Die perfekte Natur

Ich glaube nicht an das Märchen von der perfekten Natur. Egal ob man mir Darwins Theorie oder den Mythos der Schöpfung weismachen will. Ich glaube nicht daran. Denn zumindest ich habe einen ganz wesentlichen Konstruktionsfehler. Und auch wenn ich versuche zu vermeiden von mir auf andere zu schließen – an Projektion glaube ich nämlich – bin ich mir sicher, mit diesem Fehler nicht allein zu sein.

Die Symptomatik passt in einen Satz: Ich kann mich fragen, warum ich hier bin.

Wie die allermeisten anderen die ich kenne, habe ich den unumkehrbaren Fehler begangen, das auch zu tun. Was mir nicht klar war: Hier ist es das Gleiche wie mit Schokolade, Zigaretten oder dem Sammeln von jeglichem. Wer einmal damit angefangen hat, kommt nicht mehr los davon. Nie wieder. Im Unterschied zu Schokolade, Zigaretten und dem Sammeln fehlt der Mutter aller Warum-Fragen aber die Fähigkeit, ausreichenden Konsum mit einem wenigstens kurzen Befriedigungsgefühl zu belohnen. Was die Angelegenheit ungerecht aber spannend macht: Warum erliegt man seinen Lastern, wenn sie einen nicht belohnen?

Ich habe es ausgiebig in allen Lebenslagen und von allen Seiten versucht, die mir einfielen: Es gibt keine Befriedigung hier. Es gibt hier beliebig viele Stunden zarter Melancholie, tiefer Traurigkeit und angestrengten Grübelns. Das Thema taugt um Mitmenschen in ausweg- vor allem endlose Diskussionen zu verwickeln, sich wettkampfartig wachzuhalten oder zu betrinken. Aber die Frage wird nie – niemals – auch nur den Anschein einer Antwort preisgeben.

Jedenfalls keiner plausiblen. Weshalb sich die Menschheit in ihrer Verzweiflung eigene Antworten gebastelt haben. Die sind zwar in aller Regel unplausibel, oder wenigstens nicht wissenschaftlich haltbar, dafür jedoch kuschlig-persönlich und perfekt auf das eigene Weltbild abgestimmt. Was durchaus nicht immer von Vorteil ist, dann nämlich nicht, wenn das eigene Weltbild ohnehin schon in düsteren Farben gemalt ist. Ich gestehe, diese Trennung von Weltbild und Sinnfrage funktioniert nur rhetorisch. Oft genug bildet ja die individuelle Antwort auf die Sinnfrage Kern und Keimzelle eines Weltbildes, weshalb sie unmöglich im Gegensatz dazu stehen kann.
Mir will es seit Jahren nicht gelingen, eine Antwort zu finden, an die ich glauben kann. Dabei war ich nicht faul. Ich habe Buddhismus, Christentum, Esoterik und Agnostik probiert und mich überall sehr wohl aber nirgends zu Hause gefühlt. Im Augenblick versuche ich Kapitalismus. Aber wie die Existenz dieses Textes beweist, funktioniert der auch nicht. Mein Weltbild ist quasi kernlos. Und das ist der Konstruktionsfehler vom Anfang.

Ich beneide meine Hündin. Wann immer wir spazieren gehen und sie mit wedelndem Schwanz und halb geschlossenen Augen ihrer Nase folgt, beneide ich sie. Sie fragt nicht. Sie ist. Sie denkt auch nicht, nicht in unseren Kategorien jedenfalls. Und was am schwersten wiegt: Sie will nichts werden. Sie ist. Und in meinen Augen sogar glücklich. Wenn ich sie lange genug beobachte und ihr lange genug ohne Worte hinterhertrotte, verstehe ich manchmal kurz, wie es sein könnte, wenn es mir auch gelänge ohne Fragen zu sein.

Ein Gedanke zu „Die perfekte Natur“

  1. Hallöle,
    danke für diesen wunderbaren Beitrag.

    Auch liebe Grüße an den Hund
    Ahimsayama

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