten.

Ich versuche ihn als Kostüm zu betrachten. Als Verkleidung. Verkleidungen dürfen unpraktisch sein und unbequem und furchtbar heiß und nicht waschbar. Wie bei Batman, Catwoman oder Samson aus der Sesamstraße. Das kann ich akzeptieren. Was ich nicht so gut akzeptieren kann, ist der ganzjährige Fasching, der in Bankkreisen mit diesen Anzugkostümen gefeiert wird. Gar nicht akzeptieren kann ich das Zusammentreffen von Bankanzugfasching und Hochsommer.

Ich gestehe es offen und ohne Scham ein: Ich transpiriere stark. Auch ohne Anzug. Erst gestern hat mir meine Chefin – die mich nur zum Vorstellungsgespräch im Supermankostüm der Branche gesehen hat – vorgeschlagen, doch künftig Wechselwäsche im Büro zu deponieren. Sie sei besorgt, dass ich mich in der guten halben Stunde, die die herzförmigen, pizzatellergroßen Schweißflecken auf Brust und Rücken meines T-Shirts zum Trocknen brauchen, nicht erkälte. Ich weiß nicht genau, ob sie tatsächlich um meine Gesundheit schert. Vielleicht schiebt sie ihre Sorge nur vor, damit der tiefe Ekel den sie in Wirklichkeit empfindet nicht ungefiltert aus ihr herausbricht. Und ich will, dass mir das egal ist. Ich weigere mich, jeglichen Hinweis auf die Natürlichkeit meines Körpers zu leugnen, auch wenn das gerade schwer im Trend liegt. Zur Natürlichkeit meines Körpers zähle ich neben meinen stachligen Waden auch meine unversiegelten Haare und meinen Schweiß. Immerhin: Ich stinke nicht. Ich schwitze – ja – aber ich bin sehr gut und mehrfach deodoriert. Und das reicht ja wohl als Kompromiss.

So gesehen sind meine Schweißflecke ein politisches Statement. Meine Chefin sitzt mir gegenüber und sieht mich, sobald sie Ihren Blick von Computerbildschirm abwendet. Sie hindert schon ihre Körperbehaarung durch Rasur daran, sie ans Menschsein zu erinnern. Und ihrer Körperform gebietet sie durch stundenlanges Training auf dem Stepper nach Feierabend, ihre pathologische Abhängigkeit von Süßigkeiten zu ignorieren. Dann ist es doch geradezu meine Pflicht, ihr als lebendiger Denkzettel sofort ins Auge zu springen, wenn es die Diagramme und Tabellen, die sie den ganzen Tag anstarrt mal für zwei Sekunden freigegeben haben.

Meine Schweißflecken entstehen auf dem Weg zur Arbeit. Den bestreite ich mit dem Fahrrad. Und das ist anstrengend. Seit mich ein Kollege neulich darauf hinwies, dass ich feuchter als jedes ihm bekannte Biotop sei, stören mich die Flecken auch. Nur weiß ich nicht, wie ich sie verhindern soll. Nicht mehr zur Arbeit zu radeln, kommt nicht in Frage. Die Veranlassung jeden Tag gute 10 km Rad zu fahren, ist eines der wesentlichsten Argumente dafür, diesen Job nicht auf der Stelle hinzuschmeißen. Dreißig Minuten im Hof zu warten, und das Büro erst zu betreten, nachdem meine Kleidung auf meinem Körper getrocknet ist kommt auch nicht in Frage. Der Gedanke an die nützlichen Dinge, die ich in dieser Zeit erledigen könnte würde mich wahnsinnig machen. So gesehen wäre Wechselwäsche keine schlechte Idee. Aber was mache ich mit dem nassen Hemd? Ich kann es doch nicht über den Heizkörper hängen. Oder auf einen Bügel an die Garderobe. Oder über meine Stuhllehne. Das macht alles noch schlimmer. Ich kann es aber auch nicht tropfnass wie es nun einmal ist in meinen Rucksack stopfen. Da würde ich mich dann ekeln.

Heute nun musste ich für einen Auswärtstermin, der einen eigenen Eintrag verdient hat, einen kompletten Anzug anziehen. Mit einem langärmligen Hemd, das aus so weichem Stoff gefertigt ist, dass ich unbedingt ein Unterhemd darunter tragen muss, wenn ich nicht den ganzen Tag zur Natürlichkeit meiner Brustwarzen stehen möchte. Und mit Krawatte, inklusive der goldenen Krawattennadel mit der niedlicher Froschfigur zum Schmunzeln. Und mit dem unbequemsten Paar Schuhe das ich besitze, weil es gleichzeitig das einzige schwarze und seriöse ist.

