Ein zusammengebasteltes Selbst darstellen (Schoßgebete)

Bisher dachte ich, eine Selbstdarstellerin wäre damit beschäftigt, sich selbst darzustellen. Ich dachte, sie würde jedes Fitzelchen Aufmerksamkeit als Leinwand begreifen, auf dass sie kritzeln kann, was sie so treibt, wie hip das alles ist und wie bewundernswert. Als Lohn hierfür verlangt sie Feedback oder einfach mehr Aufmerksamkeit.

Die Lektüre von Roche’s Roman lässt mich zweifeln, ob ich die Bedeutung des Wortes Selbstdarstellerin möglicherweise missverstanden habe. Roches Protagonistin scheint nämlich (zumindest auf den Seiten 7-65) darunter zu leiden, dass in ihr überhaupt kein Selbst ist, das dargestellt werden könnte. Stattdessen mauert sie die Lücke, in der sie Individualität vermisst, bauklötzchenartig mit Allgemeinplätzen zu, von denen sie sich verspricht, dass sie sie clever und subversiv erscheinen lassen.

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Von wegen Rausch (Schoßgebete, S. 7-22)

Auch wenn man es sich anders wünscht, und auch wenn die Autorin fröhlich dazu ermuntert, sollte man nicht den Fehler begehen, in Romanen beschriebene Ereignisse mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Aber selbst wenn sich dieser künstlich beheizte Blowjob im Leben von Charlotte Roche nie zugetragen haben sollte, erinnert er mich doch sehr deutlich an einen überaus enervierendes Phänomen, dass mir aus eigenem Erleben aber auch aus Schilderungen von Freunden bestens vertraut ist:

Wir vögeln nicht, wir denken.

In der Schilderung von Roche nimmt der Rausch zweieinhalb Sätze des fünfzehnseitigen Fellatio-and-everything-after-Essays ein. Meiner statistisch zugegeben sehr dürftigen Datenlage nach ist das schon erfreulich viel.

Ich dachte immer, Sex sei für Körper gemacht, meinetwegen für Seelen, vielleicht sogar für Tiere. Meiner bescheidenen Erfahrung nach, bietet er aber lediglich die passende Kulisse uns zu fragen:
– wie wir gerade aussehen
– ob wir das gerade richtig machen oder es vielleicht noch besser ginge
– ob sich Außenstehende nicht möglicherweise vor Lachen ausschütten würden bei unserem Anblick
– ob wir nicht vielleicht sehr unappetitlich riechen
– ob wir laut oder leise genug sind
und warum das in Pornos alles so viel einfacher und lustvoller aussieht.

Ein physikalisches Wunder, dass überhaupt noch Blut für unsere Genitalien übrig bleibt, wenn es doch unsere Gehirne sind, die so anschwellen.

Tantra ist mir zu anstrengend und hat (auch im Bekanntenkreis) für mehr lustige als lustvolle Stunden gesorgt. Drogen helfen ein bisschen, kommen mir künstlich und unauthentisch vor. Vertrautheit hilft sehr, ist aber umgekehrt proportional zum Prickeln.

Die Gedankenlosen sind glücklicher als wir? Wirklich?
Ach komm!

NEU: Alle Richtungen

Obwohl es die Anzahl der Kommentare nicht vermuten lässt, erfreut sich dieser Blog einer hartnäckigen Stammleserschaft, die sogar in Durstrecken ohne neue Beiträge nicht das Interesse verliert sondern Ermutigungsmails schreibt: Weiter! Öfter! Schneller! Mehr!

Das Interesse dieser Menschen – Ihr Interesse! – ist wertvoll und ich will es pflegen.

Ab sofort gibt es außer mir, Ron, zwei weitere Autoren, die auf kopfkompass.de veröffentlichen: Alex und Klemens. Beide sind enge Freunde von mir, mit denen ich viel über die Themen diskutiere, die ich bisher hier besprochen habe. Diese Themen sollen – wie hoffentlich viele neue – auch weiterhin hier besprochen werden. Aber eben nicht länger nur von mir. Was ist ein Kompass wert, der nur in Richtung zeigt?

Willkommen an Bord. Und: Vorwärts! In alle Richtungen.

Watch out Guido!

