Ein Jahr: Ich, rein pflanzlich

Seit einem Jahr lebe ich vegan. Eine gute Gelegenheit für eine Bilanz, finde ich. Und eine gute Gelegenheit zum Verlassen der Seite für alle, bei denen Texte über Veganismus für stark steigenden oder stark fallenden Blutdruck sorgen.

Versuch’s doch einfach

Vom Bulletten-Jieper in der Zeit um mein Diplom mal abgesehen, hatte ich zehn Jahre vegetarisch gelebt, als ich eines sonnigen Abends bei meinem Freund Patrick zum Abendessen eingeladen war. Er hatte Schaschlik gemacht mit Zucchini, Paprika, Aubergine, Gurke und diesem merkwürdigen, faserigen, herzhaften Fleischersatz, den ich bis dato nur vom Hörensagen kannte.  Es war so vorzüglich, dass wir uns wegen permanent voller Münder nur in undeutlichen Wortgruppen verständigen konnten. Patrick erwähnte, dass er schon seit 1994 vegan war und manchmal mit Grauen daran zurückdenke, wie schwierig das in den Neunzigern gewesen sei. Und wie lächerlich einfach es jetzt ist. Von allen Seiten war ich plötzlich vom Veganismus umzingelt: in den Feuilletons wurden Bücher zum Thema besprochen, in meiner Facebook-Timeline erschienen vegane Rezepte, in meiner Nähe wurde ein veganer Fast-Food-Imbiss eröffnet und zwei entfernte Freunde waren kürzlich vegan geworden. Patrick zog das letzte Sojaschnetzel mit den Zähnen vom Holzspieß, stopfte es in eine Backentasche, grinste mich an und fragte: „Warum probierst du es nicht einfach?“ Obwohl ich grundsätzlich höchstens jeden zweiten Trend mitmache, fehlte es mir bei diesem an schlüssigen Gegenargumenten. Ich begann also zu lesen. Duve, Foer, Clements und ein paar vegane Kochbücher. Die China-Study war leider noch nicht draußen. Anschließend war meine innige Liebe zu Käse als einziges ungestrichenes Kontra-Argument auf meiner Liste übrig geblieben. Was mich nicht überzeugte.

Reste Essen

In den ersten Tagen nach meinem Entschluss aß ich vorwiegend Milchprodukte. Natürlich! Wohin sollte ich denn mit all den leckeren Joghurts, Puddings, Quarkcremes, Schnitt-, Frisch-, Weich-, und Schmelzkäsespezialitäten in meinem Kühlschrank, wenn nicht in meinen Magen? Wohin mit den Eiern, den Bio-Eiern? Wegwerfen? Tiere ausbeuten um die Produkte der Ausbeutung achtlos wegzuwerfen? Niemals!

Wenn man Essen so sehr liebt wie ich, ist das eine sentimentale Zeit. Jeden Tag isst man irgendetwas zum Letzten Mal. Was sich verblüffender Weise so ähnlich anfühlt, als würde man etwas zum ersten Mal essen. Man schmeckt genau hin. Man bemerkt die beinahe unangenehme Schärfe, die Emmentaler entwickeln kann, man studiert die eigentümliche Schleimigkeit von heißem Eigelb und man hat Mühe zu leugnen, dass man altem Camembert ziemlich deutlich anschmeckt, dass er bereits verstoffwechselt wurde. Richtig schwer fiel mir der Abschied nicht. Es wäre ja nur ein Experiment.

Mein Körper!