Der Mietwagen hatte eine Klimaanlage, deren Kühlleistung mir wichtiger war als der Beitrag, den sie zur globalen Erwärmung der Außenwelt leistete. Letztere traf mich beim Verlassen des Fahrzeuges allerdings wie eine Keule. Noch bevor ich den ersten Schritt in die Filiale gesetzt hatte rollte mir der erste Schweißtropfen die Wirbelsäule hinab. Bis dahin hatte ich ungefähr 50 Schritte im Freien gemacht.

Die Gebäudetechniker der Filiale hatten ökologischer gedacht als ich, und auf den Einbau einer Klimaanlage verzichtet. Ich hatte drei einstündige Gespräche zu führen. Spätestens in der Mitte des zweiten Gespräches erlag ich der Überzeugung, dass ich es nicht mit Menschen, sondern mit verblüffend natürlich anmutenden Robotern zu tun hatte, deren einziges Manko es war, nicht zu transpirieren. Während des dritten und wichtigsten Gespräches fühlte ich mich, als säße ich in einer fachmännisch geheizten Finnsauna. Beim mir gegenübersitzenden Filialleiter zeigte sich jedoch nicht einmal die Idee eines Schweißtropfens. Nicht auf der Stirn. Nicht unter der Nase. Nirgends. Das machte mich wütend, da ich inzwischen meine ganze Konzentration darauf verwandte, die Wärmeregulierung meines Körpers zu gewährleisten. In dem ich unter dem Tisch halb aus den Schuhen schlüpfte, damit die Pfützen darin verdunsten konnten, zum Beispiel. Oder indem ich meine Arme locker am Stuhl hinunter hängen ließ um unauffällig die Finger spreizen zu können, innerlich flehend, dass die dazwischen zirkulierende Luft nun mein Blut kühlen würde.

Als der Mann schließlich seinen Arm streckte um einen Ordner zu greifen, wobei sein Jackett den Blick auf seine pudertrockene Achselhöhle freigab, platzte mir der Kragen. Der Mann war wesentlich korpulenter als ich und weigerte sich dennoch trotzig, den Gesetzen der Physik zu folgen und gefälligst stärker zu schwitzen als ich. Der Mann gestikulierte fröhlich Jahrmärkte in die Luft, während ich schon vor einer Stunde jegliche Bewegung eingestellt hatte, um die drohende Gerinnung der Eiweiße in meinem Körper abzuwenden. Diese furztrockene Achselhöhle brachte mein Schweißfass zum Überlaufen. „Herr Bachmann!“, unterbrach ich ihn, „Herr Bachmann, wenn Sie möchten, dass ich Ihnen konzentriert zuhöre, und ich denke, dass möchten Sie, dann muss ich auf der Stelle vier Dinge tun.“ Er hob die Brauen. „Ich muss dieses Jackett ausziehen, und diese Krawatte, und meine Schuhe. Und dann muss ich mir die Ärmel hochkrempeln. Andernfalls vergehe ich.“ Jetzt war ihm jegliche Mimik abhanden gekommen. „Ist Ihnen nicht gut? Brauchen Sie ein Glas Wasser? Wollen Sie sich hinlegen?“, rief er als sei es ein einziges Wort. „Nein, Danke. Mir ist nur heiß.“ „Heiß“, sagte er. Und es war keine Frage und kein Unverständnis. Es war eher als würde er laut darüber nachdenken, was dieses Wort noch gleich bedeutete. Dann fiel es ihm ein. Nachdem er seine Stirn vielsagend runzelte, erklärte er: „Es ist Sommer.“ Und nach einer weiteren Pause, die ich nicht mit einer Antwort füllen konnte, weil es mir mein Temperament nicht erlaubt hätte, sie in Zimmerlautstärke zu äußern: „Dann mach ich mal die Tür zu.“ Auch das musste ich unkommentiert lassen, diesmal, weil ich seiner Logik nicht folgen konnte. Als er sich wieder setzte öffnete er beiläufig die beiden Knöpfe seines Jacketts. Dann fragte er mich, wo wir stehen geblieben seien.

Eine Pappkrone für Volker Kauder!

Auch der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion hat eine nebulös-morastige Meinung zum Thema, deren Äußerung er sich nicht verkneifen kann:

“Es gibt auch andere wissenschaftliche Erkenntnisse. Volles Adoptionsrecht für Schwule und Lesben widerspricht den Interessen von Kindern.”

