Der Chauffeur

Es ist wahrhaft ein feiner Zug des Lebens, eine freundliche Geste, ein nützlicher Dienst. Weil unsere Sprache aber hier hapert, neigen wir dazu keinen Gebrauch davon zu machen und uns hier anzustrengen statt auszuruhen.

Wir meinen, im Urlaub oder am Wochenende oder in der Frühstückspause zu uns kommen zu müssen, dabei ist es viel einfacher: wir werden gebracht.

Ich sitze keine 10 Minuten in diesem Stuhl und muss nicht in mich gehen: es zieht mich dahin.

Es stimmt: Eingangs ist es nicht viel mehr als watteweiche Weltschmerz-Sentimentalität, in die ich mich fallen lasse, aber weich ist gut, dann fürchtet man sich nicht vor der Tiefe.

Man muss sich bekannt machen mit ihr, sie kennen und schätzen lernen, denn ihr zu vertrauen bedeutet, das Richtige zu tun.

Ich höre keine innere Stimme, lese keine Wahrheiten in Karten- oder Sternbildern und brauche keinen Reiseführer zum inneren Schamanen in 14 Tagen.

Es ist viel einfacher. Ich sitze hier und lass mich fallen. Ich lese kein Buch, keine Zeitschrift, keine e-Mail. Ich lass den Fernseher aus und das Radio und meinen MP3-Player. Ich verabrede mich nicht und stell das Telefon lautlos. Und ich glaube dem irritierenden Eindruck, dass das was ich erlebe alles andere als Stille ist.

Es ist so einfach: Ich sitze hier und tue nichts. Genau das Richtige.

Der erste Schmetterling des Jahres

Als ich heute das fröhliche Spiel des ersten Schmetterlings dieses Jahres mit der Videofunktion meines Mobiltelefons notieren wollte, nahm dieser stolz auf einem sonnigen Mauervorsprung platz, und präsentierte mir seine schillernden Segel geduldig zusammengeschlagen als schwarzen Strich. Ich hätte ihn berühren müssen, um ihn zum weiterfliegen zu bewegen. Flugstaub an den Fingerspitzen ist aber keine Trophäe. Und ein buntes Minimosaik längst kein Schmetterling.

Das Vergehen der Zeit

Ich bin kein Physiker oder Chemiker. Ich bin Romantiker. Und zwar ein hoffnungsloser. Einer, dem es nicht gelingt, eine zugegeben ziemlich altbackene und müßige Frage der menschlichen Existenz bei Seite zu schieben. Die der Zeit nämlich.

Heute ist der 14. Januar 2008. Zweitausendundacht! Nach meinem persönlichen Zeitgefühl dürften wir maximal am Anfang des Jahres 2003 stehen. Und wenn ich es mir wünschen dürfte, bitte noch knapp vor der Jahrtausendwende. Immer wieder erlebe ich kurze Momente des Schocks bei der Konfrontation mit dem akuellen Datum. Durch die Datumsleiste der Tagesschau zum Beispiel, durch die Vorahnung, dass ich dieses Jahr 28 werde, oder plastischer durch die Erkenntnis, dass Grönemeyers “Bleibt alles anders” heuer zehn Jahre her ist.

Jedem, den ich zwinge 10 Minuten über Zeit nachzudenken wird auffallen, dass die Tage unserer Kindheit scheinbar wesentlich langsamer vergangen sind als heute. Jeder kann sich daran erinnern, wie der Schulranzen am letzten Schultag vor den Sommerferien in der hintersten Ecke des Schrankes verschwandt. Acht Wochen Schulferien waren ziemlich nah dran an nie wieder in die Schule müssen. Nach meiner höchstwahrscheinlich völlig verschobenen Erinnerung hat ein Wochenende damals so lange gedauert wie 14 Tage Urlaub heute.

