F wie Frühstücksfrechheit
Um das Frühstück würde ich mich beim nächsten Mal selber kümmern. Das von Oxfam war eine Enttäuschung. Lieblos in Plastiktüten auf die Buffet-Tische geschmissen, gab es Brot, zwei Sorten Wurst, eine Sorte Käse sowie fettfreien Joghurt vom Discounter. Und Butter natürlich. Im praktischen 250g-Stück mit nur einem Schmiermesser am Buffet. So war man gezwungen, sich die Brote direkt an der Tafel zu schmieren, was für lange Schlangen sorgte. Ein veganes Angebot gab es nicht. Kein Obst, keine Marmelade, keine Margarine. Das Brot war wirklich lecker, aber Brot gibt es bei den 4 Bäckern auf dem Weg von der Stadthalle zum Start sicher auch. Und vielleicht sogar ein Lächeln dazu.
G wie Gruppendynamik
Manche sagen Teamgeist dazu, aber das ist Schönfärberei. Würde man einander nicht mögen, liefe man nicht gemeinsam. Gerade unter den langsameren Teams kamen aber nur wenige vollzählig ins Team. Viele Läufer mussten wegen Schmerzen, Blasen oder Kreislauf- bzw. Verdauungsproblemen aussteigen. Zwei Teams erzählten mir unterwegs, dass sie Mitglieder zurückgelassen hätten, weil sie einfach zu langsam gewesen seien. Einmal trafen wir einen Wanderer ganz allein. Wie ich erwartet hatte, kam ich unterwegs an den Punkt, an dem ich mit der Verlagerung meines Körpergewichtes von einem Fuß auf den anderen so ausgelastet war, dass ich mich um niemanden mehr kümmern konnte. Auch in unserem Team war ein Mitglied etwas langsamer als die anderen. Und je weiter wir liefen, umso mehr drückte das. Man kann das aushalten oder besprechen. Ich empfehle beides. Und vor allem empfehle ich, sich vorher darüber klar zu werden, dass man einander nicht nur tragen sondern unter Umständen auch ertragen wollen muss. Und dass man selbst derjenige sein könnte, der Rücksichtnahme braucht. Aus meiner Sicht ist das Zusammenbleiben der Gruppe neben dem Spendensammeln, der persönlichen Vorbereitung und der Selbstüberwindung der vierte Teil der Herausforderung.
H wie X von Hundert
Ich glaube, es ist ein guter Plan, immer nur bis zum nächsten Checkpunkt zu denken. So kann man sich vorgaukeln, keine Hundert Kilometer zu laufen, sondern nur zehn bis zur nächsten Pause. Dort sieht man dann weiter. Ich gestehe aber auch, dass das für mich nicht funktionierte. Die Hundert ist zu rund dafür. An Checkpunkt 2 zu wissen, dass ich schon ein Viertel hinter mir habe, war toll. Dass Checkpunkt 4 erst nach 51 Kilometern auftauchte hat mir geholfen, da war schon mehr als die Hälfte geschafft. Leider ist die Strecke aber nicht gleichmäßig und damit auch nicht das Tempo. Für die ersten 5 Kilometer von Etappe 7 haben wir fast 2 Stunden gebraucht. Wir hatten uns kurz verlaufen, jemand musste länger in den Busch, wir waren zu langsam. Und hier zwicken die Zahlen dann, weil sie Druck erzeugen. Wenn wir ab jetzt nur noch 3 1/2 km/h schaffen, aber noch 30 Kilometer vor uns haben brauchen wir noch 8 1/2 Stunden. Es sind noch 10 Stunden Zeit. Aber wir brauchen noch Pausen. Und was, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert?