Nun ist es keine Neuigkeit, dass der Beleg fast jeder auch noch so hanenbüchenen Meinung zuerst davon abhängt, ob man das nötige Kleingeld dafür hat, die Studie in Auftrag zu geben, die sie belegt. So muss sich auch die von Bundesjustizministerin Zypries in Auftrag gegebene Studie diesen Vorwurf gefallen lassen. Robin Alexander von Der Welt zum Beispiel findet nämlich, dass Sie wie die meisten Studien zum Adoptionsrecht für Homosexuelle die “Kein-Unterschied-Doktrin” verfolgt, obwohl es freilich sehr gravierende Unterschiede zwischen homo- und heterosexuellen Eltern gäbe. Was, soweit ich die Debatte verfolgt habe übrigens auch niemand bestreitet.


Was hingegen durchaus streitbar bleibt, ist die Frage auf welche Studien sich Herr Kauder denn bezieht und welche “anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse” es sind, die mir bisher vorenthalten blieben. Selbstverständlich habe ich diese Frage Herrn Kauder persönlich gestellt und ebenso selbstverständlich wird die Antwort hier erscheinen. So sie denn kommt. Und die Links zu den entsprechenden Studien. So es diese denn gibt.

Damit die Diskussion nicht einschläft, war der 50-jährige Rottweil-Tuttlinger so freundlich, uns die Kernerkenntnis seiner sicher tiefschürfenden wissenschaftlichen Recherche knackig zusammenzufassen:

“Es geht bei dem Vorschlag allein um die Selbstverwirklichung von Lesben und Schwulen und nicht um das Wohl der Kinder.”

Aha. Wieder was gelernt.

Wer es schafft, mir drei nachvollziehbare Argumente zu liefern, die mir erklären, warum der Adoptionswunsch eines heterosexuellen Paares, das auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen weniger der Selbstverwirklichung desselben dient, als der Wunsch eines homosexuellen Paares, das auf natürlichem Wege eben auch keine Kinder bekommen kann, gewinnt eine von mir eine liebevoll selbst gebastelte Pappkrone, und wird von mir für den Rest seines Lebens nur noch mit: “Sehr wohl, eure unangefochtene Majestät der Meinungswissenschaft.” angesprochen.

Na, Herr Kauder? Schreiben Sie mir schon?

Frau Haderthauer für ein modernes Deutschland!

Offener Brief an Christine Haderthauer, Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen bezüglich Ihrer Äußerung zum Adoptionsrecht für Homosexuelle auf dem CSU Parteitag am 18. und 19. Juli 2009:

Sehr geehrte Frau Haderthauer,
mit großer Begeisterung habe ich Ihre Äußerungen am Rande des CSU-Parteitages am letzten Wochenende zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare vernommen. Sie sagten wörtlich:

“Bei den homosexuellen Partnern habe ich persönlich die Auffassung, dass es wichtig ist, dass Kinder Vater und Mutter als Erziehungspersönlichkeiten erleben und das ist in dem Fall eben nicht gegeben, und deswegen bin ich eher kritisch dieser Frage gegenüber und würde momentan das Adoptionsrecht nicht befürworten.”

Ich freue mich sehr, dass endlich eine Politikerin den Mut hat, für die unbedingte Notwendigkeit der Anwesenheit beider Elternteile bei der Kindererziehung einzustehen. Ich schreibe Ihnen, weil ich sie ermutigen möchte den Gedanken konsequent zu Ende zu denken.

Es kann doch nicht sein, dass rund 2,8 Millionen Kinder in Deutschland bei Alleinerziehenden Müttern oder Vätern aufwachsen müssen und ihnen so eine Erziehungspersönlichkeit vorenthalten bleibt! Deshalb bitte ich Sie, sich auch endlich dafür stark zu machen, dass all diese Kinder schnellstens zur Zwangsadoption freigegeben werden und schon bald ihr volles Potential in einer freundlichen und intakten Pflegefamilie mit neuer Mutter und neuem Vater entfalten können.

Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Kraft im Kampf für ein offenes, modernes Deutschland!

Eine eventuelle Antwort von Frau Haderthauer wird hier umgehend veröffentlicht.

Pixelzombies

Ich bekenne mich. Ich spiele Egoshooter. Ballerspiele. Killergames. Mit Blut und Leichen und dergleichen. Ich erschieße Computerzombies und manchmal erschlage ich sie auch mit der Rohrzange. Ich mach das zum ersten Mal in meinem Leben. Und finde es so mittel.