Nicht nur Westerwelle selbst wünscht sich sicherlich, den 18-plus-X Wahlkampf von 2005 aus den Köpfen der Menschen und den Archiven der Medien zu verbannen. Weil das nicht geht, hat er sich fürs Überpinseln entschieden. Sogar beim schon im Vorfeld nicht gerade als seriös geltenden TV-Total-Wahlkampf-Showdown letzte Woche erschien er als einziger in Schlips und Kragen und mahnte gebetsmühlenartig zur Seriosität. “Schließlich geht es weder um Sie noch um mich. Es geht um unser Land, Herr Raab.” Dass er mit Sätzen wie diesem gepunktet hat, wissen wir heute alle.

Offenbar steigt ihm sein Erfolg jedoch zu Kopf. Über den Pressekonferenz-Eklat am Montag wurde ja auf breiter Front berichtet – nicht gerade zu Westerwelles Gunsten. Für ihn offenbar Anlass genug sich bei der heutigen Pressekonferenz anlässlich der FDP-Präsidiumssitzung nochmals auf den Fremdsprachenverweigerungs-Ausrutscher zu beziehen:

“Herzlich Willkommen zur Pressekonferenz zur FDP-Präsidiumssitzung, die auf Wunsch aller ausschließlich in deutscher Sprache gehalten wurde.” Das Gelächter blieb verhalten, der Witz war eben so witzig nicht. Auch später in der Konferenz bezog er sich nochmal auf den Vorfall und zwar in einer Art und Weise, die man gutmütig durchaus als Entschuldigung verstehen könnte. Er verwies auf den harten, anstrengenden Wahlkampf, sein erheblichen Schlafdefizit und behauptete außerdem dem BBC-Journalisten die Antwort 3 mal höflich und nur ein zu vernachlässigendes Mal etwas spitz gegeben zu haben. Er bat um Nachsicht.

Vielleicht wäre man sogar versucht gewesen selbige walten zu lassen, wenn der Rest dieser Pressekonferenz nicht so katastrophal daneben gegangen wäre. Als er die Frage eines weiteren Reporters inhaltlich nicht verstand, “obwohl sie auf deutsch gestellt war”, schlug dieser gewitzt vor, dass er auch auf Altgriechisch fragen könnte. Westerwelle parierte und drohte er werde die Frage dann auf Latein beantworten. Wenn er es denn nur mal hätte.

Die Wahrheit ist: Herr Westerwelle hat keine einzige Frage beantwortet. Natürlich hat er geredet. Gebetsmühlenartig wie gewohnt. Gesagt hat er aber nichts. Weshalb sich sogar der Phoenix-Moderator Gerd-Joachim von Fallois nach Abschluss der Konferenz dazu hinreißen ließ dem irritierten Zuschauer zu erklären: “Wir Journalisten sind ja nicht freiwillig hierher gelaufen, sondern von der FDP eingeladen worden. Wenn Herr Westerwelle aber keine Fragen beantworten will, hätte man sich das auch sparen können.”

Das stimmt nicht ganz. Wie immer gab es was zu lernen. Westerwelles Weisheit des Tages: “Fragen beantwortet man nicht immer, wenn sie gestellt werden, sondern wenn sie sich stellen.” Auf die kritische Nachfrage einer Journalistin, die dieses Statement offenbar nicht nur ebenso respektlos sondern auch ebenso gefährlich für die Demokratie und die Rolle der Medien in selbiger empfand, stolperte er: “Sie dürfen meine Weigerung Ihre Fragen zu beantworten nicht in den falschen Hals bekommen.” Er könne Fragen zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen mit der Union freilich erst geben, wenn diese Verhandlungen abgeschlossen seien.

Das mag stimmen. Was aber war dann Westerwelles Ansinnen bei dieser Pressekonferenz? Hatte er erwartet, dass ihn die Journalisten nach seinem Lieblingsmüsli oder seiner aktuellen Gute-Nacht-Lektüre fragen würden?

Und viel wichtiger: Müssen wir hinnehmen, das Politiker neuerdings ungeniert und vor offenen Mikrofonen erklären, dass es Transparenz und klare Kante in der Politik nicht mehr geben kann? Ganz ähnlich polterten ja Herr zu Guttenberg und auch Herr Steinbrück bei Anne Will einen Sonntag vor der Wahl, als sie verkündeten, dass es unabhängig vom Wahlausgang harte Einschnitte geben würde, und man “Abschied von Liebgewonnenem” nehmen müsse, um sich dann trotz mehrfacher Nachfrage Wills zu weigern, auszusprechen worum es sich dabei handele.

Poor Guido!