Mein Körper! Er funktioniert! Mich beeindruckte das sehr. Mein Biorhythmus entwickelte sich innerhalb weniger Tage vom Mistkerl zum Musterknaben. Seitdem gilt: Wenn der Wecker klingelt, bin ich wach. Ich muss nicht wie früher noch 10 Minuten wahlweise ningelnd, zeternd oder selbstmitleidig liegenbleiben, bevor ich mich humpelnd aus den Federn quäle. Ich stehe einfach auf. Und wenn ich ins Bett gehe, schlafe ich. Kein stundenlanges Lesen, Lauschen oder Zählen mehr. Ich lege mich hin und schlafe. Auch diese unbändige Mittagsmüdigkeit, in der ich meine ganze Konzentration dafür aufbringen musste, nicht mit dem Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, ist verschwunden. Wirklich: Es vergehen Tage, an denen ich keine einzige Tasse Kaffee trinke, weil ich es einfach vergesse. Gleiches gilt übrigens für die Benutzung von Deo, an die mich mein Körper früher täglich mit einigem Nachdruck erinnerte. Mein Körpergeruch hat sich deutlich verändert, was nicht zuerst mir sondern meinem Partner auffiel. Seiner Wahrnehmung nach, rieche ich jetzt mehr nach Baby. Weshalb ich nach wie vor Deo verwende. Ich will ja gefälligst nach Mann riechen! Wahr ist aber auch: Meine Haut ist kein bisschen besser geworden. An meiner Libido hat sich trotz gegenteiliger Behauptung von PETA rein gar nichts geändert. Und: Ich furze mehr. Oh ja.

Von wegen Verzicht

Ob des folgenden Faktes bin ich selbst etwas ungläubig. Aber es kommt für mich nicht in Frage, der Glaubwürdigkeit zuliebe zu Lügen. Mir fehlt nichts. Gar nichts. Wochenlang habe ich angstvoll zitternd dem ersten Heißhungeranfall entgegen geblickt. Der ersten Familienpackung-Vanilleeis-Fressattacke, der ersten Quattro-Formaggi-mit-Extra-Käse-Eskalation, der ersten Vollmilchschokolade-mit-Schlagsahne-Völlerei. Sie blieb aus. Passierte einfach nicht. Jahrelang hatte ich im erbitterten Kampf gegen Snickers, Bounty und Kinderriegel immer die Doppelpackung gezogen. Ich wusste: Das ist Junk. Ich wusste: Es macht mich fett, versaut meinen Stoffwechsel, zerstört meine Zähne und füllt die Taschen fieser Kapitalisten. Half alles kein Bisschen. Der Gedanke an treue, zärtliche Kuhaugen half. Mars und Ferrero haben keine Macht mehr über mich. Nicht einmal mehr im Büro, wo mir ihr sirenengleicher Singsang vom Automaten her noch immer sofortige Belohnung zu suggerieren versucht. Die Kuhaugen sind meine Ohropax, harhar. Ich kann an Bäckereien vorbeilaufen ohne unwillkürlich einen Drall in Richtung Ladentür zu bekommen, ich passiere Eisdielen als wären es Baumärkte und der Geruch, den die Käsetheke meines Vertrauens verbreitet, finde ich mittlerweile wirklich ein bisschen unangenehm. Und wann immer jemand: „Ach! Du darfst ja nicht!“ ruft, halte ich „Freilich darf ich! Ich will nur nicht!“ dagegen. Weil es so ist.

Was nicht zuletzt daran liegt, dass ich freilich Alternativen habe. Statt Schokoriegeln esse ich jetzt Schokolade, die mich wegen ihres hohen Kakaoanteils schon nach zwei Stückchen glücklich macht. Statt Milcheis esse ich jetzt Sorbets, die meiner Meinung nach nicht nur purer und sauberer sondern auch leckerer sind. Statt einem Plunderteilchen zwischendurch greife ich jetzt in die Tüte Studentenfutter. In kleinen Städten ist das Snacken ein bisschen langweilig: Pommesketchup oder Laugenbretzel? In großen Städten ist es ein Vergnügen. Und wenn es doch mal nur vegetarisch gehen solle, beispielsweise, weil die Schwiegermutter Donauwelle gebacken hat, die doch immer, immer mein Lieblingskuchen war, dann esse ich ein Stück, ohne mich anschließend mit der Hanfpeitsche selbst kasteien zu müssen.

