Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht

Ich hatte noch keine Gelegenheit es in diesem Blog einer theoretischen Öffentlichkeit kund zu tun, aber: Ich habe ein Problem. Und nur weil dieses Blog hier trotz seiner theoretischen Öffentlichkeit einigermaßen anonym ist, traue ich mich, es so klar zu sagen, wie es sich anfühlt: Mir fehlt eine Aufgabe. Eine große. Eine Lebensaufgabe.

Es ist nicht so, dass ich mich langweile. Meine Tage sind gefüllt mit allerlei Aufgaben und Verpflichtungen, auch mit schönen Hobbys, einerPartnerschaft und der Freundschaft einer bezaubernden Hündin. Aber mir reicht das nicht. Ich brauche etwas Größeres. Dass heißt: Ich meine,etwas Größeres zu brauchen. Etwas Öffentlicheres, Wichtigeres, Schicksalhafteres.

In den 90ern habe ich einen objektiv betrachtet mittelmäßigen Roman gelesen, der mich dennoch sehr beeindruckt hat. Weil er nämlich von der Mittelmäßigkeit der Autorin handelt, die meiner eigenen Mittelmäßigkeit verdächtig ähnlich sieht. Das Buch heißt übrigens “Chemische Reinigung” und ist von Silvia Szymanski. Weil ich weiß, dass es auf meine Empfehlung hin ohnehin niemand lesen wird, habe ich keine Skrupel den wichtigsten Satz hier gleich im drittan Absatz breitzulatschen: “Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht.” Meine Rede. Amen. So ist es.

Eben beim Blumengießen dachte ich: So gern wäre ich Schauspieler geworden oder Sänger, oder Designer für neue Süßigkeiten, Schriftsteller oder Psychologe. So gern würde ich als Komiker auf der Bühne stehen oder als Moderator vor der Kamera. Eine Traurigkeit machte sich breit in mir, weil das leider alles Träume geblieben sind. Du hättest eben nicht auf ein Wunder warten dürfen, dachte ich dann. Du hättest dafür kämpfen müssen, dass dein Leben so aufregend wird wie das eines Stars oder wenigstens eines Sternchens. Oh! Dann viel mir ein, dass ich Künstler bin. Und dass sich das zunächst einmal genauso interessant anhört wie Süßigkeitendesigner oder Achriftsteller.

Ist es aber leider nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man zu den 97% der Künstler gehört, deren Kunst a.) weitgehend ohne Anteilnahme der Öffentlichkeit stattfindet, und b.) kein Einkommen generiert sondern nur Ausgaben verursacht. Meine Stimmung hellte sich ein kleines bisschen auf, als ich feststellte, dass das für 97% der Schriftsteller oder Schauspieler ebenso gilt, um sich ebenso zügig wieder zu verdunkeln, bei dem Gedanken, dass durchaus auch solidere Positionen auf meiner Wunschliste standen, die ich wegen meines enormen persönlichen Geltungsbedürfnisses leider ausgeschlagen habe.

Es wurde einfach zu viel Reklame für das Leben gemacht. Deshalb denke ich, ich müsste in meinem Leben Großes erreichen, am besten im grellen Spotlight der Öffentlichkeit. Deshalb denke ich, ich bin zu irgend etwas höherem bestimmt, das mich in allernächster Zukunft entdecken und ganz nach oben tragen wird. Deshalb belächle ich das was ich habe als kleines Glück.

Das sind alles keine neuen Gedanken für mich. Im Gegenteil. Sie begleiten mich schon so lange, dass sie beginnen mich zu langweilen. Glauben Sie mir, ich habe mich in masochistischer Hingabe in ihnen gesuhlt und viele wertvolle Erkenntnisse erlangt. Zum Beispiel die, dass ich, meine Person, mein Ego genauso besonders ist, wie alle anderen Personen und Egos auf diesem Planeten. Leider nicht besonderer. Oder
die, dass die Realität eben nicht von Rosamunde Pilcher verfasst wurde, und man demzufolge von Sehnsucht und Idealismus allein nicht leben kann. Oder die, dass ich objektiv betrachtet lebe wie der märchenhafte Hans im Glück.

