Jedes Mal, wenn sich eine öffentliche Person als homosexuell outet, bin ich irritiert. Plötzlich steht da eine Schauspielerin, ein Fußballer, ein Apple CEO und erzählt, in welche Sorte Mensch sie oder er sich verliebt und wie großartig das sei. Eben ging es noch um Filme, Sport oder Telefone — eigentlich immer ums Geschäft — und auf einmal steht da ein Mensch und spricht, meistens sehr ergriffen, über Liebe die im Allgemeinen und seine intimsten Gefühle im ganz Speziellen.
Immer dauert es ein paar Minuten, bevor mir einfällt, was für verdammtes Glück ich habe. Wäre ich ein paar Hundert Kilometer östlich geboren, in Polen oder Russland zum Beispiel oder ein paar Hundert Kilometer südlich, vielleicht in der oberbayrischen Provinz, käme es mir auch besonders vor, schwul zu sein. Und zwar nicht besonders schön. Würde ich von diesen Standpunkten aus auf die Welt blicken, wäre ich sicher auch dankbar für jedes Idol, das mit viel Tamtam “Ich auch!” ruft.
Tim Cook, der sich gestern in einer Kolumne der Businessweek zu seiner Homosexualität bekannte, rief allerdings etwas, das mir für einige Sekunden die Stirn in Falten legte:
I’m proud to be gay, and I consider being gay among the greatest gifts God has given me. (Ich bin stolz darauf schwul zu sein, und halte mein Schwulsein für eines der größten Geschenke Gottes.)
Das mit dem Geschenk führt er aus: Durch seine Homosexualität habe er selbst erfahren, wie es sich anfühlt, in der Minderheit zu sein. Das habe seinen Blick geweitet und ihn einfühlsamer gegenüber anderen gemacht. Oft sei es schwierig und unangenehm gewesen, zu seiner Homosexualität zu stehen, aber schließlich habe genau das ihm ein solides Selbstbewusstsein und ein dickes Fell beschert. Aus eigenem Erleben kann ich mir vorstellen, dass das eine authentische Erfahrung ist. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es sich bei diesen gedruckten und also sehr gründlich gewählten Worten nicht auch um eine Provokation gegenüber religiösen Betonschädeln handelt. Denen dürfte es nicht gefallen, dass jemand seine Homosexualität als Geschenk Gottes ansieht. (Mir schon.)
Viel mehr interessiert mich aber der Part mit dem Stolzsein. Tim Cook ist stolz darauf, schwul zu sein. Warum? Cook ist schwul, dagegen kann er nichts tun, aber auch nichts dafür. Es ist kein Verdienst, keine Errungenschaft, es ist ein bloßer Fakt. Wäre er stolz darauf, in den Jahren den Mut entwickelt zu haben, sich nicht länger verstecken zu müssen, würde mir das einleuchten. Aber genauso, wie Tim Cook darauf stolz ist, schwul zu sein, könnte ich stolz darauf sein, dass ich in den 80ern geboren wurde oder dass ich blonde Haare habe oder dass Deutschland Fussballweltmeister ist. Es muss sich wieder um diese spezielle Variante von Stolz handeln, die ich nicht kapiere. Es ist wieder die Art von Stolzsein die nichts anderes als das Gegenteil von Beschämtsein ist. Es ist die Sorte Stolz, die dem Scham die Fresse poliert. Ich mag es deutlich, aber ich mag es auch genau. Und das ist Cook nicht.
Wenn ich sage, dass ich stolz darauf bin, schwul zu sein, sage ich dann nicht auch, dass ich lieber schwul als hetero bin? Dass ich heilfroh bin, schwul zu sein, weil Heterosein (warum auch immer) weniger schön ist? Und manifestiere ich damit nicht die bei vielen nur noch Augenrolllen auslösende Behauptung, dass Schwulsein irgendwie besonderer ist, als Heterosein? Origineller? Raffinierter? Ist es nicht. Es ist seltener. Und es ist keine Entscheidung. Es ist wie rote Haare. Fürs Schwulsein wünsche ich mir die selbe Gleichgültigkeit.