Schlampige Recherche bei Spiegel Online?

Sicher ist es naiv. Aber ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass das was ich in etablierten Publikationen wie dem Spiegel, der Süddeutschen Zeitung oder der Financial Times Deutschland lese zumindest zum Großteil der Wahrheit entspricht. Der am 08. April auf Spiegel Online erschienene Artikel über die Noa Bank jedoch stellt diese Vermutung verblüffend in Frage. In dem Artikel, um den bereits die letzen beiden Beiträge meines Blogs kreisen, behauptet Autor Günter Heismann über die gerade in die Noa Bank eingegliederte Quorum AG:

Im “Deutschen Factoring-Portal” schildern Blogger, wie das Unternehmen Kunden über den Tisch gezogen haben soll.

Auf der Website des Deutschen Factoring Portals heißt es dazu bereits einen Tag später:

Die Behauptungen des Artikels bei Spiegel-Online oder anderen Blogs und Informationen, der sich auf das Deutsche Factoring-Portal bezieht, wurde von dem jeweiligen Autor definitiv falsch recherchiert. Es wurde auf dem Deutschen Factoring-Portal NOCH NIE etwas, und schon gar nicht negatives, über die Noa Bank oder die Quorum AG behauptet und diskutiert. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Schon gar nicht, wie behauptet, von anderen Bloggern.Das Deutsche Factoring-Portal dient einzig und allein dafür über Factoring zu informieren und direkte Kontakte zu hier gelisteten Factoring-Unternehmen herzustellen. Nicht mehr und nicht weniger.

Für Spiegel Online ist das peinlich und rufschädigend, weil es die Recherchemethoden des Autors in Frage stellt. Denn dieser hat laut Noa Bank auch anderen Stellen seines Beitrages einige Tatsachen verdreht, wie die Veröffentlichung des kompletten E-Mail Interviews im Blog der noa bank im Vergleich zum veröffentlichten Artikel beweist.

Umso verstörender ist es, dass sowohl die Financial Times Deutschland als auch die Süddeutsche Zeitung in den letzten Tagen ganz ähnliche Artikel veröffentlichten. Verblüffend ähnliche Artikel. Artikel, die offensichtlich auf denselben vermeintlich unsauber recherchierten Behauptungen von Günter Heismann basieren, wie sich unschwer an denselben unwahren Fakten belegen lässt, die sie zitieren.

Womit haben wir es hier zu tun?

Mit einem neuen Effizienzprogramm der Medienindustrie, dass darin besteht, ein- und denselben Artikel dürftig umformuliert in mehreren Publikationen erscheinen zu lassen?

Davon wüsste ich dann als Leser bitte gerne. Wenn auch nur, um mich für eine Zeitung zu entscheiden, die a.) sauber recherchiert und b.) die (hoffentlich) versehentliche Verbreitung von Falschinformationen zügig richtigstellt.

Dubiose Journaille vs. noa-bank-Mücke?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder läuft tatsächlich eine Art Schmutzkampagne gegen die Bankenmücke noa bank oder ich werde gerade Zeuge eines lehrbuchbeispielhaft Falles von schlechtem Journalismus.

Die rennomierte Financial Times Deutschland veröffentlichte gestern Nacht einen Beitrag von Rolf Lebert mit dem Titel: “Noa-Bank holt der Alltag ein”. Trotz wohlwollender Prüfung konnte ich in diesem Artikel keine einzige Information finden, die nicht bereits im Spiegel Online Artikel zu lesen war, auf den ich im letzten Blogpost eingegangen bin. Empfehlenswert ist eine Stippvisite zur Financial Times trotzdem. Denn man erhält spannende Einblicke ins journalistische Arbeiten. Rolf Lebert remixt seinen Remix eines Spiegel Online Artikels. Auf Seite zwei bietet er ein neu arrangiertes Potpourri der Absätze, die er bereits auf Seite eins verwendet hast. Das ist witzig. Aber kein Journalismus.

Kässmann endlich glaubwürdig

Margot Käßman, Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, wird mit 1,5 Promille Alkohol im Blut nach dem unbeeindruckten Überfahren einer roten Ampel von der Polizei gestoppt. Diese Verfehlung könnte ihr das Amt kosten. Dabei bietet sie die seltene Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit moralischer Instanzen neu zu definieren.