Ich kenne die populärwissenschaftlichen Erklärungsversuche: Ein Tag dauert in der Kindheit scheinbar länger, weil er einen größeren Anteil an der Gesamtzeit unseres Lebens einimmt. Kinder haben weniger Verpflichtungen und einfachere, klarere Tagesstrukturen. Hierdurch entsteht mehr Platz um das Vergehen der Zeit zu erleben. Kinder erleben aber auch täglich neues, weshalb jeder Tag ein herausragender ist, der klarer erinnert wird.

Das mag alles stimmen. Welche Möglichkeiten habe ich aber heute, an diesen Punkt zurückzukehren? Keine wahrscheinlich. Weil ich ja immer weiter vorwärts muss. Erwartet mich eine Phase ähnlich langsamen erlebens in meiner Zukunft? Im Alter vielleicht? Ich werde es herausfinden. Gefühlt wahrscheinlich schon übermorgen.

Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht

Ich hatte noch keine Gelegenheit es in diesem Blog einer theoretischen Öffentlichkeit kund zu tun, aber: Ich habe ein Problem. Und nur weil dieses Blog hier trotz seiner theoretischen Öffentlichkeit einigermaßen anonym ist, traue ich mich, es so klar zu sagen, wie es sich anfühlt: Mir fehlt eine Aufgabe. Eine große. Eine Lebensaufgabe.

Es ist nicht so, dass ich mich langweile. Meine Tage sind gefüllt mit allerlei Aufgaben und Verpflichtungen, auch mit schönen Hobbys, einerPartnerschaft und der Freundschaft einer bezaubernden Hündin. Aber mir reicht das nicht. Ich brauche etwas Größeres. Dass heißt: Ich meine,etwas Größeres zu brauchen. Etwas Öffentlicheres, Wichtigeres, Schicksalhafteres.

In den 90ern habe ich einen objektiv betrachtet mittelmäßigen Roman gelesen, der mich dennoch sehr beeindruckt hat. Weil er nämlich von der Mittelmäßigkeit der Autorin handelt, die meiner eigenen Mittelmäßigkeit verdächtig ähnlich sieht. Das Buch heißt übrigens “Chemische Reinigung” und ist von Silvia Szymanski. Weil ich weiß, dass es auf meine Empfehlung hin ohnehin niemand lesen wird, habe ich keine Skrupel den wichtigsten Satz hier gleich im drittan Absatz breitzulatschen: “Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht.” Meine Rede. Amen. So ist es.

Eben beim Blumengießen dachte ich: So gern wäre ich Schauspieler geworden oder Sänger, oder Designer für neue Süßigkeiten, Schriftsteller oder Psychologe. So gern würde ich als Komiker auf der Bühne stehen oder als Moderator vor der Kamera. Eine Traurigkeit machte sich breit in mir, weil das leider alles Träume geblieben sind. Du hättest eben nicht auf ein Wunder warten dürfen, dachte ich dann. Du hättest dafür kämpfen müssen, dass dein Leben so aufregend wird wie das eines Stars oder wenigstens eines Sternchens. Oh! Dann viel mir ein, dass ich Künstler bin. Und dass sich das zunächst einmal genauso interessant anhört wie Süßigkeitendesigner oder Achriftsteller.

Ist es aber leider nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man zu den 97% der Künstler gehört, deren Kunst a.) weitgehend ohne Anteilnahme der Öffentlichkeit stattfindet, und b.) kein Einkommen generiert sondern nur Ausgaben verursacht. Meine Stimmung hellte sich ein kleines bisschen auf, als ich feststellte, dass das für 97% der Schriftsteller oder Schauspieler ebenso gilt, um sich ebenso zügig wieder zu verdunkeln, bei dem Gedanken, dass durchaus auch solidere Positionen auf meiner Wunschliste standen, die ich wegen meines enormen persönlichen Geltungsbedürfnisses leider ausgeschlagen habe.

Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht. Deshalb denke ich, ich müsste in meinem Leben Großes erreichen, am besten im grellen Spotlight der Öffentlichkeit. Deshalb denke ich, ich bin zu irgend etwas höherem bestimmt, das mich in allernächster Zukunft entdecken und ganz nach oben tragen wird. Deshalb belächle ich das was ich habe als kleines Glück.

Das sind alles keine neuen Gedanken für mich. Im Gegenteil. Sie begleiten mich schon so lange, dass sie beginnen mich zu langweilen. Glauben Sie mir, ich habe mich in masochistischer Hingabe in ihnen gesuhlt und viele wertvolle Erkenntnisse erlangt. Zum Beispiel die, dass ich, meine Person, mein Ego genauso besonders ist, wie alle anderen Personen und Egos auf diesem Planeten. Leider nicht besonderer. Oder
die, dass die Realität eben nicht von Rosamunde Pilcher verfasst wurde, und man demzufolge von Sehnsucht und Idealismus allein nicht leben kann. Oder die, dass ich objektiv betrachtet lebe wie der märchenhafte Hans im Glück.

Der Pferdefuß dieser Erkenntnisse ist folgender: Sie überzeugen mich nicht. Es will ihnen nicht gelingen, den Kind gebliebenen Narzisten in mir das Maul zu stopfen, obwohl sie sich durchaus einen prominenten Platz in meinem Kopf und auch in meinem Herzen erkämpfen konnten. Es ist, als wäre ich klug, aber nicht klug genug.

Ich muss mich konzentrieren.

Lethargie

Die Häufigkeit meiner Posts macht keinen Hehl daraus: Ich bin im Moment sowas von lethargisch, dass ich es keinen einzigen Tag mit mir aushalten würde, wenn ich nicht müsste.

Jeden Morgen gegen 10 muss ich mir aufs Neue eingestehen, dass ich einfach nicht reinkomme in den Tag. Jeden Morgen aufs Neue habe ich das Gefühl, der Tag und ich fahren auf unterschiedlichen Gleisen. In unterschiedliche Richtungen. Von unterschiedlichen Bahnhöfen ausgehend.

Alles was ich anfasse kommt mir nach einer halben Stunde leer und grau vor und nach spätestens einer Stunde bin ich so gelangweilt vom jeweiligen, dass ich es beiseite lege.

Ich verbringe meine Tage damit mir Liveübertragungen von Pressekonferenzen auf Phoenix anzusehen oder stundenlang die Technikticker im Netz zu lesen.

Und dabei ist es natürlich nicht so, dass ich nichts zu tun hätte. Die Pinnwand über meinem Schreibtisch hält 25 noch nicht begonnende Projekte für mich bereit. Jedes liebevoll auf einem eigenen Klebezettel in Stichworten umrissen. Ich vermeide den Blickkontakt.

Und dabei ist es leider auch nicht so, dass ich mir einfach reinen Herzens frei nehmen könnte um mir die Tage fröhlich mit langen Spaziergängen, Cafèbesuchen, Computerspielen oder der äußerst faszinierenden Musikflatrate vertreiben.

Es ist als hätte ich Tapetenkleister in meinen Adern.

Abends lade ich mir manchmal Freunde zum Essen ein. Denen koche ich dann was um den Tag nicht mit 100% sinnlos verloren zu geben. Ich lasse sie gern erzählen aus ihrem Leben. Von der Arbeit. Von der Freundin. Von der Politik. Beim Zähneputzen dann freue ich mich, dass ich mich so lebendig fühle. Heimlich nehme ich mir dann vor morgen alles besser zu machen. Eines Tages wird das klappen.

Heute kommen Caren und Sascha.
Jetzt.

