Das Foto eines Künstlers

Ein Foto von mir wollten Sie.
Für Presse und Werbung und Öffentlichkeit.
Ein Porträtfoto von mir für den Katalog.
Für einen Kunstkatalog.

Kein Geheimnis: Das schmeichelt.
Das streichelt meine Eitelkeit.
Das füttert mein Ego.
Und das verschafft große Bewunderung,
wenn es gelingt, die Anfrage mit der überzeugenden Mischung
aus Verlegenheit und Bescheidenheit
im flüchtigen Nebensatz jeglichen Gespräches zu erwähnen.

Aber das fordert auch.

Nicht, dass meine Festplatten nicht eine ganze Bibliothek von Selbstporträts beherbergen würden, deren Meisterwerke der Welt sogar im Internet zum Abruf bereit stehen.
Nicht, dass ich im Umgang mit der Kamera nicht vertraut wäre und mich nicht gut darauf verstünde, ungeliebte Züge meiner Person zu kaschieren und geliebte zu modellieren, selbst dann, wenn ich sie gar nicht habe.
Nicht, dass meine Inszenierung jemals zitterte oder ich jemals um den passenden Gesichtsausdruck gerungen hätte.
Hier aber doch.
Hier strauchelte ich.
Hier haderte ich.

Sie wollten das Foto eines Künstlers.
Das eines jungen Mannes mit Visionen.
Oder eines sympathischen Trottels.
Mit dem geheimnisvollen Sex-Appeal eines Verrückten.

Sie wollten kein Foto von mir.
Keines von jemandem, der seine frühen Nachmittage mit Talk-Shows tötet.
Der Computerspiele mag.
Und Milch-Shakes von Mc Donald’s.

Sie wollten kein Foto von jemandem, der gar kein Künstler ist und nur deshalb so bezeichnet wird, weil niemandem ein passenderes Wort einfällt für das, was er tut.
Ich baute mein Stativ auf und versuchte wie ein Künstler auszusehen.
Orientierungslos aber intelligent.
Verzweifelt aber kämpferisch.
Traurig aber weise.
Sexy.

Das funktionierte nicht.
Das funktionierte ganz und gar nicht.
Das war überhaupt nicht auszuhalten.
Natürlich nicht.
Ich begriff das nach 3 Stunden und 2 randvollen Speicherkarten.

Ich hörte mich über die zwingende Notwendigkeit von Authentizität reden.
Ich rekapitulierte energische Plädoyers über die ungeheuerliche Stärke die der Fähigkeit zur Konfrontation mit der eigenen Schwäche innewohnt.

Ich erinnerte mich an Diskussionen über das zwangsläufige Scheitern jeglichen Versuches, vermeintliche Wahrheiten aus hölzernen Rollenklischees zu zitieren.
Vor allem aber staunte ich über die prächtigen Blüten die die meine Vorstellungen eines Künstlers trieben.

Ich zog meine Hose von baggy auf die Höhe, in der ich sie normalerweise trage, nahm meine Intellektuellenbrille ab und tauschte mein Paradiesvogelhemd gegen eines, das mich wieder zu dem machte, was ich eigentlich bin: ein Sperling, wenn auch ein aparter.

Die Kamera am ausgestreckten Arm schoss ich ein Foto von mir.
Direkter Blick.
Ernstes Gesicht.
Ich.

Mit Hautschuppen auf der Nase,
einem Mitesser auf der Stirn
und einer leichten Rötung rechts über meiner Oberlippe aus der sich zwei Tage später eine beachtliche Herpesblase entwickeln sollte.

Das ist nicht uneitel.
Das ist das Gegenteil davon:
Einen Moment lang zog ich in Erwägung meine Augen ein wenig blauer und meine Lippen ein wenig röter zu färben am Computer.