Seitdem Käßmann im Oktober letzten Jahres Wolfgang Huber an der Spitze der evangelischen Kirche in Deutschland  ablöste, kommt die Organisation nicht mehr zur Ruhe. Die Tatsache, dass Käßmann a.) eine Frau und b.) obendrein geschieden ist, genügte der russisch-orthodoxen Kirche die Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche Deutschlands unter reichlich moralisch-pikiertem Tschingtarassa abzubrechen. Käßmanns rigorose Ablehnung des Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan sorgte für politischen Zwist und verschaffte ihr das Image der gnadenlosen Hardlinerin in Sachen Ethik und Moral, die sich einen Dreck um das diplomatisch Notwendige oder politisch Machbare schert. Was mir stets imponierte.

Natürlich kann man ihr leicht vorwerfen, dass ihre stets an ganz grundsätzlichen Idealen entlang argumentierte Auffassung von Recht und Unrecht nur wenig dazu beitragen kann, konkrete Probleme wie beispielsweise die verfahrene und aussichtlose Situation der Bundeswehr in Afghanistan in den Griff zu bekommen. Andererseits ist das auch nicht ihre Aufgabe. Als Vorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland ist sie vielmehr dazu berufen, lautstark für christliche Gebote und Vorstellungen einzutreten und deren Einhaltung auch in politischen Konflikten, auch in gesellschaftlichen Debatten anzumahnen. Und diesen Job macht sie gut. Denn der christlichen Lehre folgend steht das Gebot des absoluten Pazifismus – trotz “Auge um Auge und Zahn um Zahn” – nun mal nicht im Geringsten zur Debatte. Dementsprechend lies auch sie keinen Platz für ein diplomatisch-realpolitisch aufgeweichtes “Ja-aber.”

Die angetrunkene Spritztour am letzten Samstag stellt die von der Welt als “Wächterin strengster moralischer Maßstäbe” titulierte Bischöfin in ein ganz neues Licht – und zwar kein gutes. Man kann es nicht schönreden: 1,5 Promille sind ziemlich viel. Traut man sich Käßmanns Größe und Gewicht großzügig zu schätzen und einen Alkoholrechner mit diesen Werten zu füttern, erfährt man, dass sie mindestens drei große Bier oder etwas mehr als eine Flasche Wein getrunken haben muss. Dass sie danach nicht mehr fahrtüchtig war, kann ihr nicht entgangen sein. Sie ist trotzdem gefahren und hat damit sich und andere in ernsthafte Gefahr gebracht. Ohne Zweifel ist das eine ernsthafte moralische Verfehlung, die geahndet werden soll. Nur wie?

Käßmann ist erwischt worden. Wahrscheinlich ist sie ihren Führerschein los, hat für den Blutalkohol und die rote Ampel empfindliche Bußgelder zu berappen und muss sich in einem Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit am Steuer verantworten, so wie ich es an ihrer Stelle auch müsste. Im Gegensatz zu ihrer wäre meine Trunkenheit jedoch für den Maulwurf innerhalb der Polizei oder den Bildzeitungsjournalisten, der illegal den Polizeifunk abgehört hat, bei Weitem kein so einträgliches Geschäft gewesen.

Und im Gegensatz zu meiner (wohlgemerkt rein hypothetischen) Trunkenheit ist ihre ein öffentliches moralisches Problem. Sie beweist uns, dass auch Margot Käßmann ein Mensch ist. Keine roboterhaft Psalmen zitierende weiße Weste, keine makellose Heilige, kein unfehlbares Orakel. Margot Käßmann macht Fehler, obwohl sie weiß, was richtig ist. Sie tut das Falsche, obwohl sie gebetsmühlenartig dafür eintritt, das Richtige zu tun. Sie erliegt der Verführung, obwohl sie Tugendhaftigkeit predigt. Darf sie trotzdem weiterhin Vorsitzende einer großen Deutschen Kirche sein?

Ich finde jetzt erst recht. Käßmann jetzt ihres Amtes zu entheben würde der Kirche schaden, weil sie damit überführt wäre, noch immer der sehr naiven Illusion verfallen zu sein, irgendjemand sei ohne Sünde und würde ihr Amt daher besser ausfüllen.

Dabei ist es eine Chance: Das Oberhaupt der evangelischen Kirche bereut. Käßmann sei erschrocken darüber, dass sie so einen schlimmen Fehler gemacht habe. In den nächsten Tagen werden sicherlich noch weitere Reuebekundungen folgen. Soll man diesen Glauben schenken? Unbedingt. Glauben muss immer geschenkt werden.

Wie glaubwürdig aber ist eine moralische Instanz aus Fleisch und Blut die allen Ernstes behauptet, stets das Richtige zu tun? Wie kann jemand als lebendiges Vorbild taugen, der sich im Lichte für mich unerreichbarer Unverdorbenheit sonnt? Wem soll ich glauben, er sei frei von Sünde?

