Das Hauptargument in Rons Artikel von letzter Woche ist, dass Strukturprobleme in unserer Wirtschaft dazu führen, dass Kapitaleigner sich durch wildes Spekulieren an den Kapitalmärkten bereichern. Und dass beim Kollaps der Steuerzahler die Verluste kompensiert. So sehr wie ich mit diesem Argument übereinstimme, muss ich doch auch ein wenig auf gewisse Annahmen hinweisen, welche in Rons Argumentation getroffen werden. Zunächst fußt die Argumentation auf nationalen, binneneuropäischen und internationalen Problemen, welche im entsprechenden Kontext diskutiert werden müssen. Deshalb möchte ich mich ein wenig mehr analytische Trennschärfe bemühen.
Herr Schlechts einfache Kernthese ist wohl unumstritten, allerdings birgt sie auch einigen Interpretationsspielraum, wie etwa die Frage: Was soll wo umverteilt werden? Ich gehe davon aus, dass Herr Schlecht lediglich von Umverteilung im Rahmen nationaler Wohlfahrtstaaten spricht, denn alles andere würde der Aussage eine sehr vielreichendere Bedeutung geben. Die Entwicklung von modernen Wohlfahrtsstaaten zeigt, dass es verhältnismäßig schwierig ist, wirklich finanzielle Umverteilung vorzunehmen, aufgrund fehlender politischer Durchsetzbarkeit. Zwei Dynamiken führen zu diesem Problem: Einerseits hat es sich gezeigt, dass sich Umverteilungspolitik einfacher gestalten lässt, wenn große Teile der Bevölkerung davon profitieren. Es ist einfacher in bessere Schulen zu investieren, weil da die Kinder von allen Einkommensgruppen profitieren und Kinder für ihre soziale Lage unverantwortlich sind. Reichen Geld wegzunehmen und den Armen zu geben, ist wesentlich schwieriger und trifft nicht nur bei den Reichen auf Widerstand, sondern auch bei breiten Kreisen der ärmeren Erwerbsbevölkerung.
Das zweite Problem kreist um die Frage was umverteilt wird. Es hat sich gezeigt, dass die Bürger weniger sensitive auf fehlende Lohnsteigerung reagieren als auf den Verlust von Lohn oder des Arbeitsplatzes. Und weil Deutschland in den letzten 60 Jahren nahezu immer Wirtschaftswachstum aufzuweisen hatte, wurden Verteilungskämpfe hauptsächlich über dieses Wirtschaftswachstum ausgetragen. In den letzten 10 Jahren haben die Kapitaleigner nahezu alle Verteilungskämpfe für sich entscheiden können. Dies hat Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit drastisch erhöht und gleichzeitig die Vermögensverteilung zugunsten der Reichen verschoben. Diese beiden Dynamiken sind grundsätzlich Probleme des demokratischen Systems mit Umverteilung, welches in nahezu allen EU Mitgliedsstaaten auftaucht. Das hat also weniger mit der Krise oder dem Wirtschaftssystem als mit der Diversifizierung von Interessen zu tun.
