Weil ich einerseits geradezu übersprudele vor Eindrücken, andererseits aber niemandem einen 4.200-Wörter-Blogpost zumuten will, habe ich eine Miniserie über meine Erfahrungen gebastelt: Das große Oxfam-Trailwalker-Alphabet. Ab heute, bis Samstag jeden Tag um 12. Wer diesen Blog danach immer noch liest, muss mich wirklich mögen. Und bitte:
A wie Anstiege & Abstiege
Ich war froh, dass der längste und gemeinste Anstieg gleich in der ersten Etappe bewältigt werden muss. Und dass Etappe acht und neun im Wesentlichen nur noch bergab führen. Tatsächlich hatte ich zu Beginn der Wanderung den Eindruck, dass Anstiege wahnsinnig anstrengend seien, Abstiege hingegen ein Geschenk. So blieb es nicht. Anstiege bringen mich aus der Puste und treiben mir den Schweiß aus den Poren. Sie können zäh und lang sein und die Gespräche zum Erliegen bringen. Abstiege hingegen strapazieren Knie und Oberschenkel. Ab der Hälfte der Wanderungen waren sie mir verhasst. Als wir Checkpunkt 6 verließen und einen in Serpentinen gepflasterten Abstieg ins Tal zu bewältigen hatten, konnte ich keinen Schritt mehr machen, ohne laut zu ächzen. Deshalb war ich gar nicht mal so sauer, als wir auf der anderen Seite des Tales wieder nach oben klettern mussten. Atmen und Schwitzen tut wenigstens nicht weh. Das Streckenprofil auf der Trailwalker-Seite passt nicht zu meiner Wahrnehmung. Mir kam es vor, als bestünde die Strecke von Etappe 3 abgesehen nur aus An- und Abstiegen.
B wie Blasen & Blessuren
Alle vier Läufer unseres Teams haben sich schon Wochen vor dem Lauf angewöhnt, ihre Füße allabendlich mit Arnikaöl zu pflegen. Das duftete, fühlte sich wie ein gutes Ritual an und hat die Haut in eine Art Teflongewebe verwandelt: weich, glatt aber fest. Blasen tun so, als seien sie ein kleines Zipperlein, aber sie sind zu schmerzhaft, als dass man sie 100 Kilometer lang ignorieren könnte. Jede Stelle die reibt, muss spätestens am nächsten Checkpunkt versorgt werden. Blasenpflaster sind ein Segen und wirken auch vorbeugend. Für mich war auch der Wechsel der Schuhe richtig. Jedes Paar belastet andere Regionen des Fußes, im Idealfall gerade nicht die, die gereizt sind. Wahr ist aber auch: ganz ohne Blasen wird es wohl nicht gehen. Und irgendwann sind sie auch egal. Siehe D wie Durchhalten
C wie Calcium & Cerealien
An Checkpunkt 4, draußen war es schon dunkel und kühl, gab es eine fabelhaften, salzigen Gemüseeintopf. Ohne Fleischeinlage, das war sehr rücksichtsvoll. An Checkpunkt 8 zu dem wir aus Zeitgründen fast gerannt sind, reichte mir Frank ein Spiegelei mit Salz im Brötchen. Noch nie habe ich ein Ei so sehr gewollt und noch war es so unverschämt lecker. Das Eigelb tropfte mir aus dem Brötchen in die Hand, von der ich es leckte wie ein Hund. Abgesehen davon ging es tatsächlich um Ernährung, nicht um Essen. Geschmack oder Genuss spielten kaum eine Rolle. Ein weißes Brötchen für die schnelle Energiezufuhr, eine viertel Tafel Schokolade, wenn es noch schneller gehen sollte. Eine Banane fürs Magnesium, ein Tofuwürstchen für Salz und Eiweiß. Auf dem Weg zu Checkpunkt 8 sagte Caren: Alles schmeckt wie Kautschuk. So war es. Essen war wie Tanken.
D wie Durchhalten
Kurz vor dem Hellwerden, also bei Kilometer 75 vielleicht habe ich mit Caren sehr darüber gelacht, wie wir uns an Checkpunkt 3 Sorgen um unsere Füße gemacht haben. Es kam mir vor, als würden meine Füße umso weniger schmerzen, je weiter ich lief. Die Wahrheit ist wahrscheinlich, dass sich einfach andere Schmerzen in den Vordergrund drängten, zum Beispiel die in den Waden, Schienbeinen, Knien und dem Potpurri an Muskeln ringsherum, Oberschenkeln, Hüften, Hüftbeugern in der Leiste, Rücken, Schultern oder im Kopf. Irgendwer mutmaßte, dass dem Körper vielleicht auch einfach nur der Strom für die Schmerzsignale in den Füßen ausgegangen sei. Ich habe sie mit einer Tablette unterdrückt, obwohl die ja keine 28 Stunden lang gewirkt haben kann. Obwohl man die ganze Zeit nur einen Fuß vor den anderen setzt kam nie Langeweile auf. Die Zeit vergeht schnell, die Strecke ist abwechslungsreich und spätestens ab Kilometer 80 hat das Ziel eine solche Sogwirkung, das Aufgeben geradezu absurd erscheint.
E wie extreme Erfahrung
Noch nie habe ich etwas körperlich derartig Extremes gemacht. Es ist ein Durchbruch für mich von dem ich möchte, dass er mich verändert. Mir ist etwas gelungen, dass ich für unmöglich hielt. Ich merke, wie mein Denken in bekannte Strukturen zurückfällt und den Trailwalker als außerordentlichen Ausrutscher nach oben abtun möchte. Ich will das nicht zulassen. Ich will, dass die überwundenen Grenzen offen bleiben. Ich ahne, dass ich ein neues Projekt brauche. Aber ich bin noch nicht soweit.
Und morgen lesen Sie:
- F wie Frühstücksfrechheit
- G wie Gruppendynamik
- H wie X von Hundert
- I wie impertinentes Insistieren und
- J wie Jammern