Ich habe mich wohl gefühlt bei den Grünen. Ich fand mich an einem Tisch mit fremden Menschen, von denen mir die meisten gar nicht so fremd schienen. Manchmal war es mir fast unheimlich, wie einig man war, obwohl man einander zum ersten Mal sprach. Der Kreisverband Leipzig ist recht klein, die Anzahl der politisch Aktiven noch kleiner. Mir kommt eine familiäre Atmosphäre entgegen.
Ich fand es spannend, eine Idee davon zu bekommen, wie ein Arbeitskreis in einen anderen mündet und schließlich zur bundespolitischen Position wird. Mir gefiel, wie offen und ungezwungen die Arbeit trotz eines Gremiums hier und einer Versammlung da zu sein scheint. Manches kam mir ein bisschen bürokratisch vor, aber ich fürchte, Politik ist naturgemäß bürokratisch. Wenn eine Anekdote über einen Bundestagsabgeordneten durchblitzte, ein interner Spitzname, ein Indiz dafür, dass die politische Willensbildung nicht immer von unten nach oben sondern durchaus auch mal anders herum funktionieren kann, wurde ich neugierig.
Ich habe das Grundsatzprogramm komplett gelesen und am Ende nach dem Feld für meine Unterschrift gesucht. Ich habe die Leute kennengelernt und mag sie. Trotzdem: Ich bin immer noch kein Mitglied. Ich habe Schwierigkeiten mit der Geschlechter-Quote.
Wie mir auf dem Neumitgliedertreffen erklärt wurde, funktioniert die Vergabe von Delegiertenplätzen, Listenplätzen, Logenplätzen und Spielplätzen bei den Grünen folgendermaßen:
Es gibt eine Liste eigens für Frauen. Jeder ungerade Platz wird aus dieser Liste besetzt. Das bedeutet, jeder erste Platz ist für eine Frau reserviert und sollte es eine ungerade Anzahl an Plätzen auf einer Liste geben, wird immer eine Frau mehr darauf stehen. Damit hätte ich nicht das geringste Problem.
Schwierig wurde es für mich, als mir erklärt wurde, dass die geraden Plätze aber nicht ausschließlich für Männer reserviert seien, sondern sowohl Männern als auch Frauen offen stünden. Wird eine Frau also nicht auf einen Frauenplatz gewählt, kann sie für einen „Männerplatz“ kandidieren, eben weil es kein Männerplatz ist. Wenn ich das richtig verstehe, haben Frauen also eineinhalb von zwei Chancen und Männer eine halbe.
Ich fragte daraufhin, wie denn die Geschlechterverteilung innerhalb der Mitgliederschaft sei und erfuhr, dass wesentlich mehr Männer als Frauen einen Mitgliedsausweis hätten. Weil es für die Männer aber ungleich schwieriger sei, einen Listenplatz zu erringen, gäbe es „herrliche harte Männerkämpfe“.
Ich muss irritiert ausgesehen haben, denn mir wurde daraufhin ungefragt erklärt, wie es zu dieser Regelung kam: Männer würden sich tendenziell mehr Raum nehmen als Frauen, seien lauter und dominanter. Es sei daher notwendig, den Frauen eine Art Schutzraum zu bieten, in dem sie sich unbeeinflusst von diesem übermäßigem Ego einbringen könnten.
Ich will gar nicht leugnen, dass das so ist, obwohl ich persönlich nicht an das geschlechtsspezifische Vorhandensein charakterlicher Eigenschaften glaube (und der Glaube daran nicht zum Bild einer Gesellschaft passt, in der ich leben will). Gehen wir also mal davon aus, dass es viele Überego-Männer in Parteien gibt: Wenn ich das als Partei feststelle und doof finde, und wenn ich mich deshalb genötigt sehe, eine Quotierung zugunsten der Frauen einzuführen, wie kann ich diese Quotierung dann so auf die Spitze treiben, dass sich Männer um die ihnen zugebilligten Plätze regelrechte Hahnenkämpfe liefern müssen?
Ich frage mich: Wer wird diese Hahnenkämpfe gewinnen? Die besonnenen, feinen und edlen Gemüter? Die, die andere zu Ende sprechen lassen? Die, die zuhören und dafür auch mal die Klappe halten? Die, die Platz lassen? Die Teamplayer? Kann ich mir nicht vorstellen. Noch weniger aber kann ich mir vorstellen, dass ich der erste bin, der so weit denkt. Funktioniert es vielleicht trotzdem, weil klug gewählt wird?
Bestimmt gibt es genügend Situationen, in den Männer gegenüber Frauen bevorteilt werden, ohne dass sich die Frauen willentlich für oder gegen diese Bevorteilung entscheiden könnten. So wie ich es ja kann und werde, in dem ich den Grünen entweder beitrete oder eben nicht. Trotzdem: Ungerecht ist ungerecht. Und gerade in einem Kontext, in dem die Regeln selbst gesetzt sind, wäre mir gerecht deutlich lieber.
Ich habe auch ein Problem mit einer Frauenquote.