Fernbeziehung

Meine Güte, war ich glücklich gestern. Was ja mit Blick auf die Uhr schon vorgestern geworden ist. Dieses Gefühl ist Heimat. Nicht, dass es so vertraut wäre. Nicht, dass man es so gut kennen würde. Aber es fühlt sich so richtig an, wie sonst kaum etwas. Und es macht einen so leicht. Und es macht die eigenen Probleme wirklich zu Sandkörnen. Wenn auch nur für einen Augenblick, einen Atemzug, einen Herzschlag, oder zwei. Und oder aber natürlich ist es flüchtig, wie ja alles flüchtig ist und vergeht. Natürlich ist es Heimat, aber kein Zuhause. Kein Ort, an dem du Wohnen kannst, und der dich auffängt, wenn du fällst. Es ist wie eine Fernbeziehung mit einem Seelenverwandten,

die ich ja übrigens tatsächlich führe. Und wahrscheinlich hängt das ja alles zusammen, dieser Seelenverwandte hatte heute, also flüchtigerweise gestern nämlich Geburtstag und ich durfte abgesehen von Gedanken- und Funktelefonverbindungen nicht bei ihm sein. Ihn nicht riechen, nur im Geiste. Ihn nicht Streicheln, nur in der Erinnerung. Ihn nicht küssen, nur sein Bild.

Diese Zustände des Geteilt-seins, dieses Gefühl der Entfernung ist wirklich vergleichbar. Ich kann mich heute nur schlecht an unseren Ozean erinnern. Und ebenso schlecht kann ich erinnern, wie es sich anfühlt, Heikos warmen behaarten Bauch zu streicheln. Und heute spüre ich, wie weit der Weg ist zur eigenen kolletkiven Erinnerung, weil er nämlich über Vertrauen führt. Wie lange ein Gedanke braucht für 600 km. Und wie oft Vertrauen unterwegs von Angst vom Wagen gezerrt wird. Wie verdammt lange 14 Tage dauern.

Hey, da fällt mir ein, dass heute ja schon morgen ist und ich so schon morgen zu ihm fahre. Zu meinem Ozean

be water my friend

Da ist so mein merkwürdiges Gefühl gewesen, das mich in den letzten Tagen begleitet hat. So ein Gefühl, eine Ahnung. Wie ein Gewitter, kurz vor seinem Entstehen. Wie eine Idee, Sekunden vor ihrer Geburt.

Nun, ich weiß jetzt, dass es wohl keine große Erkenntnis war, keine, die obigen Trommelwirbel rechtfertigen würde. Aber immerhin eine, die es mir wert ist sie niederzuschreiben, wenn auch nur, um sie später nachschlagen zu können:
Vor Jahren ist mir mal ein Ausspruch von Bruce Lee begegnet. Damals klang er schön. Ich habe ihn aufgeschrieben. Heute habe ich ihn wiedergefunden. Heute habe ich ihn verstanden:

“I said: empty your mind, be formless, be shapeless, like water. And you put water into a cup it becomes the cup. You put water into a bottle it becomes the bottle, you put it into a teapot it becomes the teapot. Now water can flow or it can crash. Be water my friend!”

Ich weiß nicht, wie plausibel das ist. Ich weiß nicht, wie deutlich für andere. Für mich hat das viel mit Tao zu tun. Mit Fließen-lassen. Mit Sich-hingeben. Damit, frei von Erwartungen und Ängsten aufs Leben zu zugehen. Aber wie das bei allen Dingen ist: Eine Erkenntnis wird nicht durch ihr bloßes Erfahren wertvoll, sondern erst durch ihr Erleben. Es genügt nicht, das höchste Wissen zu wissen, man muss es auch (und vor allem) fühlen.

Und was ich gerade fühle ist diese merkwüdige Flüchtigkeit. Ich weiß nicht, ob die mich auszeichnet oder ein kollektives Phänomen ist. Dieses Theoretisch-alles-sein-können. Dieses Eigentlich-nichts-sein. Zu wissen, dass es ich eigentlich nicht gibt. Weil es jeden Tag anders ist. Weil jeden Tag Vergangenheit verloren geht und die Zukunft dazu kommt. Weil ich so stark von meiner Umgebung abhänge. Weil ich anderswo jemand anders wäre. Vielleicht kann ich das morgen erklären.