Bis eben dachte ich, dass ich mir zum Thema Organspende keine Gedanken machen müsste. Als schwuler Mann darf ich in Deutschland weder Blut noch Knochenmark spenden. Warum sollten meine Organe okay sein? Sind sie nicht. Also nicht so richtig.
Zum Blutspendeverbot
In den “Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten” heißt es im Punkt “Kriterien für einen Dauerausschluss” (2.2.1):
“[Ausgeschlossen sind] Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV bergen:
– heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern,
– Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM),
– männliche und weibliche Prostituierte.”
Im bundeseinheitlichen Fragebogen für Blut- und Plasmaspender wird diese Information in den Punkten 16 und 17 konkret abgefragt.
“16. Für Männer: Hatten Sie schon einmal Intimkontakt mit einem anderen Mann? […]
17. Für Frauen: Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Intimkontakt mit einem bisexuellen Mann?”
Natürlich könnte man lügen. Ich kenne Männer, die das tun. Wer sein Sexualverhalten kultiviert hat, hat auch sein Krankheitsrisiko im Griff, sagen sie. Klingt plausibel. Und zwar ganz unabhängig davon, ob man nun mit Männern, Frauen oder Trans-Personen schläft. Heikel ist die Lüge trotzdem, wie in den “Erläuterungen zum Blutspende-Ausschluss von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)” formuliert ist:
“Grundsätzlich ist die Richtigkeit der Angabe von Spendewilligen zum jeweiligen Sexualverhalten durch den Spendearzt nicht überprüfbar. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, wird im Rahmen der Spenderbefragung darauf hingewiesen, dass bewusste Falschangaben des Spendewilligen im Falle einer Übertragung einer Infektionskrankheit zu Sanktionen gegenüber dem Spender führen können. Im Rahmen der Rückverfolgung (Look-Back-Verfahren) können einzelne Spender als Ausgangspunkt einer Infektionsübertragung identifiziert werden.”
Die bloße Existenz dieser von der Bundesärztekammer herausgegebenen Erläuterungen beweist, dass man sich inzwischen im Klaren darüber ist, wie diskriminierend die oben zitierten Ausschlusskriterien sind wie “problematisch” diese Ausschlusskriterien “empfunden werden könnten”. Dafür hat neben dem LSVD auch der Verein Schwules Blut jahrelang gearbeitet. Dass es diese Erläuterungen überhaupt gibt, ist ihnen zu verdanken. Man findet darin viel Unterhaltsames, zum Beispiel, dass es Zielsetzung der Erläuterungen sei, “den diskriminierenden Anschein (sic!) der Formulierungen zum Ausschluss von MSM (Männern, die Sex mit Männern haben) von der Blutspende zu entkräften”. Aber auch diese drei Kalauer:
- Man hat Diskriminierung von homosexuellen Männern abgebaut, in dem man das Wort homosexuell in der aktuellen Richtlinie vermeidet. Es ist stattdessen von “Männern, die Sex mit Männern haben (MSM)” die Rede. Praktisch: So werden Bi-Männer gleich mit erfasst.
- Man hat die Diskriminierung homosexueller Männer abgebaut, in dem sie nicht mehr in einem Atemzug mit Häftlingen und Drogenabhängigen genannt werden.
- Man rühmt sich dafür, dass in der aktuellen Richtlinie “sexuelles Risikoverhalten unabhängig von der sexuellen Orientierung in den Vordergrund gestellt wird.”
Die kleine Unwucht, dass einerseits nur jene heterosexuell lebenden Männer ausgeschlossen werden, deren Sexualpartnerinnen häufig wechseln, während andererseits alle Männer ausgeschlossen sind, die jemals mit einem Mann geschlafen haben, übersieht man dabei geflissentlich. Abschließend freut man sich dann darüber, dass die Diskriminierung dieser Männer ja gar keine Diskriminierung sei.
“Bezogen auf den Einwand einer Diskriminierung ist darauf hinzuweisen, dass der Ausschluss von der altruistischen Blutspende mit keinerlei persönlichen (insbesondere ökonomischen und arbeitsrechtlichen) Nachteilen für die ausgeschlossenen Personen verbunden ist.”
Der Rudelbums-Generalverdacht gegenüber Schwulen ist dadurch a.) kein bisschen mehr wahr und b.) kein bisschen weniger diskriminierend demütigend.
Ich kenne zwei Männer, die ich als promiskuitiv bezeichnen würde. Beide sind heterosexuell. Vielleicht ist mein Bekanntenkreis nicht repräsentativ, trotzdem würde ich es sehr begrüßen, wenn das Blut, das man mir im Falle eines Falles in die Venen laufen lässt, gründlich untersucht ist. Dabei wäre es mir schnurzegal, welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung die spendende Person ist. In den Erläuterungen heißt es dazu erwartungsgemäß:
“Jede einzelne Blutspende wird sorgfältig auf HIV, Hepatitis B und C untersucht. Die gegenwärtig verwendeten Tests sind sehr zuverlässig, können jedoch die Problematik der diagnostischen Fensterphase nicht gänzlich beseitigen.”
