Dass es sich beim “Nimm 2”-Lutschbonbon nicht um den Juwel in der Schatzkammer des Ernährungspyramiden-Pharaos handelt, dürfte jedem klar sein. Dafür hat das mediengehypte Empörungstamtam der Foodwatch-Aktivisten nachhaltig gesorgt. Dennoch griff ich heute morgen – teils aus Höflichkeit, teils aus einem unterbewussten autoaggressivem Impuls heraus – in die Tüte, die mir meine Kollegin strahlend entgegenstreckte. Und während ich noch damit beschäftigt, war den spitzen, süßsauren Füllungsrest, der sich wie eine fette Zecke an meinem bisher noch nicht kariösen rechten oberen Reißzahn festgesaugt hatte, mühsam mit der Zunge in den Schlund zu befördern, rief es entsetzt aus der Magengrube empor, dass ich doch überhaupt nicht wisse, ob die Dinger denn eigentlich vegan seien.
Sind sie nicht. Möglicherweise sind sie nicht einmal vegetarisch. Sie enthalten Süßmolkenpulver. Das ist das gleiche wie Molke, Molkenerzeugnis oder Milcheiweiß. Und es kommt sehr gern dort vor, wo man es nicht vermutet. Zum Beispiel in vermeintlichen Fruchtsaftbonbons. Aber auch in Kartoffelchips, Brotaufstrichen, Fruchtgummis, Pesto und sogar Zahncreme. Dort zu suchen hat es nichts, und es ist dort auch für rein gar nichts gut, obwohl ausgewählte Experten auf seine gesundheitsfördernde Wirkung schwören.
Molke ist die Flüssigkeit, die bei der Herstellung von Käse übrig bleibt. Da sehr viel Käse produziert wird, fällt auch sehr viel Molke an. Früher, als noch niemand auf die Geschäftsidee mit der entschlackenden Wirkung gekommen war, wurde dieses Abfallprodukt einfach in die Kanalisation eingeleitet. Erst die Erkenntnis, dass das Molkeeiweiß zu Fäulnisprozessen führt, die sogar Kläranlagen zum biologischen umkippen führen, rief die Alternativ-Verwertungs-Kreativen auf den Plan.
Neben ambitionierten Forschern, die nach schonenden Entsorgungmöglichkeiten suchen, hat sich die Fitnessbranche und offenbar auch die Lebensmittelindustrie bereit erklärt, als gutmütige Abfallverwerter einzuspringen. Dies geschah möglicherweise nicht ganz uneigennützig, wie die Preise der Molkepulver und die Verwendung desselben als billiges Füllmittel für alles mögliche nahelegen.
Solange man den Müll nicht zu stark herausschmeckt, mag das den Meisten egal sein. Für Veganer ist das Süßmolkenpulver jedoch der kleine Stinkefinger am Ende viel zu vieler Zutatenlisten, beispielsweise jener von “Nimm 2”. Aber auch die Konseqeunz von Vegetarierern wird getestet: Da zur Herstellung von Käse auch heute noch oft auf tierisches Lab zurückgegriffen wird, sind für die Gewinnung des so hochwertigen Süßmolkenpulvers möglicherweise Tiere gestorben.
Dass der Weg zum Fruchtbonbon über den Schlachthof führt, dürfte aber selbst den omnivoren Süßwarenfreund einigermaßen überraschen.