Darüber muss man gar nicht streiten: Es war unelegant, unhöflich und belehrend, wie der deutsche Außenminister in spe Guido Westerwelle sich auf einer Pressekonferenz am Montag weigerte, die Frage eines Journalisten der BBC in Englisch zu beantworten und ihm in zweiter Instanz sogar verbot seine Frage wenigstens auf Englisch zu stellen. Zumal Sätze wie “Es ist Deutschland hier.” sogar in Westerwelles Muttersprache ziemlich dahingestolpert klingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dennoch darf man sich darüber wundern, welch hämischen Wellen diese peinlichen 30 Sekunden im Netz schlagen.

Es ist nämlich alles andere als üblich, dass sich Politiker vor laufender Kamera in einer anderen als ihrer Muttersprache äußern, zumal dann nicht, wenn die Themen ernst oder sogar heikel sind. Das begreift man schnell, wenn man beispielsweise versucht, ein Videoschnipselchen im Netz zu finden, an dem sich die Englischkenntnisse unseres bisherigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier prüfen ließen – es gibt keins. Auch die Suche nach einer Englischprobe von Angela Merkel endet mit null Treffern. Lediglich Joschka Fischer traut sich ein englisches Interview zu geben, allerdings erst, nachdem er aus der politischen Verantwortung des Außenministers längst entlassen ist.

Dafür gibt es nachweislich auch gute Gründe: Wenn mein Lieblingspopstar zur Eröffnung seines einzigen Deuschlandkonzertes ein besoffenes “Güten Obend Börlin” herauskaut, ist das niedlich und supersüß. Wenn aber Herr Sarkozy gleiches versucht, während er über politische Dinge spricht, kann das nur peinlich und irritierend wirken:

Das hat offenbar sogar Sarko selbst eingesehen, und sich nach der Bauchlandung umgehend für ein paar Englischstunden angemeldet. Schreibt jedenfalls der Telegraph.

Verblüffend finde ich auch, dass sich niemand über die Selbstverständlichkeit wunderte, mit der der Journalist die englische Frage stellte. Ich weiß schon, wenn ich jetzt sage, dass niemand auf einer Pressekonferenz in London auf den Gedanken käme eine deutsche Frage zu stellen, heißt es sofort, dass man das überhaupt nicht vergleichen könne, weil Englisch schließlich die derzeitig Weltsprache ist. Dass stimmt freilich. Wäre ich jedoch Journalist in Frankreich oder England, würde ich mich bemühen die entsprechende Landessprache zu erlernen. Das soll die journalistische Arbeit ja erheblich erleichtern. Und wäre außerdem Ausdruck von Respekt und Interesse.

Das Foto eines Künstlers

Ein Foto von mir wollten Sie.
Für Presse und Werbung und Öffentlichkeit.
Ein Porträtfoto von mir für den Katalog.
Für einen Kunstkatalog.

Kein Geheimnis: Das schmeichelt.
Das streichelt meine Eitelkeit.
Das füttert mein Ego.
Und das verschafft große Bewunderung,
wenn es gelingt, die Anfrage mit der überzeugenden Mischung
aus Verlegenheit und Bescheidenheit
im flüchtigen Nebensatz jeglichen Gespräches zu erwähnen.

Aber das fordert auch.

Nicht, dass meine Festplatten nicht eine ganze Bibliothek von Selbstporträts beherbergen würden, deren Meisterwerke der Welt sogar im Internet zum Abruf bereit stehen.
Nicht, dass ich im Umgang mit der Kamera nicht vertraut wäre und mich nicht gut darauf verstünde, ungeliebte Züge meiner Person zu kaschieren und geliebte zu modellieren, selbst dann, wenn ich sie gar nicht habe.
Nicht, dass meine Inszenierung jemals zitterte oder ich jemals um den passenden Gesichtsausdruck gerungen hätte.
Hier aber doch.
Hier strauchelte ich.
Hier haderte ich.

Sie wollten das Foto eines Künstlers.
Das eines jungen Mannes mit Visionen.
Oder eines sympathischen Trottels.
Mit dem geheimnisvollen Sex-Appeal eines Verrückten.

Sie wollten kein Foto von mir.
Keines von jemandem, der seine frühen Nachmittage mit Talk-Shows tötet.
Der Computerspiele mag.
Und Milch-Shakes von Mc Donald’s.

Sie wollten kein Foto von jemandem, der gar kein Künstler ist und nur deshalb so bezeichnet wird, weil niemandem ein passenderes Wort einfällt für das, was er tut.
Ich baute mein Stativ auf und versuchte wie ein Künstler auszusehen.
Orientierungslos aber intelligent.
Verzweifelt aber kämpferisch.
Traurig aber weise.
Sexy.