Ein anderer Aspekt ist die Situation mit Griechenland. Dieses Problem ist einerseits auf EU-Ebene angesiedelt und andererseits auf den globalen Finanzmärkten. Das Problem mit der EU liegt in der vertraglichen Konstruktion. Die Europäische Zentralbank ist eine unabhängige Institution mit klarem Auftrag zur Inflationsbekämpfung. Außerdem gibt es einen stark verwobenen europäischen Binnenmarkt, wo die meisten Mitgliedstaaten mehr als 70% ihres Außenhandels mit anderen Mitgliedstaaten abwickeln und viele Konzerne mittlerweile entweder verwoben sind oder in gegenseitigen Abhängigkeit stehen. Gleichzeitig findet keine koordinierte Wirtschafts- oder Steuerpolitik statt, welches dazu führt, dass die Mitgliedstaaten einen Wettbewerb um Außenhandelsüberschüsse führen. Dabei kommt es zu einem Paradoxon, denn die Gewinner wie Deutschland verfügen über eine bessere Wettbewerbsfähigkeit, weil die Reformen entsprechend der Industriebedürfnisse durchgeführt wurden. Diese Länder stehen auch weltweit besser da. Gleichzeitig haben die Länder mit Anpassungsproblemen keinen wirklichen Anreiz aufzuschließen, weil es einfacher ist die Handelsdefizite über Haushaltsdefizite durch billige Staatsanleihen zu kompensieren. In der Eurozone haben aber alle dieselbe Währung und die Staaten haben keinen Zugriff auf die EZB, um ihre Währung und damit ihre Schulden abzuwerten. Die EZB wird dies auch vermeiden, womit die anderen Eurozonenländer in der Quasihaftung sind. Gleichzeitig wird die Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht von der Europäischen Kommission verfolgt, weil diese als zu strikt gelten und die strukturellen Probleme/Besonderheiten der Mitgliedstaaten nicht berücksichtigen. Dadurch entsteht ein Mantel des Schweigens über Abweichung, welche geradezu zum fälschen von Statistiken oder Verstoß einlädt. Ein Blick in die aktuelle EUROSTAT Daten zu den öffentlichen Defiziten offenbart die ganze Dimension des Problems (EUROSTAT: 22.04.2010). Dieses Problem ist ein innereuropäisches und muss dringend beseitigt werden! Herr Schäuble hat sich ja bereits für eine stärker koordinierte Wirtschaftspolitik ausgesprochen (DIE ZEIT: 30.03.2010). Hier ist Frau Merkel als Europäerin gefragt, denn kurzfristige Orientierung auf angeblich deutsche Interessen bringt nicht viel. Wahrscheinlicher ist es, dass sie die NRW-Wahlen abwarten will, damit nicht der Eindruck einer spendierfreudigen CDU entsteht. Das ist aber ein sehr leichtfertiger Umgang mit der Verantwortung, die eine deutsche Kanzlerin für die EU hat.
Die globalen Finanzmärkte sind der wohl am schwersten zu bändigende Unhold im derzeitigen Chaos, weil es keinen direkt legitimierten Gesetzgeber gibt. Lassen sich unsere innerdeutschen Probleme im Deutschen Bundestag und die EU Probleme in Brüssel lösen, können die Finanzmärkte wohl nur in einem gemeinsamen Aufwand der G8+5 Länder nachhaltig gezähmt werden.
Das Problem der Finanzmärkte kann man tatsächlich recht anschaulich am Beispiel Griechenlands verdeutlichen. Griechenland benötigt dringend frisches Kapital, um ältere Kredite zu bedienen und Haushaltsdefizite auszugleichen. Die Kapitaleigner befinden sich dabei in einer strategisch übervorteilten Situation, weil Griechenland auf das Kapital angewiesen ist, während die Kapitaleigner zwischen verschiedenen Anlageformen wählen können. So banal wie dieser Punkt scheint, ist er doch zentral, denn auf diesem einfachen Mechanismus beruht die Macht der Kapitaleigner. Ratingagenturen bewerten dabei die Staatsanleihen nach der Kreditwürdigkeit. Hier spielt das oben genannte Problem hinein. Griechenland hat jahrelang gute Kondition erhalten, die nicht der Kreditwürdigkeit des Landes, sondern der Eurozone entsprachen. Normalerweise würden die Kredite schrittweise teurer und Griechenland wäre zu mehr Haushaltsdiziplin gezwungen. Bis letzten Herbst hatte Griechenland aber keine Probleme am Kreditmarkt, weil es ähnlich wie bei der Finanzkrise 2008 ein blindes Vertrauen in die Eurozone gab. In dem Moment wo Griechenland seine Haushaltsprobleme publik machen muss, entsteht eine Dynamik, welche Griechenlands Probleme potenziert. Denn anstatt Griechenland Geld bereitzustellen, damit die Regierung Reformen einleiten kann, bestrafen die Kapitalmärkte und die Ratingagenturen Griechenland mit Herabstufung bzw. höheren Zinsen.
