Alex’ ausführliche Analyse vom Donnerstag, gibt viele Antworten und Einblicke. Aber sie wirft auch Fragen auf. Und zwar sehr grundsätzliche:
1. Warum ist Umverteilung so schwierig?
2. Wer ist der Staat?
3. Wer oder was ist die EU?
1. Warum ist Umverteilung so schwierig?
Ich halte nichts von Neiddebatten und bin auch keiner sozialistischen Utopie erlegen. Aber der Gedanke, dass eine Erhöhung des Einkommens in den ärmeren Bevölkerungsschichten wirkungsvoller in den Wirtschaftskreislauf einfließt, als es gespartes Kapital auf den Tagesgeldkonten der Wohlhabenden kann, überzeugt mich. Unserem Land böte sich durch geschicktere Umverteilung die Chance organisches, inländisches Wachstum zu erzeugen und nicht länger auf den zwiespältigen Titel des Vize-Exportweltmeisters angewiesen zu sein, den wir ohnehin nicht länger halten können. Wirkliche Umverteilung aber gestalte sich in allen modernen Wohlfahrtsstaaten schwierig, schreibt Alex. Ich glaube das auch. Warum aber das so? Liegt es daran, dass Wohlhabendere starke Lobbys haben, die tiefe Einschnitte bei Ihresgleichen zu verhindern wissen? Liegt es daran, dass Politiker oft selbst zu eben diesen Wohlhabenden gehören und gar kein ehrliches Interesse an Umverteilung haben? Oder ist wirklich etwas dran am sehr populären Argument, dass Reiche und Kapitalgeber Deutschland fluchtartig verlassen würden, wenn die Abgabenlast noch schwerer würde?
Mein Eindruck ist, dass wir es hier mit einem sehr verwilderten Baum zu tun haben, der dringend verschnitten und ausgedünnt werden müsste, damit er seine Kraft auf die jungen Triebe konzentrieren kann. Weil sich aber der Wildwuchs zu einem schier undurchdringlichen Dickicht verwoben hat, in dessen Mitte sich Einige sehr komfortable Nester eingerichtet haben, traut sich keiner, zur Säge zu greifen. Vielleicht fehlt es der deutschen Politik und vielleicht auch dem deutschen Wähler am nötigen Mut, Gewohntes aufzugeben um Neuem eine Chance zu geben. Der letzte ernstzunehmende Visionär an den ich mich erinnern kann, war Paul Kirchhoff mit seiner Idee eines radikal vereinfachten Steuersystems im Bundestagswahlkampf 2005. Und dieser wurde schneller als man sein System verstehen konnte, mit der politischen Gelächterkeule zurück in die Versenkung geprügelt. Was aber kann falsch sein, an einem für alle einheitlichen Steuersatz der nicht mehr nur auf Lohn und Gehalt sondern alle Einkommensarten erhoben wird? Das Zocken mit Staatsanleihen und anderen dubiosen Finanzprodukten würde so unattraktiver und der Staat wäre an den Gewinnen daraus beteiligt.
2. Wer ist der Staat?
In den allermeisten Ländern kennt die Staatsverschuldung nur eine Richtung: nach oben. Das ist in Deutschland nicht anders als in Griechenland. Und überall hat dieser Schuldenberg Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen. Beispielsweise durch den Wegfall öffentlicher Aufträge, von denen auch meine Firma profitieren könnte, oder durch das Ausbleiben von Infrastrukturprojekten, durch die sich auch mein Arbeitsweg verkürzen könnte oder auch durch die Schließung der (zugegeben kommunal finanzierten) Schwimmhalle in der Nachbarschaft. Trotzdem bleiben Staatsschulden seltsam abstrakt. Welchen Unterschied macht es für mich, ob mein Land mit 1,3 oder 1,8 Billiarden Euro verschuldet ist? Und was war gleich nochmal eine Billiarde? Bis zur Schieflage Islands letzes Jahr war ich der Überzeugung, Staatsschulden seien nichts anderes als eine Art fortgeschrittene Apokalypse-Fantasie für Staatsbanker und Politiker. Im Ernstfall, dachte ich, führt man einfach wieder eine neue Währung ein, die das Komma ein paar Stellen nach rechts verschiebt. Gerade lerne ich, dass es so einfach nicht ist.
Den Griechen wird jetzt klar: sie sind der Staat. Und am Staat sparen heißt, an Gehältern, Renten und Sozialleistungen zu sparen. Staatseinnahmen zu generieren heißt, den Griechen in die Portmonees zu greifen, sei es durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23% oder eine Steigerung der Abgaben auf Tabak und Benzin. Was die Griechen gerade lernen ist: Nicht der Staat hat die Schulden sondern sie. Ich fürchte diese Lektion wird auch uns nicht erspart bleiben.
Gleiches gilt leider nicht für die Spekulanten die ihr Vermögen in griechischen Staatsanleihen investiert haben. Sie werden in der Annahme bestätigt, dass Staatsanleihen ein todsicheres Geschäft sind. Selbst, wenn das Land selbst nicht mehr zahlen kann: irgendjemand zahlt schon. Warum sollten sie sich also bei der nächsten Gelegenheit anders verhalten?
3. Wer oder was ist die EU?
Wenn Deutschland der verwilderte Baum ist, dessen wuchernde Triebe ein Dickicht geschlagen haben, dann ist die EU ein Dornenhain solcher Bäume, von dem man sich nicht sicher sein kann, ob er in seiner Mitte einen Turm mit einer schlafenden Jungfrau darin verbirgt, die es wachzuküssen gilt. Vielerorts liest man dieser Tage die Forderung, die auch in Alex’ Beitrag anklingt: Die EU braucht eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dass es die bisher nicht gibt hat freilich seine Gründe. Jedes Land folgt seinen Interessen, in jedem Land wurde eine Regierung gewählt, meist für bestimmte Versprechen, die nun zu halten versucht werden müssen. (Ein solches könnte zum Beispiel das Mantra eines faireren, gerechteren und niedrigeren Steuersystems sein, damit sich Arbeit endlich wieder lohnt…) Und auch, wenn einem Europa im Vergleich zu Nordamerika oder China winzig klein vorkommt: Wegen der unterschiedlichen Geschichte der Länder haben wir es auch mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun. Nicht jeder würde das gleiche Problem auf gleiche Art und Weise lösen. Im alltäglichen Leben fällt es mir schon schwer, mich als Deutscher zu fühlen und einzusehen, dass mein Verhalten den Haushalt dieses Landes sehr direkt beeinflussen kann. Wie aber soll ich mich mit den komplexen Verstrickungen des europäischen Wirtschaftskosmos identifizieren? Und wie kann es einem EU-Parlament oder eine europäischen Kommission gelingen, diese Vielzahl an nationalen Charakteren unter einen Hut zu bekommen? Zumal man es ja nicht nur mit Ländervertretungen sondern auch mit Lobbyisten und Sozialverbänden zu tun hat? Das weiß Alex besser als ich. Ich persönlich glaube, dass die Regierungsgremien der EU mittlerweile ebenfalls derart wild gewuchert sind, dass dies – wenn überhaupt – nur nach einem radikal vereinfachenden Rückschnitt ihrer Strukturen möglich ist.
Ein Gedanke zu „Mit der politischen Kettensäge gegen Wildwuchs: Ein Ausweg?“
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