Für Käse gibt es keinen Ersatz, jedenfalls keinen, den ich auch nur für einigermaßen genießbar halte. Alles andere lässt sich ersetzten und zwar ohne Mühe. Neulich hatte ich sogar veganen Sauerbraten. Den macht man aus  Seitan, welches im Wesentlichen aus Gluten besteht. Und ja, er war hervorragend. Ein bisschen suspekt sind mir Fleischersatzprodukte jedoch geblieben. Wer Bratwurst will, soll Bratwurst essen, finde ich. Ich brate mir lieber Tofu, leckeren, ehrlichen Räuchertofu, der nichts anderes sein will. Überhaupt koche ich viel mehr selbst als früher. Wirklich auch mehr, nicht nur öfter. Wie sonst hätte ich im ersten halben Jahr sechs Kilo zulegen können? Ich experimentiere. Ich mache Schnitzel aus Sellerie, Rösti aus Steckrüben, Brotaufstriche aus Kichererbsen und aus Rote Beete eine Pasta-Sauce, nach der sich meine Gäste regelmäßig alle zehn Finger lecken. Ich backe Kekse ohne Ei und Milch und habe eine Torte mit veganer Creme probiert, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde.

Toleranz gegenüber Andersessenden

Die größte Herausforderung ist für mich also nicht das Durchhalten. Ich halte nichts durch. Ich ernähre mich so, wie es mir natürlich und richtig vorkommt. Die eigentliche Herausforderung ist die Toleranz gegenüber Andersessenden. Wenn ich die Menschen sehe, die mit kleinen Eimern voller frittierter Hähnchenflügel aus einer KFC-Filiale stolpern bin ich angewidert. Nicht von den Flügeln. Von den Menschen. Wenn ich Menschen sehe, die sich in Fußgängerzonen Bratwürste, Leberkäs-Semmeln und Chicken-Döner in die Leiber stopfen, möchte ich hingehen und sie schütteln, und zwar ja: unsanft. Wenn meine Kollegen „Irgendetwas müssen wir doch essen!“ rufen, während sie sich rohes Massentierhaltungs-Hackfleisch aufs Brötchen schmieren, muss ich mich sofort umdrehen, weggehen, tief atmen und bis zehn Zählen, damit mir nicht die Kleider vom Leib platzen, während ich mich in einen sehr, sehr wütenden Hulk verwandle.

So kenne ich mich nicht. So war ich noch nie. Aber das gedankenlose Ausbeuten von Tieren macht mich wahnsinnig. Es ist moralischer, ökonomischer und ökologischer Irrsinn und ich kann mich einfach nicht beruhigen, wenn sich Menschen weigern, darüber wenigstens einmal nachzudenken. Denn: Nein, wir brauchen kein Fleisch, um uns gesund zu ernähren. Wir brauchen auch keine Milch. Nicht einmal Eier. Außer Vitamin B12 finden sich alle Nährstoffe, die wir brauchen in pflanzlicher Nahrung. Ich habe alle, wirklich alle Argumente für tierische Kost gehört, die meisten davon mehr als einmal. Aber ich kann nur ein einziges gelten lassen: Tiere können sehr lecker sein. Schlachten aber nicht.

Ich arbeite daran, wieder jeden reinen Herzens das Essen zu lassen, was er mag. Aber ich werde nicht aufhören zu verlangen, dass es jeder bewusst tun sollte.

