Vergänglichkeit per Design am Beispiel des SICHER Messengers

Die Stuttgarter Shape.AG, die in Wirklichkeit eine GmbH ist, hat neben dem von ihr herausgegeben IM+ einen neuen Instant Messenger für Mobiltelefone veröffentlicht. Er heißt SICHER und soll genau das sein. Nachrichten werden verschlüsselt übertragen und laufen ausschließlich über deutsche Server, auf denen sie nicht gespeichert werden. Der Messenger ist hübsch, schnell, gratis und steht von Beginn an für Android, iOS und Windows Phone zur Verfügung. Auskenner finden die verwendeten Schlüssel zu kurz und warnen generell davor Apps zu vertrauen, deren Quellcode nicht offen liegt.

Ich bin trotzdem bezaubert: Alle Nachrichten haben ein Verfallsdatum. Frühestens nach 30 Minuten, spätestens aber nach 15 Tagen werden sie gelöscht und zwar aus-nahms-los. Auf dem Gerät des Senders, auf dem des Empfängers und auf dem Server natürlich auch.

Speicherplatz ist so billig geworden, dass es keinen Grund mehr gibt, Daten zu löschen. Wir speichern Mails, Chats und sogar SMS einfach für immer – weil wir können. Aber warum sollten wir?

Wer hat jemals seine Mails von vor fünf Jahren gelesen? Wer seine SMS vom letzten Jahr? Oder seine gebackupten Whatsapp-Messages? Kaum einer. Dennoch mögen die meisten von uns das Gefühl, dass sie könnten. Offenbar stiftet das Sicherheit. Aber wovor? Selbst, wenn wir uns die Stabilität, die Leidenschaft, die Nähe, die Beziehungen in der Vergangenheit hatten durch die Lektüre ihrer digitalen Zeugnisse wieder ins Gedächtnis rufen, ändert das nichts an ihrer augenblicklichen Fragilität. Ich verstehe, wenn Menschen ihre alten Liebesbriefe aufbewahren (obwohl ich auch das nicht tun würde: Was können sie anderes auslösen als nostalgische Sentimentalität?), aber mir gefällt der Gedanke, dass digitale Belanglosigkeiten ebenso vergehen dürfen, wie die Erinnerung an den kurzen Plausch auf dem Treppenabsatz. Chatten ist wie schnacken. Es stellt eine Verbindung her, vielleicht eine Zugehörigkeit, ein Beieinandersein – in diesem Augenblick. Der aber vergeht, auch wenn wir speichern, was ihn ausmachte. Wir sollten es den Archäologen künftiger Epochen nicht zu schwer machen.