Schoßgebete: Geil auf’s Reden

Das Buch, dass ich gelesen habe, heißt zwar “Schoßgebete”, hat aber ansonsten mit dem im medialen Mainstream besprochenen nicht viel zu tun.

In meinem Buch ist auch viel von Sex die Rede. Im Vordergrund steht allerdings ein furchtbarer Unfall, bei dem drei Brüder der Romanheldin Elizabeth auf dem Weg zu deren Hochzeit ums Leben kamen. Dieser Unfall hat sie tief traumatisiert und dazu geführt, dass der Tod immer nur einen Gedanken entfernt ist.

Elizabeth ist permanent auf der Flucht. Sie weiß nicht, wie viel Zeit bleibt. Sie muss alles richtig machen: Richtig essen, die richtigen Zeitungen lesen, richtig wählen, ihr Kind richtig erziehen, ihre Ehe richtig führen und ja, auch richtig vögeln. Andererseits weiß sie, dass sie ihre Flucht vor dem Tod demselben geradewegs in die Arme treiben wird. Deswegen muss alles endgültig sein. Es muss abgerechnet sein: Mit der eigenen Familie, der besten Freundin, dem Ex und mit der Bild-Zeitung. Für Kompromisse ist kein Platz, für Entwicklungen ist keine Zeit.

Der Feind heißt Ruhe. Die Gedankenmaschine muss laufen. Ihre Abgase sind nötig, um Ängste und Verletzungen, Komplexe und Widersprüche, vor allem aber die gähnende innere Leere zu vernebeln, die Elizabeth quält, sobald sie nicht völlig ausgelastet ist.

Dass das Buch in seiner medialen Besprechung so oft auf seine körperlichen Passagen reduziert wird, verblüfft mich. Natürlich: Sex sells. Das gilt nicht nur für Roche selbst sondern genauso für die Zeitungsartikel, Zeitschriftencover und Talkshows, die sie und ihr Buch ausschlachten.

Es freut mich allerdings, dass Autorin wie Heldin dieses Forum nutzen, um für die unverblümte Kommunikation über Sex in Beziehungen einzutreten. Auch meiner Erfahrung nach ist das offene Wort ein wirksames Rezept gegen die ratlose Libido-Langeweile, die eine Last vieler mehrjähriger Liebesbeziehungen ist. Ich stimme Roche zu, wenn sie darauf hinweist, dass die mediale Übersexualisierung unserer Gesellschaft nicht mit einer Entabuisierung des ehrlichen Gespräches darüber zu verwechseln ist. Die aber ist überfällig. Und wie geil unsere Gesellschaft auf diese Debatte ist, zeigt sich in der geflissentlichen Ignoranz gegenüber der nicht in griffige Parolen zu quetschenden traumapsychologischen Dimension des Buches.

Ich kann mich leider nicht entscheiden, ob ich den Stil des Romans grauenhaft oder genial finde. Im gehetzten Plauderton kann nirgends lange verweilt werden. Nicht bei Erotik, nicht bei Psychologie, nicht bei Sex und nicht beim Unfall. Alles ist untrennbar ineinander verschlungen und wird zügig assoziiert aneinander gereiht. Hier wird ein Erzählstrang abgebrochen, fünfzig Seiten später wiederholt er sich, irgendwann wird er fort- oder mit etwas Glück gar zu Ende geführt. Elizabeth denkt wie ein leidenschaftlicher Twitterer: Schnell, oberflächlich, egozentrisch und keine Pointe auslassend. Das hat mich genervt. Weil Roche die Stimmung in der Sekunde wechselt, in der ich mich darauf eingelassen hatte. Und weil es mich an mich selbst erinnert.

Am Ende hat das Netz aus roten Fäden einige wirre Knoten, hält aber.