Einige Gründe warum Thilo Sarrazin irrt

Eigentlich wollte ich gar nichts dazu schreiben, aber jetzt ist es so präsent und ich habe mich am Wochenende so über das Interview in der Zeit aufgeregt, dass ich etwas schreiben musste. Ich werde versuchen fünf Punkte darzulegen, welche mir besonders am Herzen liegen. Zunächst die Problematik der Logik von Thilo Sarrazin, welche hochgradig selektiv ist. Und danach möchte ich vier seiner Annahmen kurz erörtern: fehlende Ausdifferenzierung der sozialstrukturellen Dynamiken (Minderheitengröße), den kulturellen Bias, die vollkommen ungerechtfertigte Argumentation mit den Genen und letztlich die einseitige Auslegung von Gleichheit.

Thilo Sarazin irrt wenn er glaubt von Statistik auf normative Grundsätze schließen zu können! Im Interview mit der Zeit Nr. 35 vom 26. August 2010 offenbarte sich die Schwäche in Sarrazins Argumentation. Er scheint offenbar zu glauben, dass man von faktischem Wissen auf normative Grundsätze ableiten kann. Leider muss man Thilo Sarrazin offensichtlich nochmals auf die Uni schicken. Eine Einführung in Logik und Philosophie würde ihm verdeutlichen, dass er einen fatalen Fehler in seiner Logik hat. Obwohl er die Zeitredakteure kritisch hinterfragt, ob diese den Dreisatz kennen, scheint er sich nur der Logik zu bedienen, die ihm sachdienlich erscheint – eine sehr unschöne Mode unserer Zeit. Von ausschließlich faktischen Wissen auf normative Grundsätze zu schließen, nennt man den naturalistischen Fehlschluss (für einen ersten Überblick lohnt sich durchaus ein Blick auf Wikipedia) . In jeden logischen Schluss auf normative Grundsätze muss bereits ein normative Prämisse enthalten sein. Oder um es anders zu sagen, Statistik 1 + Statistik 2 ist nicht logisch oder kausal mit einem normativen Grundsatz verknüpfbar. Und eigentlich macht Thilo Sarrazin diesen Fehler auch nicht wirklich, er verschweigt uns nur seine normative Grundannahme: Der Islam ist arbeits- und bildungsfeindlich. Mit dieser Aussage im Gepäck kann man seiner Logik nicht wirklich etwas entgegenbringen. Aber dazu müsste man eben auch der normativen Annahme zustimmen und das ist wohl nicht ganz so einfach!

Ich persönlich würde beispielsweise einmal kritisch hinterfragen, ob die Bildungseffekte nicht weniger mit Intelligenz als mit der Größe der Gruppe in unserer Gesellschaft zu tun hat. Andere Migrantengruppen sind wesentlich kleiner und haben daher einen wesentlich stärkeren Intergrationsdruck, während Personen mit türkischen Migrationshintergrund wesentlich leichter auf türkische Netzwerke zurückgreifen können. Das bedeutet aber letztendlich auch, dass Deutschland sich mehr um die Integration von Türken bemühen muss als um die kleineren Gruppen.

Und eigentlich ist der Hinweis von Thilo Sarrazin auf das Problem mit muslimischen Einwandern auch sehr wichtig, allerdings nicht seine Schlussfolgerungen, dass es mit Genen und der Kultur zu tun hat. Vielmehr würde ich argumentieren das religiöse Gemeinschaften immer ein Art alternatives Modell zu einer säkularisierten Gesellschaft aufbauen, weil die Mitglieder leichter auf Netzwerke zurückgreifen können. Meiner Meinung nach leitet sich daraus aber ab, dass wir als Gesellschaft uns darüber Gedanken machen müssen, wie diese Gruppen integriert werden können. Auf kulturelle Argumente zu pochen, wie das Thilo Sarrazin macht, ist recht kontrapoduktiv. Auch wenn es richtig sein mag, dass unsere Arbeitsethik und unser Bildungssystem stark durch christliche Traditionen geprägt ist und deshalb ein Unterschied zu anderen Kulturräumen erkennbar ist. So müssen wir uns auch ernsthaft fragen, ob unser Bildungssystem und die Arbeitsethik mit unseren aufklärerischen Ansprüchen der Gleichheit und Nichdiskriminierung schritthalten. Oder ob unser Bildungssystem nicht ein wenig zu undurchlässig ist und wir deshalb gewisse Gruppe ausschliessen.