Mich hat die Story interessiert: In Bioshock ballert man sich durch ein schlechtgewordenes Utopia, das hier “Rapture” also Verzückung heißt, und einst der Ort großer Visionen war. Die Menschen, die sich hierher zurückgezogen haben wollten weder Gott dienen, noch einem Staatspräsidenten. Sie wollten ihr Streben nach Reichtum keinem sozialen Umverteilungsmodell unterordnen und die Wissenschaft nicht der Moral. Das ist natürlich schiefgegangen. Was unser Held nun mit rauchenden Colts ausbaden muss.

Ich will überhaupt nicht leugnen, dass das Spiel dreimal brutaler ist, als es zum erzählen der Geschichte nötig wäre. Ebenso bestreite ich nicht, dass man sich im Spielverlauf an diese Brutalität gewöhnt und selbst dazu übergeht sofort direkt auf die Köpfe der Pixel-Zombies zu zielen. Ich widerspreche auch nicht der These, dass die Hemmschwelle für Gewalt gegen echte Menschen dadurch sinkt obwohl ich das an mir noch nicht beobachtet habe.

Computerspiele bieten eine Möglichkeit kurzzeitig aus dem Alltag auszusteigen. Aber Bioshock erinnert mich auch daran, dass irgend was mit meinem Alltag nicht stimmen kann, wenn ich ihn so dringend hinter mir lassen muss. Indem es schonungslos und überzogen die Perversion vorführt, in die Idealismus umschlagen kann, wenn er ungebremst bleibt. Indem es mutierte Roboter auf mich loslässt, die frappierende Ähnlichkeit mit den größenwahnsinnigen, und verblendeten Halbstarken haben, die ich am Samstag bei DSDS bestaunen konnte. Und mit Lautsprecherdurchsagen wie: “Andrew Ryan stellt eine einfache Frage: Sind Sie ein Mensch oder ein Sklave?”

Konzentration

Es ist schwierig mich zu konzentrieren. Manchmal so schwierig, dass ich meiner Erinnerung misstraue, die mit trotzig verschränkten Armen behauptet, dass ich das früher sehr gut konnte: Eins sein mit dem, was ich gerade tue. Ganz und gar bei einer Sache oder einem Menschen sein. Einen Gedanken bis zu Ende verfolgen. Nicht flattern.

Heute glaube ich manchmal, “sich konzentrieren” ist wie “mit sich im Reinen sein” oder “sich selbst lieben”. Es klingt erstrebenswert, essentiell wichtig, fast einfach und ist dabei hoffnungslos unerreichbar um nicht zu sagen illusorisch.
Ich weiß nicht, wann das anfing. Aber jetzt ist es so: Ich flattere. Immer. Ständig arbeite ich mindestens an zwei Dingen gleichzeitig, während ich eine dritte Sache auf meine innere Zu-erledigen-Liste schreibe und mir eine vierte einfällt, die ich heute ebenfalls unbedingt noch abhaken möchte. Unterm Strich mach ich dann alles irgendwie schnell schnell. Abends hab ich Muskelkater im Oberschenkel, weil ich den ganzen Tag unterm Schreibtisch mit dem Bein gewackelt habe.

Das ist unbefriedigend und kommt mir nicht gesund vor. Natürlich ist mein Leben stressig, aber deins auch. Natürlich habe ich viele Dinge zu erledigen, aber du auch. Mir ist klar, dass alles Jammern nichts nützt. Was hingegen nützlich sein könnte ist, die gewonnene Erkenntnis in die Tat umzusetzen und Konzentration quasi neu zu erlernen.

Das klappt nicht. Das ist zu endgültig formuliert. Es wird deshalb zurückgenommen und ersetzt durch: Das ist mir bisher nicht gelungen. Es ist leicht und bequem sich das einzureden. Aber verantwortlich für dieses permanente Überall-und-Nirgends –sein sind durchaus nicht nur äußere Störfaktoren wie mein verflixtes Telefon, dieses Dingdong, dass mich über den Eingang einer neuen E-Mail informiert oder H., der seinen Kopf zur Tür hereinsteckt um zu klären, ober mittags Bohnen oder Rotkohl als Beilage servieren soll. Es ist viel schlimmer: Dafür verantwortlich ist nämlich eine innere Rastlosigkeit, eine interne Zerstreutheit, ein persönliches von Neugierde getrieben sein.

Beim E-Mail-Lesen (auch bei den Persönlichen) läuft das Radio, neben der Recherche für den neuen Film die Tagesschau, und beim Filmschnitt der Messenger. Das Internet ist nie zu Ende, die MP3-Sammlung nie durchgehört, nie ist die neueste Kurznachricht beantwortet und niemals der letzte Freund zurückgerufen.

