Ich erinnere mich, wie ich eines Abends vom Schluchzen meiner Mutter geweckt wurde. Zum ersten mal in meinem Leben war ich vorm Fernseher eingeschlafen, also einem Phänomen erlegen, das mir bis dato völlig rätselhaft gewesen war. Meiner Mutter rollten dicke Tränen über die Wangen. “Ach, das ist so schön!”, rief sie und meinte ein Duett von Frank Schöbel und Chris Doerk, das hinter hautfarbener 70er-Jahre-Patina über den Fernseher flimmerte. “Das ist total Panne!”, entgegnete ich laut prustend, nachdem ich die hölzerne Choreografie aufmerksam aber erfolglos auf Spuren von Schönheit geprüft hatte. “Das war meine Zeit.”, erklärte mir meine Mutter. “Zu diesem Lied habe ich zum ersten Mal mit deinem Vater getanzt.” Heute, etwas mehr als 15 Jahre später hat mich der Zufallsalgoritmus meines Rechners mit Marushas “Somewhere over the rainbow” konfrontiert, das offensichtlich bis heute in einer entlegenen Ecke meines digitalen Musikarchives auf diesen Tag gelauert haben muss. Dieses Lied lief, als ich zum ersten Mal ein Mädchen küsste. Ich schäme mich für meinen indiskutablen Musikgeschmak und das ignorante Verlachen der pompösen Sentimentalität meiner Mutter.