Das funktionierte nicht.
Das funktionierte ganz und gar nicht.
Das war überhaupt nicht auszuhalten.
Natürlich nicht.
Ich begriff das nach 3 Stunden und 2 randvollen Speicherkarten.

Ich hörte mich über die zwingende Notwendigkeit von Authentizität reden.
Ich rekapitulierte energische Plädoyers über die ungeheuerliche Stärke die der Fähigkeit zur Konfrontation mit der eigenen Schwäche innewohnt.

Ich erinnerte mich an Diskussionen über das zwangsläufige Scheitern jeglichen Versuches, vermeintliche Wahrheiten aus hölzernen Rollenklischees zu zitieren.
Vor allem aber staunte ich über die prächtigen Blüten die die meine Vorstellungen eines Künstlers trieben.

Ich zog meine Hose von baggy auf die Höhe, in der ich sie normalerweise trage, nahm meine Intellektuellenbrille ab und tauschte mein Paradiesvogelhemd gegen eines, das mich wieder zu dem machte, was ich eigentlich bin: ein Sperling, wenn auch ein aparter.

Die Kamera am ausgestreckten Arm schoss ich ein Foto von mir.
Direkter Blick.
Ernstes Gesicht.
Ich.

Mit Hautschuppen auf der Nase,
einem Mitesser auf der Stirn
und einer leichten Rötung rechts über meiner Oberlippe aus der sich zwei Tage später eine beachtliche Herpesblase entwickeln sollte.

Das ist nicht uneitel.
Das ist das Gegenteil davon:
Einen Moment lang zog ich in Erwägung meine Augen ein wenig blauer und meine Lippen ein wenig röter zu färben am Computer.

MEIN Leben?

Ich weiß nicht, ob dieses hier mein Leben ist.
Vielleicht bin ich wer anders.
Bestimmt zu etwas anderem als diesem hier.
Fehlgeleitet. Abgedriftet. Widrig.
Ich bin in all das hier nur so reingeschlittert.
Habe mich verlaufen, quasi.
Bin verirrt.
Falsch abgebogen.
Falsch.

Habe getrieft.
Den entscheidenden Moment verschlafen.
Zu lange gewartet.
Zu lange gehofft.
Zu lange untätig.

Kein heller Stern mehr,
keine Gunst der Stunde,
nicht zur rechten Zeit am rechten Ort
sondern zur falschen Zeit nirgendwo.
Kein glücklicher Zufall,
keine guten Beziehungen,
nicht von irgend wem in jungen Jahren entdeckt zu irgend etwas.

Hab mir die Zeit mit Büchern vertrieben.
Mit hoffen und träumen und denken und reden.

Und in der Tat:
Mit den Jahren sickert
Tropfen für Tropfen
wie Regenwasser durch Samttapeten
die Erkenntnis in mein Jetzt,
dass ich ebenso

normal

bin, wie die, denen ich es zeigen wollte.

Nicht ohne Talent zwar, aber kein Genie.
Nicht ohne Liebe, aber kein Heiliger.
Nicht ohne Mut und doch kein Krieger.

Fein gemacht.
Was erkannt.
Was gelernt.
Was begriffen.

Und nun?
Bürojob, 8 Stunden, 1.200 Euro?
Sozialarbeiter, 12 Stunden, 800 Euro?
Künstler, 24 Stunden, 0 Euro?
Religiös werden?
Depressiv werden?
Oder Verrückt?

Nein, nein.
Wie gesagt: Ich habe mir die Zeit mit Büchern vertrieben.
Und jedes, jedes einzelne antwortet:

Akzeptieren.
Annehmen.
Sich fügen.
Erkennen, dass genau dieses hier:
jetzt:
dieser Augenblick unter dem Licht meines hellen Sternes stattfindet.

Begreifen, das genau in diesem Moment:
jetzt:
in diesem Atemzug
die Gunst der Stunde liegt,
und dass es jetzt exakt die richtige Zeit
und hier genau der richtige Ort für mich ist.

Gott macht keine Fehler.
Ach,
doch religiös geworden unterwegs?
Na bitte.

Coffee-Shopping

Es ist passiert heute. Natürlich ist es passiert heute. Wir waren in einem Coffee-Shop. Wir haben gekifft. Wir haben heute mal was verrücktes gemacht. Hey.

The Grashopper. Nettes Wortspiel. Gute Idee fürs Interieur. Dunkel, wie alle Coffee-Shops. Nur grüner. In einer dunklen Ecke eine Art Fahrkartenschalter. Mit Glastrennscheibe, einem Verkäufer dahinter und einem Münztablett. Joints der Hausmarke im 3er-Pack, 15 Euro. Gekauft.

