Hassliebe: Die Wanze in meiner Tasche

Miriam Meckel, Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement in St. Gallen, twitterte letzte Woche:

“Think of your smartphone as a tracking device that happens to make a call. “

Wir wissen, dass mit Hilfe unsere Mobiltelefone Bewegungsprofile von uns erstellt werden können. Und auch, dass von dem, was wir als Privatsphäre (miss)verstehen nicht viel übrig bleibt, wenn man die Verbindungsdaten und den Datenverkehr zur Auswertung hinzuziehen würde. Wir nehmen das hin. Aber Warum?

Mir gelingt das, weil ich entgegen Meckels Vorschlag eben nicht daran denke. Ich wische meine Überwachungsfantasien wie Fettflecken vom Display, indem ich mir einrede, sie wären übertrieben und psychotisch. Ich halte Orwell und Huxley für Science-Fiction-Autoren, nicht für Propheten. Ich lache über Verschwörungstheorien. In meiner betriebswirtschaftlichen Ausbildung habe ich gelernt, dass Konzerne mein Geld wollen, nicht aber mein Leben. Ich bezweifle, dass der Staat mich kontrollieren will, weil ich mir immer noch einrede, ich sei der Staat. Aber ich finde es zunehmend schwieriger, mir zu glauben.
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Trommelwirbel: 30 Minuten Volksnähe 2.0

Twitter-Gründer Jack Dorsey ist gerade in Berlin gelandet und hat noch auf dem Flughafen knackig verkündet, wofür:

“Just landed in Berlin for a visit with Chancellor Angela Merkel. I’ve been wanting to meet her for a while: the world needs her on Twitter.”

Dorsey will Merkel dazu überreden, sich ein Twitter-Konto zuzulegen und künftig nicht mehr nur permanent vertrauliche SMS ins Girls-Camp zu schicken sondern – zack, zack! – brisante Polit-Tweets in die Welt.

Wahrscheinlich würde er das Nutzerkonto der mächtigsten Frau der Welt als eine Art Ritterschlag des alten Europa empfinden, in jedem Fall wäre es prima Publicity und eine Chance mehr, Twitter noch öfter in die Hauptnachrichten zu hieven.

Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert firmiert seit Anfang letzten Jahres unter dem Kürzel @RegSprecher auf Twitter und hat anlässlich des hohen Besuchs ein ganz spezielles Pastetchen gebacken: Ein Twitterview – richtig, ein Interview auf Twitter.

Vor nicht ganz 24 Stunden schrieb er:

„Ich lade Sie morgen ab 11.30 Uhr zu meinem ersten Twitterview ein: Stellen Sie mir Ihre Fragen live unter #fragReg – ich freue mich darauf.“

Super, alles klar! Obwohl: Soll ich die Frage jetzt schon stellen oder erst um 11.30 Uhr?

Und wen frage ich eigentlich?

  • Sie, lieber Steffen Seibert, zum Status ihrer guten Vorsätze für dieses Jahr, Ihrem aktuellen Lieblingsbuch und dem Befinden der werten Ehefrau,
  • Sie, geehrter Herr Regierungssprecher, zu Ihren lustigsten Anekdoten aus dem Arbeitsalltag, Ihrem persönlichen Verhältnis zur launigen Chefin und dem rauen Arbeitsklima im Bundespresseamt,
  • Oder gar Sie, hochgeachtete fleischgewordene Bundesregierung zu Spritpreisen, Eurostabilität und der unterdrückten Islamdebatte?

Und Sie, wie wollen Sie antworten? Zu komplexen Interessenskonflikten bei der Energiewende, zum hochphilosophischen bedingungslosen Grundeinkommen, zur emotional aufgeladenen Frauenquote: Kurz und knackig in 140 Zeichen?

Oh, vielen Dank, das wird unser Land so viel besser machen: Die klaren Aussagen, die einfache Sprache, die neue Volksnähe und Alles!

Immerhin nehmen Sie sich ja 30 Minuten Zeit, jawohl.