Sicher: Frauen haben es in der Wirtschaft und in der Politik wesentlich schwerer, gut dotierte Posten zu besetzen. Allerdings stelle ich mir auch einige, in meinen Augen entscheidende Fragen zur Geschlechterquote:
1. Wenn nur etwa 25% der Mitglieder einer Partei Frauen sind, warum macht man den Verteilerschlüssel nicht Anteilig zum Geschlechterverhältnis?
2. Wenn aufgrund einer Quote eine Frau gewählt wird, ist es dann eine selbst erbrachte Leistung, wegen derer sie gewählt wird oder doch eher nur die Quote? Die Quote würde also die Leistung der jeweiligen Frau dahingehend negieren, dass sie nur als “die Quotenfrau” dastehen würde, nicht als eine, die sich den fraglichen Posten ehrlich erkämpft hat.
3. In Parteien, in denen die Geschlechterfrage doch als geregelt gilt, sollte die ewige Genderdebatte endlich mal aufhören. Leider kommt die auch bei uns Piraten bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf. Ich habe dazu übrigens auch mal einen Blogpost verfasst:
Piraten wählen- eine Geschlechterwahl?
Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass es gute und schlechte Kandidaten beiderlei Geschlechts gibt. Die Kunst besteht darin, die guten herauszufiltern und zu wählen. Egal wie laut jemand um einen Posten kämpft. Und wenn die Wahl dann auf eine Frau fällt, ist das eine Wahl, die ich für gut heiße. Und vor allem ist das eine Wahl, die die Frau nicht aufgrund irgendwelcher Quoten gewonnen hat, sondern durch ihre Leistungen. Und somit wäre so eine Wahl auch was wert.
Ich bin kein Fan, aber doch Befürworterin einer Quote, weil ich sie schlicht für notwendig halte.
Als _ein_ Werkzeug unter vielen, nicht als Lösung.
Es ist aber schon so, dass auf der offenen Liste Frauen nur selten kandidieren, oder? Prinzipiell finde ich diese(!) Form der Quote auch eher schwierig. Vor allem aber diese Lust an “Hahnenkämpfen”. Das ist gruselig und ja, ich denke auch, dass sich da dann die unangenehmeren Zeitgenossen durchsetzen.
Aber ob das wirklich so passiert? Oder doch “klug gewählt” wird? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht finden sich da noch Menschen mit tatsächlicher Erfahrung um das zu kommentieren.
Ich glaube nun bekanntlich auch nicht an geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften, aber sehr wohl daran, dass Menschen von klein auf unterschiedlich behandelt und unterschiedliche Verhaltensweise gefördert und belohnt werden. Ach was, glauben, das sehe und beobachte ich jeden Tag. Und da setzt sich eben genau das beschriebene Verhalten durch. Darüber könnte ich Abhandlungen schreiben, aber das ist ja jetzt doch nicht ganz der passende Ort 😉
Oh: Aber schön, dass es dir gefallen hat. Was du beschreibst, klingt wunderbar.
Ich sehe das ähnlich wie leelah: ich bin kein Fan einer Quote, glaube aber, dass wir sie heute brauchen. Meine Erfahrung damit: Frauen müssen mehr ermutigt werden, sich aufstellen zu lassen. Wenn da schon absehbar ist, dass es Kämpfe geben wird, machen das viele nicht – gerade die gehören aber oft zu den besten. Deshalb sehe ich das als so ne Art Schutzraum.
Wenn sich keine Frau für einen Platz findet, können die Frauen auch beschließen, dass der Platz für Männer freigegeben wird. Passiert nicht oft, hab ich aber schon erlebt (Brandenburg, ist in Sachsen vielleicht ähnlich).
Dass auf den offiziell offenen Plätzen Frauen antreten und gewählt werden, habe ich noch nie erlebt, gibt es aber bestimmt auch. Gerechtigkeit ist relativ: keine Quote ist auch nicht gerecht. Wenn jemand ein besseres System findet, unterstütze ich gern das, bis dahin isses halt die Quote.
Das allein sollte Dich nicht vom Beitritt abhalten. Zumal es auch umso weniger Hahnenkämpfe gibt, je ausgewogener die Diskussion darum ist. Dazu könntest Du ja gut beitragen.
Viel interessanter, als dass diese assymetrische Quote ungerecht ist, finde ich deine Überlegungen, welcher Typ Mann durch die arge Verknappung der freien Plätze sich schlussendlich durchsetzt. Denn ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich dadurch auch ein Dominanzgehabe fortgeschrieben wird, welches die Grünen eigentlich versuchen zu überkommen.
Andererseits scheint es mir schon so, dass es trotz der größeren Chancen für Frauen es bei den Grünen dann doch “nur” auf die theoretisch minimale Frauenquote von 50 % kommt. Vielleicht auch ein Resultat aus den Hahnenkämpfen? Keine Ahnung. Aber selbst mit vergleichsweise krasser “Bevorteilung” von Frauen scheint es schwierig in dem jetzigen gesellschaftlichen Kontext auf eine Frauenquote jenseits 50% zu kommen.
@leelah: „(…)Als _ein_ Werkzeug unter vielen (…)“
Ach ja? Was denn denn noch so?