Als letzte Woche bekannt wurde, dass die Leipziger Ernst-Grube-Sporthalle zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert werden sollte, kursierte bald ein Aufruf der Fjällsangels im Netz. Für die bis zu 500 Personen sollten Willkommens-Päckchen gepackt werden, die sie nach ihrer Ankunft mit dem Notwendigsten versorgten, nämlich mit Deo, Seife, Zahncreme, Zahnbürste. Und Keksen. Außerdem stand da noch: Ein Kärtchen mit einem Willkommensgruß wäre schön.
Eine Freundin entdeckte den Aufruf und beschloss mitzumachen. Sie besorgte die Sachen und gemeinsam schnürten wir am Abend in ihrer Küche die Päckchen, die wir später zur Sammelstelle bringen wollten. Bis hier hin alles ganz einfach.
Hart wurde es beim Willkommensgruß. Schon bei der Auswahl der Karten aus ihrem riesigen Postkarten-Fundus blieb uns die Spucke weg. Eine „Free Hugs“-Karte? Eine „Schwein gehabt!“-Karte? Eine „Get shit done.“-Karte? Unerträglich zynisch. Das ist nicht der Kontext für lässig, witzig, cool. Das ist aber auch nicht der Kontext für Blumenmotive oder schöne Landschaften. Nach ewiger Sucherei schienen uns die „I ♥ Leipzig“-Karten am passendsten. Freundlich, leicht verständlich, tauglich als Erinnerung.
Erinnerung war ein wichtiger Punkt für uns, auch wenn wir uns ein bisschen romantisch und naiv dabei vorkamen: Die Flüchtlinge haben ihre Heimat verlassen. Alles was sie hatten. Viele die sie liebten. Sie nehmen eine Tortur auf sich um in ein fremdes Land zu kommen, das sehr wahrscheinlich ganz anders ist, als sie es sich vorgestellt hatten. Sehr wahrscheinlich weniger schön. Sie landen in einer Stadt, von der sie möglicherweise noch nie gehört haben. Sie finden sich in einem Gebäude wieder, in dem sie mit Hunderten anderen um vier Duschen konkurrieren.
In diesem Chaos taucht jemand auf und schenkt Ihnen Zahncreme, Seife und eine Karte. Für mich wäre das eine wichtige Karte. Vielleicht die wichtigste. Ich würde sie aufheben. Ich würde hoffen, sie in 10 oder 15 Jahren zur Hand nehmen zu können, in einem geordneten Leben, in Sicherheit und Stabilität, und mich an diesen wüsten Start erinnern zu können, idealerweise kopfschüttelnd aber lächelnd. Und aus dieser Hoffnung würde ich versuchen Kraft zu schöpfen, für die Unwägbarkeiten die noch vor mir liegen. „I ♥ Leipzig“ ist vielleicht gar nicht so schlecht, „I ♥ Leipzig“ könnte vielleicht einmal stimmen.
Dann verharrte der Kugelschreiber minutenlang reglos über dem Papier. Ein Willkommensgruß an Flüchtlinge? Was sollen wir schreiben? Hallo? Guten Tag? Ich meine: Ist das ein guter Tag? Kann das ein guter Tag sein? Oder schreibt man: Herzlich willkommen? Wie herzlich war das Willkommen wohl bisher? Nicht jedem, der Asyl fordert, wird Asyl gewährt werden. Nicht jeder wird willkommen sein. Sollen wir lieber alles Gute wünschen? So eine Floskel? Sollen wir schreiben: Hoffentlich war Ihre Reise war menschenwürdig? Hoffentlich haben alle Mitglieder Ihrer Familie überlebt? Oder dutzt man von vornherein? Darf man Worte wie Frieden und Sicherheit verwenden oder hat man den Mund damit schon zu voll genommen? Alles, was uns einfällt ist entweder zu oberflächlich oder zu anmaßend. Wir möchten freundlich sein. Und respektvoll. Verbindlich. Aber ehrlich.
Und in welcher Sprache sollen wir Schreiben? Deutsch? Englisch? Wir googlen, dass man in Syrien Arabisch spricht. Wir googlen Willkommen auf arabisch und finden, dass es sehr schön aussieht. Wir könnten es abmalen, aber es ist uns zu heikel. Was, wenn wir einen Bogen zu viel oder zu wenig machen?
Es ist erschreckend: Wir haben keine Ahnung. Nicht vom Flüchten, nicht von dem wovor zu flüchten war und davon nicht, wie sich das vorläufige Ankommen anfühlen könnte. Wie selten zuvor wird mir klar, wie theoretisch alles Nachdenken über Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen war. Und ist. Mir schnürt es den Hals zu, als ich begreife: Wir wollen nicht den Flüchtlingen schreiben. Wir schreiben jemandem. Einer konkreten Person, der das alles wirklich passiert ist. Wir schreiben einem Du, das mehr braucht als eine Zahnbürste und eine Postkarte.
Wir schreiben nur „Willkommen! Welcome!“. Wir wollen nicht über unsere Hilflosigkeit jammern. Wir machen uns auf den Weg.
Ich kenn das, dass die Kollegen hier sich auch immer viel zu viel Kopf drum machen, was sie auf eine Geburtstagskarte für Kollegen schreiben sollen. Mir fällt das komischerweise gar nicht schwer und die Kollegen, welche die Karten zum Geburtstag bekommen freuen sich am Ende sogar noch. Das Geheimnis: ich mach mir nicht soviel Kopf um das was ich schreibe. Beginn die Karte oft mit “heute” und schreibe viel über mich, denn über den anderen weiß ich ja viel zu wenig. Dann wäre mir auch diese Karte ziemlich leicht gefallen.
“Heute ist ein guter Tag für uns. Du bist hier angekommen und wir freuen uns, Dich in unserer Mitte zu wissen. Wilkommen. Wir freuen uns auf noch viele weitere, hoffentlich ebenfalls gute Tage mit Dir.”
Ja, darüber kann man sich wieder viel Kopf machen und jedes Wort zerpflücken. Aber wenn ich so eine Karte bekäme, jemanden fände, der mir ggf. übersetzen würde, was da steht, hätte ich mich gefreut. Mehr Anspruch hätte ich an diese Karte nicht.
“nicht jeder der asyl fordert” – “nicht jeder der asyl sucht”, “nicht jeder der schutz sucht” scheinen mir treffender. danke.