6 Gedanken zu „Ein Jahr: Ich, rein pflanzlich“

  1. Ich bin da absolut seiner Meinung. Komisch wie verschiedene Menschen die gleicheN Erfahrungen machen können!

  2. Kann mich nur anschließen: Toller Artikel, hab’ ich fast alles ebenso erlebt. Bis auf eins: Warum willst Du Toleranz entwickeln gegenüber “Andersessenden”? All Deine Reaktionen auf die bratwurstessenden Menschen in der Fußgängerzone & co.(viel schlimmer: die eigene Familie am selben Tisch im Restaurant!) kenne ich nur zu gut, aber ich hab’ nicht das Bedürfnis, sie mir abzugewöhnen, denn: Sie sind berechtigt. Ich bin nicht pedantisch und kleinkarriert (mithin: intolerant), weil sie andere Gewohnheiten haben und ich keinen Habitus neben meinem eigenen ertragen will/kann. Es ist keine andere Gewohnheit oder Meinung, fühlende Individuen zu quälen und zu töten, um sie zu essen und ich bin nicht intolerant, wenn ich aufschreien möchte (und es selten dann auch tue) beim Anblick von industriellem Mord, der kaum jemandem auffällt, weil so viele Menschen ihn als Normalität internalisiert haben. Ich finde es wichtig, dieses Ekelgefühl, weil es daraus resultiert, einen Vorgang so zu sehen, wie er wirklich ist: grausam und mehr als empörenswert.

  3. Ich verstehe Dich SO gut, Teresa. Und ich freue mich, dass Du das so machst. Ich aber kann das nicht. Dieser Groll, diese Wut, diese Verzweiflung und auch diese ewige Diskussion habe ich nicht ausgehalten. Wie Du damit umgehst, ist kein Umgang für mich. Ich esse vegan, immer, selbstverständlich und erlebe, wie dieses bloße Tun dazu führt, dass mein Umfeld über Veganismus nachdenkt und ihn versucht. Wenn ich mit Freunden koche oder bei Freunden zum Essen eingeladen bin, gibt es immer vegan – für alle. Ich bringe meinen Kollegen vegane Kekse mit und lasse sie von meinen Shiitake-Pastete-Schnitten abbeißen. Mit mir ist das Thema präsent und mir reicht das. Ich will niemandem irgendetwas verbieten. Aber ich will beweisen, dass man sehr wohl sehr leicht und sehr gut vegan leben kann und dass es obendrein außerordentlich lecker ist. Für oder gegen tierfreie Kost soll sich aber jeder selbst entscheiden.

  4. : -) Ich verstehe Dich auch gut, Ron, denn es ist wirklich nicht leicht auszuhalten, das ständige sich-bewusst-machen was passiert, wenn Leute um eine herum, im schlimmsten Fall noch Freund_innen oder Familie, ein Schnitzel/Wurstbrot/Was auch immer, das vorher mal gelebt hat, essen. Es ist auch nicht so, dass ich da jedes Mal was sagen würde, im Gegenteil, ich tu’s sehr selten. Ich verhalte mich eigentlich sehr ähnlich wie Du es beschreibst und ich liebe es auch, für andere zu kochen, zu backen, Rezepte auszuprobieren…. Aber unabhängig davon kann und will ich auch nicht darüber hinwegsehen, dass so viele Menschen der Meinung sind, es wäre okay, andere Lebewesen zu benutzen, zu verwerten, zu Objekten und Waren zu machen und zum eigenen Genuss zu töten. Es kommt mir nicht nur falsch vor, sondern krank. Nein, in meinen Augen fällt das so wenig unter Entscheidungsfreiheit, wie der Tatbestand des § 211 StGB(Mord). Manche Dinge sollten nicht zur Disposition stehen.

  5. toller Beitrag! Alles stimmt. Für mich gilt jedoch: fünfe gerade! Dogmatismus ist meines Erachtens ungesund. Ich mache meinen Kindern täglich die Brote. Und zwar mit dem drauf, was sie mögen. Salami zum Beispiel. Ein Umdenken muss von alleine kommen! Missionieren möchte ich nicht. Und sollte man auch nicht. Bei Einladungen esse ich auch alles, und es schmeckt mir dann auch. Und am nächsten Tag mache ich vegan weiter. Bei allem Respekt vor dem Tier, kann ich nicht verdrängen, wie Tiere einander verspeisen. Auf sehr grausame Weise oft. Die Welt ist wie sie ist.

Kommentare sind geschlossen.