“Was muss ich tun, um dich davon abzuhalten?”, fragte mich ein Kollege, als ich verkündete, heute sehr pünktlich gehen zu müssen, um meinen Mitgliedsantrag noch vor Ladenschluss der Grünen-Geschäftsstelle abgeben zu können. Ich antwortete leichtfertig: “Mich davon überzeugen, dass es falsch ist.” und wurde Zeuge eines sehr umfassenden Brainstormings, das kein einziges gängiges Ressentiment gegen die Grünen ausließ. Hier die Top-5-Parolen in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit:
Politik muss gestalten und nicht verbieten. Die Grünen sind eine Verbotspartei.
Verbote sind unsexy, das finde ich auch. Aber die Grundidee unserer Gesellschaftsform beruht darauf, dass der Staat den Markt an seinen Rändern reguliert. Regulieren ist ein weiche Formulierung für: das Unerwünschte verbieten. Was das “Unerwünschte” ist, muss gemeinsam definiert werden. Oder etwas diplomatischer: Die Freiheit des einen muss enden, wo die des anderen berührt wird. Mehr dazu gleich.
Die Grünen sind längst Teil des Establishments. Du wirst das System nicht ändern, wenn du Teil davon wirst. Du wirst nur Teil davon. Überhaupt ist diese ganze Politik ein zahnloser Tiger aus Papier. Politische Teilhabe findet heute auf anderen Kanälen statt.
Demokratie funktioniert nicht nur über Demonstrationen und erst recht nicht über Online-Petitionen. Demokratie braucht Mechanismen zur Bildung und zur Messung des politischen Willens. Dazu gehören seitenlange Anträge, stundenlange Diskussionen und tagelange Konferenzen. Dazu gehören klare Regeln, die sicherstellen, dass nicht nur die Lautesten gehört werden. Dazu gehört, dass Entscheidungen transparent getroffen werden, auch, um für diejenigen nachvollziehbar zu bleiben, die es lieber anders gehabt hätten. Das ist sicher nicht immer dynamisch und aufregend. Aber trotzdem richtig so. Und im Vergleich zu den anderen Parteien (mit Ausnahme der Linken) haben die Grünen seit Jahrzehnten feststehende Ziele und Ideale in denen ich mich obendrein wiederfinde.
Die Grünen haben ihre pazifistischen Ideale verraten und einen völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz mitbeschlossen.
Das haben sie. Ich fand das falsch. Ich will trotzdem beitreten. (Die Entscheidung ist 14 Jahre her. Viele von denen, die sie damals mitgetragen haben, sind längst keine Amtsträger mehr. Viele Grüne bewerten die Entscheidung inzwischen selbst als Fehler. Programm und Inhalte der Grünen halte ich trotz dieses Fehlers für richtig und sogar am richtigsten. Mir ist klar, dass sich dergleichen wiederholen kann. Wann immer eine politische Organisation in Verantwortung gerät, werden ihr Programm und ihre Protagonisten mit den Erfordernissen und Dringlichkeiten dessen konfrontiert, was wir Wirklichkeit nennen. Hier beginnt Politik. Das vorher ist Willensbildung. Die ist wichtig, aber nicht vor irrationalem Idealismus gefeit. So wird das auch auf persönlicher Ebene sein. Mir ist klar, dass man als Mitglied einer Partei sehr wahrscheinlich Entscheidungen mittragen wird, die einem nicht perfekt vorkommen. Das kann ich aushalten.)
Die gleiche Partei wie Claudia Roth? Wirklich?
Unbedingt. Claudia Roth kann man mögen oder nicht. Ein Gefühl zu Volker Kauder zu entwickeln, finde ich ungleich schwieriger. (Und versucht jetzt ja nicht mir einzureden, es ginge nicht um Gefühle, wenigstens auch, wenigstens ein bisschen.)
Mich haben diese Einwände in meinem Entschluss bestätigt. Offensichtlich hatte ich alles bedacht. Ich bin heute Mitglied von Bündnis’90/Die Grünen geworden.
Ich will wissen, ob sich das, was ich für richtig halte, wirklich so einfach umsetzen lässt, wie ich es mir vorstelle. Bloggen, diskutieren, Utopien schmieden – das kann ich, das können wir. Aber ich will – wenn nötig – endlich erleben, woran diese Utopien scheitern, an wem und warum. Ich fürchte mich nicht davor, für naiv gehalten zu werden: Ich glaube an eine Handvoll Utopien. Aber ich habe eingesehen, dass ich ihnen mit denken und sprechen und allein nicht näher komme.