Mit Fensterphase ist die Zeit gemeint, in der die Ansteckung mit Hepatitis oder HIV zwar schon erfolgt, aber noch nicht nachzuweisen ist. HI-Viren beispielsweise kann man in den ersten neun Tagen nach der Infektion im Blut eines potentiellen Spenders einfach nicht entdecken.
“Aus den Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) lässt sich ableiten, dass HIV-Neuinfektionen bei MSM im Vergleich zu heterosexuellen Männern ca. 100fach häufiger sind.”
Dass stimmt wohl. Aber rechtfertigen diese Zahlen ein generelles Blutspendeverbot für Männer, die mit Männern schlafen? Mitnichten. Wenn Falschangaben im Fragebogen zur Blutspende ernsthafte Konsequenzen für den Spender haben können, kann man auf die Ehrlichkeit homosexuell lebender Männer ja wohl ebenso hoffen, wie auf die heterosexuell lebender. Dann kann man homosexuell lebende Männer ebenso wie heterosexuell lebende nach ihrem tatsächlichen Risikoverhalten befragen. Also danach, ob sie ihre Sexualpartner häufig wechseln, ob sie One-Night-Stands haben oder möglicherweise auch gar keinen Sex.
B-Ware Organe
Tatsächlich wurden diese widersinnigen Richtlinien für die Voraussetzungen zur Gewinnung von Knochenmark aber unverändert übernommen. Für die Organspende rätselhafterweise nicht. Obwohl es die riskante Fensterphase auch hier gibt. Da sich nirgends eine offizielle Aussage zum Thema findet, hat Die Andere Welt im Juli letzten Jahres beim Gesundheitsministerium nachgehakt. Von einem Sprecher erhielt sie folgende Auskunft:
„Für die Lebendspende (z.B. einer Niere) wird immer der Einzelfall abgewogen. So wird insbesondere die Spende einer Niere zwischen zwei zusammenlebenden homosexuellen Partnern grundsätzlich akzeptiert, wenn die notwendigen Tests durchgeführt wurden und die medizinischen Voraussetzungen für die Spende gegeben sind. Die Risiken sind hier vergleichbar mit der Spende zwischen zusammenlebenden heterosexuellen Partnern.
Bei der postmortalen Spende wird bei Kenntnis von der Homosexualität des potenziellen Spenders eine entsprechende Testung durchgeführt, die ein geringes diagnostisches Fenster aufweist. Die Organe des Spenders werden dann über Eurotransplant mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Homosexualität des Spenders angeboten. Die Transplantationszentren wägen dann Nutzen und Risiken im individuellen Fall ab.“
Im Klartext heißt das wohl: Wer richtig schlimm dran ist, riskiert vielleicht, sich mit einer neuen unheilbaren Krankheit anzustecken um seine bisherige loszuwerden. Es heißt aber auch: Die Organe homosexueller werden wie B-Ware behandelt. Und zwar generell und ohne Ansehen der konkreten Lebensumstände des Spenders, wie es bei heterosexuell Lebenden selbstverständlich ist. Wie die Ausschlusskriterien zur Blutspende ist das nichts anderes als diskriminierend.
Organenspender werden sehr intensiv betreut. Auch anders getestet als Blutspender. Das Risiko ist also besser überschaubar. Jedes Blut wird nach der Spende auf HIV getestet. Es kann negativ sein und trotzdem belastet, weil die Infektion so frisch ist, dass noch keine Antikörper nachgewiesen werden können. Da Organspender länger vorher begleitet werden ist das Risiko schon alleine deshalb geringer.
Hier geht es vordergründig nicht um eine Pauschalverurteilung. Aber ein höheres Risiko hat diese Gruppe (als Ganzes, nicht der Einzelne) nun mal, das kann auch keine political correctness weg reden.
Ich hab in meiner Klinikzeit oft transfundiert – ich hätte da gern JEDES Risiko vermieden. Das geht natürlich nicht. Nicht bei den Falschkreuzern, nicht bei den Heterosexuellen, die von Blüte zu Blüte hüpfen. Man muss schon auch ein bisschen vertrauen.
Ich bin selbst Blutspenderin und sehe da um mich herum Leute, die helfen wollen. Solange es für die Blutspende kein Geld gibt, ist das Risiko doch eh minimiert, egal welcher sexuellen Ausrichtung man ist. Und letztlich ist es jedem selbst und dem eigenen Gewissen überlassen, welchen Strichcode man wählt, den roten oder den grünen – egal, wie man sonst so tickt oder lebt.
Grüße! N.
PS: Ausgeschlossen sind auch Personen, die vor blablablub länger in Großbritannien oder Irland gelebt haben wegen “Rinderwahn”.