Die ersten Züge beißen im Hals. Heiko, obwohl der Mal Raucher war, und mich erst recht. Aber Husten darf man nicht. Nicht in einem Coffee-Shop. Nicht bei dem Publikum. Husten im Coffee-Shop wäre wie Blähungen in der Oper.

Die ersten Züge fühlen sich an wie Schnaps. Es dreht ein wenig, tanzt auf der Grenze zwischen angenehmen und unangenehmen. Aber dieser Zustand hält nich lange an. Dieser Zustand wächst. Heiko erkennt das und hört auf. Ich erkenne das und mache weiter.

Ich kann das Blut in meinen Adern fließen fühlen. Überall. Ich kann fühlen, wie sich die Geschwindigkeit meiner Gedanken erhöht. Das meine Gedanken, weiter schießen als sonst, größere Kreise ziehen, tiefer werden. Ich verliere den Bezug zu meiner Körperlichkeit, treibe weg von der Außenwelt, treibe nach innen. Erst wird Sprechen anstrengend, dann zuhören. Ich habe das Gefühl zu schweben. Räumlich und geistig. Bin nirgends mehr. Bin niemand mehr. Bin nichts mehr. Nur glücklich. Nur ein Moment.

Aber dieser Zustand hält nicht lange an. Dieser Zustand kippt. Ich höre Heiko rufen, dass ich blass würde, dass meine Lippen völlig ohne Blut wären, dass ich wegtreten würde. Und ich glaube ihm, denn einen Augenblick später schwebe ich nicht mehr, sondern spüre mich fallen. Schnell. Schnell verlassen wir den Shop. Frische Luft wäre gut. Frische Luft bringe wieder Farbe ins Gesicht. Tut sie. Aber nicht schnell genug um die Kellnerin davon abzuhalten nach draußen zu rennen und sich zu versichern, dass ich keinen Arzt bräuchte. Ich war mir nicht sicher, tat aber so. (Die Blähungen in der Oper.)

Ein paar Minuten später spüre ich mich wieder. Ein wenig jedenfalls.

Die Zigarette liegt vor mir auf dem Tisch. Links von ihr der Aschenbecher. Rechts von ihr die schützende Hülle. Ich will schlafen.

be water my friend

Da ist so mein merkwürdiges Gefühl gewesen, das mich in den letzten Tagen begleitet hat. So ein Gefühl, eine Ahnung. Wie ein Gewitter, kurz vor seinem Entstehen. Wie eine Idee, Sekunden vor ihrer Geburt.

Nun, ich weiß jetzt, dass es wohl keine große Erkenntnis war, keine, die obigen Trommelwirbel rechtfertigen würde. Aber immerhin eine, die es mir wert ist sie niederzuschreiben, wenn auch nur, um sie später nachschlagen zu können:
Vor Jahren ist mir mal ein Ausspruch von Bruce Lee begegnet. Damals klang er schön. Ich habe ihn aufgeschrieben. Heute habe ich ihn wiedergefunden. Heute habe ich ihn verstanden:

“I said: empty your mind, be formless, be shapeless, like water. And you put water into a cup it becomes the cup. You put water into a bottle it becomes the bottle, you put it into a teapot it becomes the teapot. Now water can flow or it can crash. Be water my friend!”

Ich weiß nicht, wie plausibel das ist. Ich weiß nicht, wie deutlich für andere. Für mich hat das viel mit Tao zu tun. Mit Fließen-lassen. Mit Sich-hingeben. Damit, frei von Erwartungen und Ängsten aufs Leben zu zugehen. Aber wie das bei allen Dingen ist: Eine Erkenntnis wird nicht durch ihr bloßes Erfahren wertvoll, sondern erst durch ihr Erleben. Es genügt nicht, das höchste Wissen zu wissen, man muss es auch (und vor allem) fühlen.

Und was ich gerade fühle ist diese merkwüdige Flüchtigkeit. Ich weiß nicht, ob die mich auszeichnet oder ein kollektives Phänomen ist. Dieses Theoretisch-alles-sein-können. Dieses Eigentlich-nichts-sein. Zu wissen, dass es ich eigentlich nicht gibt. Weil es jeden Tag anders ist. Weil jeden Tag Vergangenheit verloren geht und die Zukunft dazu kommt. Weil ich so stark von meiner Umgebung abhänge. Weil ich anderswo jemand anders wäre. Vielleicht kann ich das morgen erklären.