Was zu tun ist, ist klar und einfach: Keine dieser Ablenkungen ist gottgegeben, die allermeisten von ihnen lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes abschalten. Schwierig und verzwickt hingegen ist es, dieses Offline-Sein auch durchzuhalten. Zu verlockend ist die noch ungehörte Platte einer deiner Lieblingsbands, zu quälend die Frage nach dem Online-Status der engsten Freunde bei Myspace, und zu groß das schlechte Gewissen, als dass man die dritte SMS eines Bekannten noch länger unbeantwortet lassen könnte.

Gelingen kann dies wohl nur, wenn man (ich) endlich begreift, dass man weder effizienter noch glücklicher ist durch diese Mehrgleisigkeit. Man ist auch nicht schneller. Nicht mal besser informiert.

Ich bin multitaskingfähig. Aber ich will es nicht länger sein.

Die perfekte Natur

Ich glaube nicht an das Märchen von der perfekten Natur. Egal ob man mir Darwins Theorie oder den Mythos der Schöpfung weismachen will. Ich glaube nicht daran. Denn zumindest ich habe einen ganz wesentlichen Konstruktionsfehler. Und auch wenn ich versuche zu vermeiden von mir auf andere zu schließen – an Projektion glaube ich nämlich – bin ich mir sicher, mit diesem Fehler nicht allein zu sein.

Die Symptomatik passt in einen Satz: Ich kann mich fragen, warum ich hier bin.

Wie die allermeisten anderen die ich kenne, habe ich den unumkehrbaren Fehler begangen, das auch zu tun. Was mir nicht klar war: Hier ist es das Gleiche wie mit Schokolade, Zigaretten oder dem Sammeln von jeglichem. Wer einmal damit angefangen hat, kommt nicht mehr los davon. Nie wieder. Im Unterschied zu Schokolade, Zigaretten und dem Sammeln fehlt der Mutter aller Warum-Fragen aber die Fähigkeit, ausreichenden Konsum mit einem wenigstens kurzen Befriedigungsgefühl zu belohnen. Was die Angelegenheit ungerecht aber spannend macht: Warum erliegt man seinen Lastern, wenn sie einen nicht belohnen?

Ich habe es ausgiebig in allen Lebenslagen und von allen Seiten versucht, die mir einfielen: Es gibt keine Befriedigung hier. Es gibt hier beliebig viele Stunden zarter Melancholie, tiefer Traurigkeit und angestrengten Grübelns. Das Thema taugt um Mitmenschen in ausweg- vor allem endlose Diskussionen zu verwickeln, sich wettkampfartig wachzuhalten oder zu betrinken. Aber die Frage wird nie – niemals – auch nur den Anschein einer Antwort preisgeben.

Jedenfalls keiner plausiblen. Weshalb sich die Menschheit in ihrer Verzweiflung eigene Antworten gebastelt haben. Die sind zwar in aller Regel unplausibel, oder wenigstens nicht wissenschaftlich haltbar, dafür jedoch kuschlig-persönlich und perfekt auf das eigene Weltbild abgestimmt. Was durchaus nicht immer von Vorteil ist, dann nämlich nicht, wenn das eigene Weltbild ohnehin schon in düsteren Farben gemalt ist. Ich gestehe, diese Trennung von Weltbild und Sinnfrage funktioniert nur rhetorisch. Oft genug bildet ja die individuelle Antwort auf die Sinnfrage Kern und Keimzelle eines Weltbildes, weshalb sie unmöglich im Gegensatz dazu stehen kann.
Mir will es seit Jahren nicht gelingen, eine Antwort zu finden, an die ich glauben kann. Dabei war ich nicht faul. Ich habe Buddhismus, Christentum, Esoterik und Agnostik probiert und mich überall sehr wohl aber nirgends zu Hause gefühlt. Im Augenblick versuche ich Kapitalismus. Aber wie die Existenz dieses Textes beweist, funktioniert der auch nicht. Mein Weltbild ist quasi kernlos. Und das ist der Konstruktionsfehler vom Anfang.

Ich beneide meine Hündin. Wann immer wir spazieren gehen und sie mit wedelndem Schwanz und halb geschlossenen Augen ihrer Nase folgt, beneide ich sie. Sie fragt nicht. Sie ist. Sie denkt auch nicht, nicht in unseren Kategorien jedenfalls. Und was am schwersten wiegt: Sie will nichts werden. Sie ist. Und in meinen Augen sogar glücklich. Wenn ich sie lange genug beobachte und ihr lange genug ohne Worte hinterhertrotte, verstehe ich manchmal kurz, wie es sein könnte, wenn es mir auch gelänge ohne Fragen zu sein.