Damit bin ich auch beim nächsten Argument, welches ich hier heute kritisch hinterfragen würde. Wenn ich das Argument richtig verstehe, dann behauptet Sarrazin, dass 50-80% der Intelligenz durch Gene definiert wird. Diese Zahl ist meiner Kurzrecherche nach die absolute Obergrenze – es wird wohl eher von 40-60% gesprochen (F. Poustka and W. Maier, 2009: Genetik der kognitiven Fähigkeiten in der Lebensspanne, in: Der Nervenarzt Volume 80, Number 11, 1312-1321). Aber was viel wichtiger ist, er nimmt stillschweigend an, dass intelligente Eltern auch automatisch intelligente Kinder haben. Und da würde ich ja einmal kritisch hinterfragen, ob dies wirklich ein so eindeutiger Zusammenhang ist. Wir haben ja eine Doppelhelix als DNA, und wenn ich mich recht an meinen Biologieunterricht erinnere, dann bekommen wir alle je einen Teil von Mutter und Vater. Und danach kommt noch das dominant und rezessiv Spielchen und irgendwann auch noch mögiche Gengutveränderungen mit hinein. Das klingt für mich nach viel Varianz, die einen eindeutigen Zusammenhang recht unwahrscheinlich machen. Trotzdem ist die Intelligenz natürlich zu bestimmten Teilen genetisch bedingt – aber es ist sehr fraglich wie die intragenerationale Weitergabe auf die Verteilung von Intelligenz wirkt. Es ist schliesslich auch bekannt, dass eine starke Durchmischung von Genpools die wenigsten Gendefekte hervorruft. Da fragt sich doch ob hier nicht Thilo Sarrazin ein wenig kurzschlüssig ist?!

Letztlich machen die meisten von Sarrazins Argumenten aber auch nur deshalb wenig Sinn, weil wir in unserem Rechtssystem bereits starke Antidiskriminierungsnormen verankert haben. Allerdings haben diese Antidiskriminierungsnormen nicht zur Folge, dass wir jede Person maximal fördern, sondern eher das wir allen eine Möglichkeit der Partizipation an der Gesellschaft geben. Und das bedeutet letztendlich, dass wir in unserem Bildungssystem Menschen mit mehr Problemen mehr helfen müssen. Es geht also im primären Bildungssystem nicht notwendigerweise darum, die maximale Intelligenz eines jeden zu fördern, sondern jedem die Möglichkeit der Teilhabe zu geben. Das bedeutet dann natürlich, dass manche Menschen diese leichter erreichen und andere weniger leicht. Letztere müssen vom Staat und dem Bildungssystem massiv gefördert werden. Um die Intelligenten kümmern sich schon ausreichend viele private Organisation. Denn was Thilo Sarrazin in seinem Gleichheitskonzept unterstellt, ist eine Förderungsgleichheit. Diese ist aber vollkommen irrational, weil viel zu kostenintensiv und ineffizent. Ein Staat und das Bildungssystem muss sich nicht nur darauf konzentrieren ein hohes Bildungsniveau zu garantieren, sondern auch explizit unteren Schichten den Anschluss an die Gesellschaft zu ermöglichen und zu erhalten. Thilo Sarrazin verwechselt da ein wenig die ökonomische Optimierung eines Systems mit den normativen Ansprüchen eines Staates. Effizienz ist kein Selbstzweck sondern ein Mittel um ein Ziel besser zu erreichen. Wir müssen uns aber zunächst über die Ziele unterhalten: Was für eine Gesellschaft wollen wir?! Einen sehr lesenwerten Artikel zum Thema hat Reiner Klingholz auf Spiegel.de geschrieben.

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