“Im ersten Quartal 2012 wurden in Deutschland 2 Millionen Tonnen Fleisch in gewerblichen Schlachtbetrieben erzeugt.”
Bravo! Das Statistische Bundesamt muss einen sachlichen und neutralen Ton für seine Pressemitteilungen wählen, auch für jene zur jüngsten Entwicklung der Fleischproduktion in Deutschland. Beim oben zitierten Satz ist dies einwandfrei gelungen. Auf den ersten Blick. Heftet man ihn aber nicht schnell genug in den Ordner “Zur Kenntnis genommen” weg, brechen seine Worte auf wie Knospen:
Das ist Literatur! Wie arglos diese fünfzehn Worte daherzukommen versuchen und welche Schlagkraft ihnen doch eigen ist! Wie viel Zeitgeist, wie viel Ideologie und wie viel Kälte darin steckt! Wie präzise der Konsens-Schleier beschrieben ist, den wir kollektiv über Grausamkeiten drapiert haben!
Ich habe Mühe, sachlich zu bleiben und kann mir eine kleine Demontage leider nicht verkneifen.
Es ist von Tonnen die Rede.
Eine Tonne sind eintausend Kilo. Ich muss mir das vor Augen führen, weil ich dazu neige, beim Wort “Tonne” an ein Fass zu denken. Ein Bierfass wiegt höchstens hundert Kilo, für eine Tonne bräuchte man also zehn. Wir reden aber nicht von einer Tonne. Sondern von zwei Millionen Tonnen. Pro Quartal. Ich kann mir das nicht vorstellen, also rechne ich. Zwei Millionen Tonnen in 91 Tagen sind knapp 22.000 Tonnen an jedem einzelnen Tag. Also 916 Tonnen pro Stunde. Also fünfzehn Tonnen pro Minute. Wir produzieren 15.000 Kilo Fleisch in jeder einzelnen Minute? Allein in Deutschland? Kann ich mir immer noch nicht vorstellen.
Wir reden von Fleischerzeugung.
Nicht von Tierhaltung. Oder wenigsten Viehmast. Wir erzeugen Fleisch. Und wir reden darüber, als wäre das so ähnlich, wie Strom zu erzeugen. Oder Papier. Oder Mehl. Wir reden darüber, als wäre Fleisch eine Legierung wie Stahl, die wir aus verschiedenen Rohstoffen zusammenschmelzen. Als wäre es ein Produkt aus unbelebter Materie, ein Industrieartikel geboren aus deutscher Ingenieurskunst. Wir vermeiden es, über Tiere zu reden. Über Kühe. Über “Luise” vielleicht. Deswegen erwähnen wir auch nicht die Anzahl der getöteten Tiere, sondern nur die Summe ihres Gewichtes. (Ist das eigentlich vor oder nach dem Aubluten?) Beim Wort “erzeugen” denke ich an Fabriken, an Maschinen und an Müllverbrennungsanlagen. Das ist auszuhalten. Doch Obacht! Wenn man das Wort “erzeugen” zu lange anstarrt, entblößt es seine lebendige Herkunft!
Wir reden von gewerblichen Schlachtbetrieben.
Nicht von Bauernhöfen. Oder Farmen. Oder Ställen, meinetwegen. Das ist mutig, weil wahrhaftig. Wo Schweine, Rinder und Hühner heute noch vorkommen, sollen sie nicht leben sondern sterben. Man erzeugt Fleisch, indem man ein Tier schlachtet. Deswegen Schlachtbetriebe. Die sind gewerblich. Das bedeutet auch: zutiefst demokratisch. Gewerbliche Schlachtbetriebe lassen sich wählen oder abwählen. Wir können mit unseren Portmonees voten. Jeden Tag.
Es lohnt sich, diese Presseerklärung weiterzulesen, auch wenn sie permanent die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft sprengt. Als kleine Interpretationshilfe gebe ich gern folgende Dokumente an die Hand:
- Interview zum kürzlich vorgelegten WWF Bericht “Living Planet 2012” aus dem hervorgeht, dass Deutschland mehr als doppelt so viele biologische Ressourcen verbraucht, wie es selbst zur Verfügung hat, sowie eine
- Tabelle des Bundesverbandes der deutschen Fleischwarenindustrie, die belegt, dass jeder Deutsche im Jahr 2010 89,3 Kilo Fleisch gegessen hat (nur etwas weniger als mich also), was laut dem
- Kampagnenblatt von Brot für die Welt vom März 2010 fast 2 ½ so viel ist, wie im internationalen Durchschnitt verzehrt wird.
Danke!!! Viele lieben Danke, weil der Text meines Erachtens mit viel Gefühl geschrieben worden ist… er hat mich quasi im Herzen berührt, vor allem der Teil, wo beschrieben wird, dass Fleisch heutzutage als ein Produkt wie Strom etc. angesehen wird, statt als ein Teil von einem fühlenden Lebewesen.
Wir leben schon in besonderen Zeiten. Und manchmal nicht in sonderlich appetitlichen Zeiten. Ja, an diesem zitierten Satz ist schon einiges raus zu holen. Einerseits eben solche ziemlich offenen Worte wie „Schlachtbetrieb“, andererseits aber richtige Euphemismen wie „Fleischerzeugung“. Hier wird mit einem waschechten begrifflichen Fehler der Tatbestand der Vernichtung von Leben einfach ins Positive umgekehrt. Irgendwie klingt es dann ja auch schon wieder ziemlich vernünftig. Denn wer sollte etwas gegen Erzeugung (von egal was) einwenden? Klingt in jedem Falle fortschrittlich und nur gut. Vor allem für den Konsumenten. Ich wünsche auf jeden Fall Guten Appetit und danke für einen fürsorglich geschriebenen Artikel.