Kurz sortiert: Die Griechenland-Krise

Ich habe es bisher vermieden zur Griechenland-Krise zu bloggen, weil ich dachte, ich verstünde nicht genug von Volkswirtschaft um mich qualifiziert zu äußern. Nachdem was ich andernorts in zeigefingergroßen Lettern lesen muss, scheint mir das jedoch falsche Bescheidenheit gewesen zu sein. Die mit den Lettern können mit 10 Fingern tippen, ich bin wenigstens Bankkaufmann. Einen Masterplan zur Lösung habe ich auch nicht (Ich weiß. Jetzt sind alle enttäuscht.), aber vielleicht hilft es einzusehen, dass wir es nicht mit einem, sondern mindestens mit vier Problemen zu tun haben, die separater Lösungen bedürfen.

1. Humanitärer Notstand

Der Bargeldverkehr ist wegen der Auszahlungsbeschränkungen quasi zusammengebrochen, der Zahlungsverkehr (Überweisungen, Kreditkartenverfügungen) funktioniert nur noch eingeschränkt. Die griechische Bevölkerung kann sich kaum noch mit Lebensmitteln versorgen, da Warenlieferungen nur noch gegen Cash erfolgen und leider kein Cash da ist. Die medizinische Versorgung, der Nahverkehr, die öffentliche Verwaltung und wohl bald auch die Energieversorgung sind gefährdet. Dem muss Abhilfe geschaffen werden, bevor wir bürgerkriegsähnliche Zustände, Plünderungen und Überfälle erleben. Abhilfe schafft man mit Geld. Aus Europa. Sofort und ganz gezielt. Was droht ist eine Katastrophe und Katastrophenschutz können wir uns leisten. Von mir aus kann man diese Zuwendungen als Kredite bezeichnen, auf eine Rückzahlung sollte man sich jedoch nicht verlassen. Wichtig wäre, die Verwaltung und Auszahlung dieser Gelder nicht den griechischen Banken zu übertragen, oder jedenfalls auszuschließen, dass sie damit Löcher in ihren Bilanzen stopfen.

2. Fiskaler Notstand

Griechenland wird die Schulden, die es in den vergangenen Jahrzehnten aufgetürmt hat niemals zurückzahlen können, die Schuldenlast ist dafür zu hoch und die Wirtschaftsleistung zu gering. Meiner Meinung nach folgen daraus drei Dinge: Die Verbindlichkeiten gegenüber privaten Gläubigern (Hedge- und Pensionsfonds zum Beispiel) müssen gekappt werden, sprich: von Hundert eingezahlten Euro kriegen sie nur noch 60 oder 70 zurück. Bestimmt beunruhigt das die Finanzmärkte, bestimmt lehrt es sie aber auch, dass es eine schlechte Idee ist, gegen Länder in Not zu spekulieren. Das Risiko von Griechenland-Investments war jedem bewusst. Manchmal treten Risiken ein – deal with it. Die Verbindlichkeiten gegenüber der öffentlichen Hand (Staaten, EU-Institutionen) sollten umstrukturiert werden, d.h. sie bestehen mit einer wesentlichen längeren Laufzeit und falls nötig auch niedrigeren Zinsen fort. So sinkt sofort die Last für den Schuldendienst und es werden Mittel für Investitionen frei. Vor astronomischen Kreditlaufzeiten von möglicherweise mehr als 100 Jahren sollte man sich dabei weder auf europäischer noch auf griechischer Seite fürchten. Vielleicht kann man sich in 10 oder 20 Jahren auf einen Teilerlass der Schulden einigen. Diesen jedoch jetzt durchzuführen würde die ohnehin arg strapazierte Geduld der übrigen Europäer überreizen und könnte außerdem andere Staaten in ähnlich heiklen haushaltspolitischen Situationen zur Nachahmung animieren.

3. Investitionsnotstand

Vom Sparen alleine wird Griechenland nicht wieder auf die Beine kommen. Wenn Sozialleistungen und Gehälter im öffentlichen Dienst sinken, die Steuern aber im Gegensatz dazu steigen, sinkt die Kaufkraft. Sinkende Kaufkraft führt zu sinkenden Gewinnen führt zu sinkenden Steuereinahmen und sinkenden Gehältern. Ein europäisches Investitionsprogramm ist nötig, das einerseits Arbeitsplätze schafft und andererseits Vorrausetzungen für die Ansiedlung von Unternehmen, bspw. durch Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur (Straßen, Schienen, Internet). Auf den ersten Blick wird dieses Investitionsprogramm freilich wie eine weitere Finanzspritze aussehen, weshalb sie denjenigen Bürgen, die sie mit ihren Steuergeldern bezahlen müssen schwierig zu vermitteln sein dürfte. Auf lange Sicht wird sich ein wirtschaftlich prosperierendes und politisch selbstständiges Griechenland aber für alle auszahlen.

4. Politischer Notstand

Damit der fiskale und der Investitionsnotstand aber gelindert werden können, sind stabile politische Verhältnisse nötig. Das heißt: Es braucht eine Regierung hinter der das Volk steht. Das hätten wir. Es braucht aber weiterhin handlungsfähige staatliche Institutionen wie beispielsweise Steuerbehörden, Grundbuchämter, Stadt- und Bezirksverwaltungen. Und hier hapert es schon. Niemand kann erwarten, dass ein Unternehmen eine Fabrik auf ein Grundstück baut, von dem es sich nicht sicher sein kann, dass es ihm wirklich gehört. Es müssen Reformen beschlossen werden, beispielsweise zur höheren Besteuerung von Erbschaften und größeren Vermögen (auch solchen im Ausland) und es muss sichergestellt sein, dass diese Reformen auch umgesetzt werden. Welche Maßnahmen die griechische Regierung letztlich wählt um ihre Einnahmesituation auf Vordermann zu bringen, ist selbstverständlich ihr überlassen. Dass die Geldgeber aber konkrete, tragfähige und auch umsetzbare Maßnahmen verlangen, bevor sie neues Geld zuschießen darf Ihnen nicht verübelt werden. Wenn ein Gummiboot ein Loch hat, würde man sich ja auch erst um das Flicken des Lecks kümmern, bevor man das Ding weiter aufpumpt. Wenn man nicht gut darin ist Lecks zu flicken, muss man sich Hilfe holen. Gleiches gilt, wenn Griechenland Hilfe beim Aufbau eines funktionierenden Staatsapparates braucht. Arien über Stolz und Würde und Faulheit und Terrorismus sollte man sich bitte verkneifen, sie nützen niemandem.

Es fällt mir schwer zu verstehen, warum wir plötzlich am Ende der europäischen Erzählung stehen sollten. Oder was genau ein Austritt Griechenlands aus dem Euro oder gar der EU an der oben geschilderten Lage ändern sollte. Oder worüber gestern eigentlich abgestimmt wurde. Griechenland ist in (vielfacher Hinsicht in) Not und selbstverständlich müssen seine Verbündeten helfen. Bei der Selbsthilfe.

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