Heute Abend werde ich das Neumitglieder-Treffen einer Partei besuchen. Noch bin ich kein Mitglied. Aber aufgeregt. Und irritiert von mir selbst.
Seit ich wählen darf, wähle ich grün. Immer aus Überzeugung, nie aus Gewohnheit. Seit Jahren denke ich darüber nach, in die Partei einzutreten. Ich kann deshalb sehr kompakt argumentieren, warum das eine schlechte Idee ist.
- Die Grünen haben kaum Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung. Da ist doch alles Engagement vergeudet. Wenn überhaupt eine Partei, dann doch bitte die Piraten. Die haben zwar auch keine Chance, sind aber immerhin irgendwie spannend.
- Die Grünen sind eine neoliberale Verbotspartei neureicher Spießer geworden. So will ich freilich weder sein noch werden.
- Als Mitglied einer politischen Vereinigung trage ich alle ihre Ziele mit, obwohl ich manche davon hirnrissig finde (im konkreten Fall zum Beispiel diesen Veggie Day, bei dem mich schon der Name mehr aufregt, als mir gut tut.) Warum sollte ich das tun?
- Mit meinem Mitgliedsbeitrag finanziere ich auch Werbekulis und Schlüsselbänder für die Mülldeponien hierzulande und in Afrika. Da ist das Geld bei der Albert-Schweitzer-Stiftung ja wohl besser angelegt.
- Viel effektiver ist es außerdem, mich über die Teilnahme an Demonstrationen, das Verfassen von politischen Texten, das Führen von politischen Diskussionen oder eben durch Spenden an radikalere Organisationen wie Peta einzubringen.
- Hinzu kommt, dass das Herumsitzen auf Mitgliederversammlungen oder Parteitagen diese Welt nicht besser macht. Ich weiß, es klingt schrecklich naiv, aber: Darum geht es doch bei politischer Arbeit oder? Um eine bessere Welt. Um die zu schaffen ist es vielleicht hilfreicher, Fairtrade-Bananen zu kaufen, dafür aber keinen Discounter-Kaffee und Fahrrad zu fahren, dafür aber kein Auto. Was ich kaufe ist politisch und was ich nicht kaufe erst recht. Brauche ich kein Parteibuch für, Portmonee reicht.
- Die Frage ist ohnehin, was Parteipolitik ändern kann. Manchen kommt es so vor, als würden „die da oben“ sowieso alle das Gleiche wollen und dann doch lieber gar nichts machen. Besonders direkt oder besonders schnell ist die arrivierte Politik jedenfalls nicht. Ich stimme zu, es fehlt ihr vor allem an Mut und an Visionen. Ob ausgerechnet ich nun Mitglied in einer Partei bin oder nicht, wird daran ja wohl nichts ändern.
- Ich habe außerdem gar keine Zeit für sowas. Ich habe einen Mann, einen Hund, einen Job, einen Freundeskreis, einen Blog und viele ausnehmend unproduktive aber zeitraubende Hobbies wie beispielsweise Lesen, Fernsehen und Schlafen. Bitte wann soll ich denn zu Arbeitsgruppentreffen oder Versammlungen gehen und wie gehaltvoll können meine Beiträge dort sein?
- Desweiteren würde ich mich in so einer überkommenen Organisationsstruktur wie einer Partei bestimmt sehr unwohl fühlen. Welche Leute sind denn heutzutage noch in Parteien? Sprechen die einander mit “Genosse” an? Ist das stimmungsmäßig ein Debattierclub? Ein Kleingartenverein? Eine Kommune?
- Und zum Schluss: Den einzigen grünen lokalen Spitzenkandidaten, den ich bisher kennengelernt habe, fand ich unerträglich selbstverliebt und chauvinistisch. Niemals könnte der meine politischen Ziele gebührend vertreten.
Trotzdem gehe ich zu dem Neumitglieder-Treffen nachher. Mir kommen meine Vorurteile ziemlich altbacken vor. Ich würde sie gern loswerden oder verifizieren.
<3
Wie du mir aus der Seele sprichst.
Außerdem, bei den Grünen immer wieder das Gefühl, dass sie zwar zu wollen behaupten, was ich will, aber dass sie es umsetzen, schaffe ich ihnen einfach nicht zu glauben.
Trotzdem, ich finde das gut, dass du das machst. Sehr gut.
Welch ein Zufall. Ich habe ebenfalls vor, mal die Lokalvertretung der Grünen kennenzulernen, um feststellen zu können, was für Leute da sind.
Ein Partei-Eintritt steht bei mir jedoch nicht auf dem Plan, weil ich mir davon keinen Vorteil verspreche.
Mit Genosse reden sich die Mitglieder der SPD und der Linken an. Bei den kleinen Linken Parteien wie der MLPD wahrscheinlich auch.
Wie ich lernte, redet man sich bei den Grünen mit “Du” an. Was mir entgegen kam.
Parteimitglieder tragen meistens Scheuklappen. Gründen Sie lieber erstmal selber einen nonkonformen Gesprächskreis (oder suchen den in Leipzig). Freidenken ist besser als Parteidenken. http://rundertischdgf.wordpress.com/2011/11/05/runde-tische-von-buxtehude-bis-konstanz-fur-meinungs-und-versammlungsfreiheit/. In einer bekannten historischen Leipziger Konditorei in der Stadtmitte finden Sie manchmal am Eckfenster noch diesen freien runden Tisch. Machen Sie mehr aus Ihrem Kaffeekränzchen. http://twitpic.com/wr6wy