I wie impertinentes Insistieren
Irgendwann in der Nacht hatten wir unser langsamstes Teammitglied zum Anführer gemacht. Wir liefen hinter ihm und alles war sehr friedlich. Aber bald drängten mich die Berechnungen aus „H wie von Hundert“ in eine Rolle, in der ich mich sehr unwohl fühlte. Ich geriet in Sorge, ob wir den Trailwalker in diesem Tempo in 30 Stunden schaffen können. Einerseits wollte ich gern Rücksicht auf das langsamste Mitglied nehmen, weil ich wusste, dass es so schnell lief, wie es eben konnte. Andererseits widersprach das meiner Vorstellung und meinem Ziel, auf das ich ja das gleiche Recht hatte. Mehrfach hatte ich versucht, das anklingen zu lassen. Schließlich überwand ich mich, ließ mich zurückfallen und sprach es direkt an. Entweder laufen wir weiterhin wie bisher und finden uns damit ab, zwar die Hundert Kilometer zu schaffen, aber eben nicht im Zeitrahmen zu bleiben. Oder wir halten am ursprünglichen Ziel fest, dann aber müssen wir schneller laufen. Schweigen, Tränen, Kopfschütteln. Ich kann nicht schneller. Das wusste ich. Wie kann es sein, dass ich mein Bestes gebe und es trotzdem nicht reich? Es tat mir so leid. Aber ich kann doch jetzt nicht aufgeben. Das wollte ich auch nicht. Aber die Entscheidung stand an. Manchmal werde ich in solchen Momenten sehr pragmatisch, weil mich sehr emotional sein dann nicht weiterbringt. Am Checkpunkt kniete ich mich zu dem Teammitglied auf die Isomatte und machte den Vorschlag, auf der nächsten Etappe, die glücklicherweise sehr kurz war, unsere Geschwindigkeit mit meinem Handy zu tracken. Wenn wir 4 km/h halten könnten, hätten wir kein Problem. Das Teammitglied stimmte sofort zu, was mich unglaublich erleichterte. Wenige Minuten später stand es auf und lief los. Die ersten paar Meter musste ich regelrecht hinterher flitzten. Die Sonne ging auf, die Etappe führte am Ufer mehrerer Seen entlang und alles stand in goldenem Licht. Ich hatte mir eine Liste geschrieben mit Gründen, warum ich es schaffen will, aus der ich jetzt vorlas. Danach rief ich Parolen. Jeder Schritt ist ein Schritt weniger. Dreh dich mal um und sieh, was wir geschafft haben. Du liegst super im Tempo, mach weiter so. Wir liefen mehr als 6 km/h auf dieser Etappe. Unser Zeitproblem hatte sich erledigt. Wir waren glücklich.
J wie Jammern
„Und? Wie geht‘s euch?“ Weil keiner von uns topfit an den Start gegangen war, interessierte mich das unterwegs sehr. Auch unsere Supporter stellten die Frage an den ersten Checkpunkten. Thomas bat irgendwann darum, das zu lassen. Wenn es einem sehr schlecht ginge, würde der das schon sagen. Er hatte recht. Um die Frage zu beantworten, muss man durch seinen ganzen Körper scannen. Und natürlich würde man Stellen finden, die schmerzen. Statt „Wie geht es dir?“ könnte man ebenso gut „Tut schon ganz schön weh, ne?“ fragen. Das bringt einen nichts als runter. Wir haben das Thema daraufhin weitgehend ausgespart, das lief ganz gut. Bis es auf der letzten Etappe aus uns heraus brach wie aus einem Vulkan. Einige Male mussten wir auf unsere Stöcke wie auf ein zweites Paar Beine gestützt stehen bleiben, damit es beim verzweifelten, hysterischen Lachen nicht ganz so weh tat. Insgesamt hat das Jammern die Moral aber erheblich gedrückt. Wenn es beim anderen nicht mehr geht, geht es bei mir auch nicht mehr. Verzieht der aber kein Gesicht, reiße ich mich auch zusammen.
Freuen Sie sich morgen auf:
- K wie Körper & Kotzen
- L wie Launen & Laufpartner
- M wie Müdigkeit & Morgengrauen
- N wie Nacht und
- O wie schön! Doch Obacht!
(Liebevoll lektoriert von Clemens Kruczynski.)