Der Pferdefuß dieser Erkenntnisse ist folgender: Sie überzeugen mich nicht. Es will ihnen nicht gelingen, den Kind gebliebenen Narzisten in mir das Maul zu stopfen, obwohl sie sich durchaus einen prominenten Platz in meinem Kopf und auch in meinem Herzen erkämpfen konnten. Es ist, als wäre ich klug, aber nicht klug genug.

Ich muss mich konzentrieren.

Lethargie

Die Häufigkeit meiner Posts macht keinen Hehl daraus: Ich bin im Moment sowas von lethargisch, dass ich es keinen einzigen Tag mit mir aushalten würde, wenn ich nicht müsste.

Jeden Morgen gegen 10 muss ich mir aufs Neue eingestehen, dass ich einfach nicht reinkomme in den Tag. Jeden Morgen aufs Neue habe ich das Gefühl, der Tag und ich fahren auf unterschiedlichen Gleisen. In unterschiedliche Richtungen. Von unterschiedlichen Bahnhöfen ausgehend.

Alles was ich anfasse kommt mir nach einer halben Stunde leer und grau vor und nach spätestens einer Stunde bin ich so gelangweilt vom jeweiligen, dass ich es beiseite lege.

Ich verbringe meine Tage damit mir Liveübertragungen von Pressekonferenzen auf Phoenix anzusehen oder stundenlang die Technikticker im Netz zu lesen.

Und dabei ist es natürlich nicht so, dass ich nichts zu tun hätte. Die Pinnwand über meinem Schreibtisch hält 25 noch nicht begonnende Projekte für mich bereit. Jedes liebevoll auf einem eigenen Klebezettel in Stichworten umrissen. Ich vermeide den Blickkontakt.

Und dabei ist es leider auch nicht so, dass ich mir einfach reinen Herzens frei nehmen könnte um mir die Tage fröhlich mit langen Spaziergängen, Cafèbesuchen, Computerspielen oder der äußerst faszinierenden Musikflatrate vertreiben.

Es ist als hätte ich Tapetenkleister in meinen Adern.

Abends lade ich mir manchmal Freunde zum Essen ein. Denen koche ich dann was um den Tag nicht mit 100% sinnlos verloren zu geben. Ich lasse sie gern erzählen aus ihrem Leben. Von der Arbeit. Von der Freundin. Von der Politik. Beim Zähneputzen dann freue ich mich, dass ich mich so lebendig fühle. Heimlich nehme ich mir dann vor morgen alles besser zu machen. Eines Tages wird das klappen.

Heute kommen Caren und Sascha.
Jetzt.

Männer und Frauen

Ich rase durch Thüringen. Und weil Felder im März so brach und grau liegen und mich das oft so brach und grau macht, sitze ich an meinem Rechner und lese Texte, die ich mir gestern aus dem Netz gezogen hab. Um die Frauenbewegung geht es. Für mich eigentlich mehr um die Männerbewegung. Um Emanzipation geht es. Um weibliche und männliche. Um die mythologischen und spirituellen Wurzeln der Geschlechter geht es. Im Endeffekt um: Was ist weiblich? Was ist männlich? Im Endeffekt um meine Orientierungslosigkeit.

Und während der Zug durch Thüringen rast, merke ich, dass ich nicht mitreise im Kopf. Dass ich hängen geblieben bin. Dass ich nur Worte lese, keine Sätze. Ich fange an Reisende zu beobachten.

Mir gegenüber sitzt ein Mann. Dunkelgrünes Hemd, Karottenjeans, 80er Jahre Casio Digitaluhr. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Buch “Unix für Einsteiger”. Daneben: Leberwurstbrote in Alufolie. Daneben: ein Taschenrechner. Er schreibt emsig. Ich kann es nicht lesen, er schreibt sehr klein, er schmiert sehr aber es sind Formeln. Es sind Zahlen. Mathe.

Am Tisch neben mir sitzen zwei Frauen. Mutter und Tochter, äußerlich höchstens 10 Jahre auseinander. Ich kann ihr Parfum riechen. Wahrscheinlich benutzen sie dasselbe. Vor ihnen auf dem Tisch ihre Handys. Eins rosa, eins bordeaux. Daneben: eine Flasche Lichtenauer Wellness-Wasser. Daneben: 3 Zeitschriften: Amica, Freundin Shopping spezial und Glamour. Kein Witz. Aber sie lesen nicht. Sie reden. Darüber, wie zeitlos und praktisch Flip-Flops sind. Darüber, das L’Oreal-Haarfarben echt am längsten halten, und billigere Haarfarben nach dem Solarium lila aussehen, und darüber, dass der knallrote Lippenstift bei Cindy echt verboten aussieht. Die Tochter bekommt eine SMS. Sie liest laut: “Wünsche dir ein tolles Wochenende, aber treibe es nicht zu doll!” Hysterisches Lachen. Ich klappe den Rechner zu und die Augen und verstopfe meine Ohren mit Musik und denke an was Schönes.

