Ich finde es schwierig über Musik zu reden. Noch stärker als bei anderen Themen, riskiert man hier, die Blüten des eigenen Geschmacks mit objektiven Kriterien zu verwechseln. Darauf, was schlechte Musik ist, kann man sich einigen. Was aber ist gute Musik? Für alle, die sich vor Subjektivität nicht fürchten, gibts eine einfache Antwort: Gute Musik erkennst du daran, dass sie dich berührt.
Mich berührt zurzeit Default von Atoms For Peace. In meiner Jugend in den 90ern, war ich sehr fasziniert von dem Gedanken, einen Jahrtausendwechsel mitmachen zu dürfen. Millennium war am Ende auch nur ein Silvester, das musste ich einsehen. Keine Stromausfälle, keine kollabierten Bank-Systeme, nichtmal einen vernünftigen Rechnerabsturz zuhause gab es. Und dennoch barg das Jahr Zweitausend ein Versprechen von Zukunft, ja von Sci-Fi, das in Neunzehnhundertneunundneunzig niemals gepasst hätte. Oft habe ich mich gefragt, wie sich dieses neue Jahrtausend anfühlen würde. Und weil sich Lebensgefühl und Musik ja zueinander verhalten wie Wetter zu Kleidung, fand ich es ungeheuer spannend, mir vorzustellen, wie 2000plus wohl klingen wird. Nach 13 Jahren einundzwanigstem Jahrhundert hat die Menschheit verstanden, wie es klingen muss: Folgendermaßen.
Hören auf Spotify oder bei YouTube:
Aber jetzt wird’s schwierig. Wie komme ich darauf?
Die Synthie-Flächen hinter den Refrains, erinnern mich an die Zukunft, die ich mir in den 90ern vorstellte. Der übrige Song beschreibt, wie sie sich tatsächlich anfühlt.
Da wären zuerst die flirrenden Beats, die in einer Geschwindigkeit und Dichte auf mich einprasseln, dass ich deren Logik erst nach mehreren Wiederholungen durchschaue. Genau wie bei den Systemen, die für mich arbeiten und im wesentlichen deshalb funktionieren, weil Maschinen untereinander kommunizieren: Zur Übermittlung meiner Stimme, zum Transport und zur Speicherung meiner Gedanken, um mich zu benachrichtigen, wenn mein Zug Verspätung hat oder um ein Profil von mir anzulegen, auf dessen Basis sich meine Handlungen vorhersagen lassen. Logisch aber undurchsichtig. Wenigstens für Menschen.
Thom Yorks zarte Falsett-Stimme klingt für mich genauso entkörperlicht und vergeistigt, wie ich mich manchmal empfinde. Unsere Körper hätten niemals so sehr zu unserem Hobby werden können, wenn wir sie noch ernstlich bräuchten. Wenn wir weder Fitness- noch Tatoo-Studios erfunden hätten, wären wir längst zu Geistern geworden.
In der Brüchigkeit von Yorkes Stimme spüre ich die Unzulänglichkeiten, die das Menschsein in den Augen einer Maschine mit sich bringt. Wir missachten Logik zugunsten unserer Gefühle. Wir begehen Fehler (die vermeidbar wären). Wir sind launisch. Wir müssen schlafen. Währenddessen arbeiten die (Drum-)Maschinen in unbeeindruckter Präzision weiter. Sie lächeln nicht mal, wenn York singt: “The will is strong – the flesh is weak”.
Der übrige Text des Songs ist für mich sehr kryptisch, weil wahrscheinlich sehr persönlich. Und doch veröffentlicht. Ich kenne das. Wie vereinzeln, wir vereinsamen, aber wir bloggen darüber. Manchmal nur, um genau das zu beklagen.
Zudem wird die Stimme gelegentlich als Instrument verwendet. Ein Aufschrei Yorkes wird, wie ein Drum gebraucht, eine kleine gesungene Melodie wird wie eine Bassline gesetzt. Yorke blinkt. Wie die digitalisierten Repräsentationen der Menschen, die ich liebe, wenn sie in meinem Leben auftauchen: Als Benachrichtigungs-Pop-up, als sich drehende Live-Kachel, als Chat-Head.
Ich würde einiges dafür geben, diesen Song mit meinen Neunzehnhundertneunundneunziger-Ohren zu hören. Wie hätte ich mich dabei gefühlt?
Heute fühle ich mich: Sehr verstanden. In all meiner Mensch-Maschinigkeit.