IN-Vitro: Grünes Fleisch

Wer seine Rostbratwurst nach der Vorführung von Meat the truth immer noch genießen kann, nutze die Zeit, die er mit dem Lesen dieses Blogbeitrages verschwenden würde besser dafür, mit seinem Hummer mal eben zum Zigarettenautomaten an der Ecke zu fahren und danach vielleicht noch ein paar Runden um den Blog. Für all jene, die Rostbratwurst immer noch mögen, die aber schon beim Kauen ein schlechtes Gewissen plagt, naht Hilfe. Aus zahlreichen Laboren rings um den Globus.

Forscher der Universtität Utrecht versuchen mit großzügiger finanzieller Unterstützung der niederländischen Regierung Fleisch im Labor zu züchten. An Collagen-Gittern in einer Nährlösung nämlich. Wissenschaftler spendenfinanzierter Konsortien wie die britische Gruppe New Harvest oder The In Vitro Meat Consortium aber natürlich auch kommerzielle Unternehmen wie die norwegische Nofima versuchen ihnen im Wettstreit um die erste künstliche Brühpolnische zuvorzukommen.

Warum?

Bis 2050 wird sich der Fleischkonsum der Menschheit voraussichtlich auf 450 Mrd. Kilo jährlich verdoppeln, inklusive aller negativen Auswirkungen, die die Produktion von Fleisch mit sich bringt. Die hierdurch explosionsartig ansteigenden Emissionen, die fortschreitende Abholzung des Regenwaldes zum Anbau von noch mehr Viehfutter und die weitere Verschlimmerung der Lebens Haltungsbedingungen der Tiere wären einfach nicht vertretbar. (Wer glaubt ernsthaft sie wären es heute?). Der rasant wachsende Appetit auf Schnitzel und Steak lässt dennoch Dollarzeichen in den Augen findiger Geschäftsmänner aufblitzen, besonders wenn diese Aussicht darauf haben, diesen Hunger schon bald sehr günstig künstlich zu stillen. Auch aus Konsumentensicht keine schlechte Idee: Das Fleisch wäre frei von zugefütterten Antibiotika und Hormonen und würde Massentierhaltung, Futteranbau und lange Transportwege obsolet machen.

Nur leider will einem einfach nicht das Wasser im Munde zusammenlaufen, wenn man weiß, dass der duftende Bratling des Burgers in deiner Hand nicht aus der Hüfte eines wilden argentinischen Rinds sondern aus einem in einer Nährlauge vor sich hin wachsenden Kunstfleischklumpens geschnitten wurde.

Zur Herstellung desselben bedient man sich Methoden, die sich schon heute zur Züchtung von Haut- oder Knorpelzellen für medizinische Zwecke bewährt haben. Biologisch betrachtet steht In einer Nährlösung werden tierische Stammzellen (je nach Gusto vom Huhn, Schwein, Rind oder auch Fisch) zu Muskelzellen ausgebildet. Henk Haagsman von der Universität Utrecht dazu:

“Damit die Muskelzellen nicht wie Mus aussehen, sondern ihre typische faserige Konsistenz erhalten, müssen sie wie im lebenden Organismus mehrere Wochen trainiert werden. Dafür wiederum muss das Gerüst beweglich sein, indem es sich beispielsweise durch Temperaturunterschiede ausdehnt und zusammenzieht. Nach der Wachstumsphase werden die dünnen Fleischschichten dann übereinandergestapelt, um dickere Scheiben zu erhalten.”

So ließen sich verhältnismäßig einfach Fleischflocken für Würstchen, Bratlinge und Nuggets herstellen. Als Königsdisziplin gilt jedoch das künstliche Steak.

“Schnitzel oder Steaks brauchen zusätzlich feinste Äderchen, um Blut und Nährstoffe auch zu den innen liegenden Zellen zu transportieren. Das ist aufwendig. Vladimir Mironov von der Universität South Carolina versucht dies beispielsweise mit dünnen essbaren Röhrchen aus Chinin zu erreichen.”

Erste Erfolge gibt es bereits. Schon 2002 züchtete daher Morris Benjaminson vom New Yorker Touro College erfolgreich Muskelgewebe von Goldfischen in einer Nährsubstanz aus Maitake-Pilzen.

Das liest sich alles ein bisschen ekelerregend, ist aber auf den zweiten Blick sogar etwas weniger pervers als die Zustände der heutigen Massentierhaltung. Spannend ist, dass das Laborfleisch neue Lobbys schmiedet und zwar aus Protagonisten, die sich noch bis vor kurzem engagierte Hahnenkämpfe lieferten. Plötzlich ziehen Industrie, Genforscher, Veganer, Lebensmittelchemiker und Umweltaktivisten an einem Strang. Die Tierschutzorganisation PETA hat sogar einen mit einer Million Dollar dotierten Forschungspreis für denjenigen ausgelobt, der er es schafft vor Anbruch des Jahres 2012 ein In-Vitro-Hähnchenschnitzel zu produzieren. Wohl bekomm’s. Es ist genug für alle da. Jason Matheny, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet des sogenannten Tissue Engineering glaubt, dass sich so der Hunger der Welt bekämpfen ließe: "Mit einer solchen Zellreihe ließe sich theoretisch die gesamte Menschheit ernähren."

Praktisch ist allerdings fraglich, ob die Menschheit auch so ernährt werden will oder ob das Bœuf Frankenstein, dem einen oder anderen nicht doch sehr schwer im Magen liegen würde.