@Nelja:
Der zweite Satz ist genau diese Pauschalverurteilung. Die Gruppe hat vielleicht statistisch ein höheres Risiko, aber die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bedeutet kein höheres Risiko des Einzelnen. Man könnte – wie bei Heterosexuellen – einfach nach Risikoverhalten fragen. Oder einfach “Hatten innerhalb der letzten [Tage bis HIV etc. nachweisbar ist] Tage Sex mit einem Mann?” Wenn das Blut eh getestet wird und der Spender seit langer Zeit keinen sexuellen Kontakt zu einem Mann hatte, wieso sollte er von der Blutspende ausgeschlossen werden? Selbst wenn er infiziert wäre aufgrund des damaligen Kontakts wäre es ja nachweisbar!
Bis ich vor zwei Tagen folgenden Beitrag auf alltagssexismus.de gelesen habe, wusste ich nicht, dass Homosexuelle (und zwar Männer* wie Frauen*!) kein Blut spenden dürfen und hätte es mir auch nie vorstellen können…
http://alltagssexismus.de/posts/view/2115
Nicht selten komme ich mir hier vor wie im tiefsten Mittelalter… Viel mehr fällt mir dazu nicht zu sagen ein – sowas macht mich vor Wut sprachlos. Das kann – und sollte – mensch ruhig beim Namen nennen: Diskriminierung bleibt Diskriminierung, auch wenn eine hübsche rosa Schleife drum gebunden wird.
Das habe ich wirklich nicht gewusst. Und ich finde es so bescheuert und so erniedrigend, dass ich platzen könnte. Ich werde das in den nächsten Tagen nochmal ausführlicher recherchieren, denke ich. Danke, danke für den Hinweis!
Was ich neben der Diskriminierung vor allem stossend finde, ist es, dieses Ausschlusskriterium ebenfalls für Knochenmarkspenden beizubehalten. Knochenmarkspenden sind im Gegensatz zu Blutspenden im Voraus planbar (das diagnostische Fenster lässt sich also vermeiden), der Empfänger könnte sich im Einzelfall für oder gegen die Spende entscheiden; er könnte auch entscheiden, ob er das minimale Risiko einer HIV-Infektion eingehen will. Ganz ähnlich etwa einer Lebend-Nierenspende. Vor allem aber findet ein an Leukämie erkrankter Patient nur mit grossem Glück überhaupt einen passenden Spender. Sollte es sich dabei um einen schwulen Spender handeln, so ist – anders als bei Blutspenden – ein Ausweichen auf einen nicht schwulen Spender praktisch unmöglich. Was ist besser: das minimale HIV-Risiko, oder der praktisch sichere Tod? Man lässt dem Patienten aber nicht die Wahl, sondern man lässt ihn lieber sterben. Meinem Empfinden nach läuft das auf unterlassene Hilfestellung mit bewusster in Kaufnahme des Todes des Patienten, wenn nicht gar auf vorsätzliche Tötung hinaus (denn das Ausschlusskriterium wurde ja vorsätzlich errichtet). Wäre sehr interessant, wenn in einem Einzelfall ein potentieller Empfänger klagen würde.
Dieses Verbot ist schlichtweg eine vertuschte, aber dennoch riesige Diskriminierung! Ich kenne mindestens 5 Personen in meinem Umfeld, die jede Woche mit jemandem anderen zusammen sind und auch mit ihnen schlafen und ALLE sind sie heterosexuell. Die Leute, die diesen Sachverhalt regeln, gehen nicht von dem individuellen Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen aus, sondern nur von seinem “Label”. Das ist so, als würde man behaupten, alle sozial schwachen Familien hätten viele Kinder und wären dumm – totaler Schwachsinn.
Und dass Spenderorgane als homosexuell gekennzeichnet werden, ist eigentlich noch viel demütigender, wie oben schon erwähnt wurde. Ich bin selber lesbisch, vielleicht bin ich nicht objektiv genug, aber ich glaube nicht, dass ich als Hetera ein Spenderorgan ablehnen oder als höheres Risiko ansehen würde. Ich wäre einfach dankbar, dass der Spender mir das Leben rettet!!
Ich sehe das ganz genauso. Entscheidend sollte immer das Gefährdungspotential des jeweiligen spendenden Individuums sein. Genau genommen kostet diese Diskriminierung potentiell Menschenleben. Da fragt man sich schon, in was für einer Gesellschaft wir leben.
Noch härter finde ich übrigens die Aussage eines RotKreuz Mitarbeiters der mir, nachdem er mir mitteilet das ich kein Blut spenden darf (ich bin seit 13 Jahren in monogamer Beziehung), wortwörtlich sagte: “Wenn sie helfen wollen können sie ja Geld spenden!” Mein Antwort darauf: “Das ist schwules Geld, das dürfen sie nicht nehmen!”