Es kann nicht viel Zeit vergangen sein. 10 Minuten, vielleicht 15. “Wird Kaffe gewünscht? Oh, habe ich sie geweckt?” “Nein, nein, keine Sorge.”, murmele ich. Und während ich erstaunt darüber bin, wie kurz nach dem Aufwachen die Höflichkeit geladen ist, höre ich mich “Nein, danke. Für mich keinen Kaffee.”, sagen. Wahrscheinlich wird die Höflichkeit vor Tag, Uhrzeit und Ort geladen. Wahrscheinlich vor der Erinnerung an den eigenen Namen. Ich werde das beobachten.

Viel erstaunter bin ich aber über den Mann im dunkelgrünen Hemd und den Karottenjeans. Der reagiert nämlich überhaupt nicht auf die Kaffeeofferte. Auch nicht auf den Duft. Auch nicht auf mein Erschrecken. Er hat die Bücher weggepackt, und den Taschenrechner und das Schreibzeug. Er liest jetzt. Erich Fried: Gesammelte Liebesgedichte. Kein Witz.

Die Frauen am Nebentisch kaufen Kaffee und beschliessen, dass sie beim nächsten Mal gemeinsam bei Sport-Scheck bestellen, weil es ab 50 Euro 5% Rabatt geben würde und man gemeinsam ja Versandkosten sparen könnte. Dann lesen sie auch. Sich gegenseitig Horoskope vor.

Ich klappe meinen Rechner auf und beginne zu schreiben.

Biochemie

Ich hatte eine fantastische Zeit in den letzten Tagen. Manus Geburtstag war toll. Es waren viele Freunde da und nachts waren wir tanzen im Darkflower wo ich dermaßen abgegangen bin, dass mir heute noch die Waden schmerzen. Gestern hatte ich ein wunderbares Treffen mit meiner Schwester. Ich hab da eine Nähe gespürt wie lang nicht mehr. Und gestern Abend dann: ins Theater mit Alex. Es war toll, ich war glücklich. Bis eben.

Nein, es ist nichts passiert. Kein schlimmer Anruf, kein Streit, keine Schmerzen – Nichts. Und doch kann ich zusehen, wie ich falle. Wie ich traurig werde und schwermütig und taub. Wegen nichts. Alex hat mir ein Hörbuch geschenkt: Anleitung zum Unglücklichsein von Paul Watzlawick. Ich hab da gestern Nacht nur 10 Minuten reingehört und es hat den Nagel dermaßen auf den Kopf getroffen, dass ich es ausmachen musste. Herr Watzlawick bestreitet, dass es im- und permanentes Ziel eines jeden Menschen sei glücklich zu werden. Schließlich suche man sich immer (und er beweist: immer) einen Grund unglücklich zu sein. Und genau das fühle ich im Moment. Dieser Moment unterscheidet sich durch nichts vom vorhergehenden, abgesehen von meiner miserablen Stimmung. Forscher behaupten, der Körper müsste sein hormonelles Gleichgewicht halten, und würde deshalb auf Serotonin-Hochphasen Serotonin-Mangelphasen folgen lassen. Diese Erklärung ist ja wohl schlimmste, was man einem Menschen in meiner Verfassung anbieten kann. Und weil ich diese Wahrheit nicht ertrage flüchte ich mich – wie so oft – in eine spirituelle (aber deshalb ja keinesweges weniger wahre) Erklärung: Alles auf der Welt ist bipolar. Es wird immer genauso viel Schwarz wie Weiß, genauso viel Plus wie Minus geben. Die Kunst besteht darin, die Mitte zu finden, den Ausgleich, die Null.

Das hieße im Klartext: Heute bezahle ich für gestern, vorgestern und den Tag davor. Na dann mal los. Ich will fertig werden.