Aber wo ist das Problem? Griechenland wird jetzt zu Reformen gezwungen, das ist eher ratsam als problematische. Das Problem liegt mehr darin, wer hat was investiert und wer geht mit welchen Gewinnen aus der Situation hervor. Ron hatte ja vollkommen richtig herausgestellt, dass die Eigner der Staatsanleihen von Januar zu den Profiteuren gehören, weil sie den hohen Zinssatz durchsetzen konnten und jetzt über die neuen Kredite aus den anderen Mitgliedstaaten ihr Gewinne einstreichen können.
Jetzt stellt sich aber auch die Frage wie man vergleichbaren Problemen in Zukunft vorbeugen kann. Zunächst einmal sollte man sich verdeutlichen warum Staatsanleihen so attraktiv sind: sie bieten nämlich eine sehr hohe Sicherheit. Tatsächlich werden nahezu alle Staatsanleihen europäischer Staaten auch wieder zu 100% bedient – nicht immer pünktlich, aber Schulden sind ja keine verderblichen Waren! Auch wenn der Staat bankrott geht ist das Geld noch nicht verloren – ähnlich einer Privatinsolvenz. Da muss man die Schulden ja auch noch abstottern, auch wenn es die Option einer Restschuldbefreiung gibt. Ähnlich ist es mit Staaten auch, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass der Staat keine Restschuldbefreiung beanspruchen kann, dafür aber eine unversiegbare Einnahmequelle hat: Steuern. Die einzige Möglichkeit für Staaten wirklich Schulden loszuwerden ohne sie zu tilgen, ist die Abwertung der Währung. Aus offensichtlichen und oben genannten Gründen ist das keine wirkliche Option im Moment. Und das ist auch das Problem. Die Interaktion zwischen Griechenland und Finanzmärkten funktioniert nach den bisherigen Mechanismen nur, wenn es eine Notbremse wie die Währungsabwertung gibt. Im Augenblick spielen die anderen EU Länder die Notbremse, aber auf Dauer müssen die Finanzmärkte reguliert werden. Transparenz und Verantwortung werden wohl wichtige Kenngrößen bei der Regulierung sein müssen. Ratingagenturen, Kapitaleigner und Staaten müssen sich die Risiken teilen und nicht alles auf die Staaten abladen. Außerdem müssen auf allen drei Ebenen entsprechende Strukturen für verantwortliches und nachhaltiges Wirtschaften geschaffen werden. Deshalb fand ich die Idee der Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages, die Kapitaleigner an den möglichen Kosten zu beteiligen, auch recht plausibel.
Zum Abschluss noch eine Bemerkung zur Debatte über den 8 Milliarden der KfW an Griechenland. Es handelt sich dabei um einen Kredit, für den der Bund bürgt. Jetzt kann man sagen die KfW gehört ja Bund und Ländern und deshalb ist es letztendlich Geld aus dem Bundeshaushalt. Tatsächlich wäre es vielleicht angebrachter davon zu reden, dass Investitionskapazitäten temporär von Deutschland nach Griechenland umgeleitet werden, denn dass ist die Aufgabe der KfW. Die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung der Schulden ist auch recht hoch, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass eigentlich alle Kredite von Staaten, wenn auch unpünktlich und selbst mit Währungsabwertung mindestens zu 50 – 70% bedient werden. Deutschland würde also maximal auf 4 Milliarden Euro sitzen bleiben. Und das wahrscheinlich auch nur, falls Griechenland abwertet, was ich persönlich ausschließe. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Griechenland die Kredite einfach nach und nach aus der verbesserten Haushaltsituation heraus abstottern. Am Ende ist es also nicht der deutsche sondern der griechische Steuerzahler, der dafür zahlt. Deutschland muss nur damit leben, dass es in diesem Jahr 8 Milliarden weniger Investitionskapital hat. Das klingt schon viel undramatischer in meinen Ohren.
Ein Gedanke zu „Die Dreifaltigkeit politischer Irrwege“
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