Rechtschaffend zu sein ist ein Kampf. Und diesen Kampf gewinnt man nicht jeden Tag. Auch als Kirchenvorsitzende nicht. Umso beeindruckender wäre es, wenn Käßmann sich nach dieser Niederlage erheben würde, um weiterhin mit gewohnter Vehemenz aber hinzugewonnener Menschlichkeit für das Gute und Richtige einzutreten.

Auszuräuchern: News-Parasiten im Web-Kommunismus

Auf dem gerade zu Ende gegangenem Monaco Media Forum wurde allerlei spekuliert über die Zukunft des Journalismus, die – glaubt man dem Gezeter der meisten Verantwortlichen – wohl vor allem davon abhängen wird, wer künftig für Nachrichten bezahlt.

Augenblicklich stehen sich zwei Modelle gegenüber: Nach dem traditionellen Modell bezahlen die Nutzer für den Zugang zu Nachrichten, in dem Sie beispielsweise eine Zeitung am Kiosk bezahlen, oder brav ihre GEZ-Gebühren überweisen, bevor sie die Tagesschau einschalten. Dem gegenüber steht ein neues Modell, nachdem Inhalte durch Werbung finanziert sind. Zugegeben, so neu ist das nun auch wieder nicht, wie ein Blick in eine Zeitung Ihrer Wahl beweisen kann. Neu ist nicht einmal, Inhalte ausschließlich über Werbung zu finanzieren. Das belegt Ihnen die deutsche Privatfernsehlandschaft lautstark, und vielleicht sogar noch etwas eindrucksvoller Google.

Neu ist auch nicht das Internet, in dem wir uns daran gewöhnt haben, das jede Art von Information kostenlos bereit steht. Das einzige Neue an der ganzen Diskussion ist, dass einige einflussreiche Leute der Medienbranche der Meinung sind, hier müsse dringend etwas geändert werden.

Allen voran Rupert Murdoch, bei dem man angesichts seiner gigantischen global agierenden Medienfabrik News Corp, die neben “The New York Times” und “Fox News” auch das soziale Netzwerk “MySpace” herstellt, beim besten Willen nicht um den Gebrauch des Unwortes Medienmogul herumkommt. Weil seine Fabrik im letzten Jahr fast 3,4 Milliarden Dollar Verlust gemacht hat  steht er nun freilich unter Zugzwang. Seiner Meinung nach ist es die Kostenlos-Mentalität im Internet, die seiner Firma so zu schaffen macht. Allen voran kritisiert er Google aber auch all die anderen “Kleptomanen und Parasiten”, die – im Volksmund auch Blogger genannt – alles Aufsammeln und Remixen und zu ihrem machen. Damit sei jetzt Schluss, konstatiert Murdoch. Das Herstellen von Nachrichten sei schließlich teuer: Auslandskorrespondenten, Fotografen, Experten, Redakteure, Layouter, Drucker Fahrer und Verkäufer wollen schließlich ebenso bezahlt werden wie Programmierer und Administratoren. Das zu leisten sei der weltweite Werbemarkt einfach nicht groß genug. Bei Murdochs Wall Street Journal gibt es deshalb nur noch den ersten Absatz eines jeden Artikels gratis, der Rest bleibt angemeldeten – zahlenden – Nutzern vorbehalten.

Murdochs deutscher Kollege Mathias Döpfner, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG ist offenbar beeindruckt von dessen klaren Worten, selbst aber nicht ganz so mutig. Er traut sich zwar vorerst noch nicht, ganze Zeitungsportale mit einem Eingabefeld für die Kreditkartennummer abzuzäunen, wohl aber deren mobile Ableger. Die BZ, Die Welt und die Bild wird gibt es auf dem iPhone in einigen Wochen nur noch über eine eigens dafür programmierte App, bei der nicht nur Anschaffungskosten sondern auch monatliche Gebühren anfallen sollen. “Die kostenpflichtige App wird bald die einzige Möglichkeit sein, die Medienmarken aus dem Hause Springer auf dem iPhone zu nutzen.” Auch für die Angebote im normalen Internet sollen die Nutzer bald löhnen.

Allerdings sieht Döpfner selber ein, dass es ihm nicht gelingen wird, die Medienkonsumenten – also Sie! – umzuerziehen. “Konsumenten sollen nicht umerzogen werden sondern verführt.”, sagte Döpfner am Donnerstag im Rahmen einer Podiumsdiskussion die sich, wer ausreichend Erdnussflips zur Hand hat hier in voller Länge ansehen kann:

 

Die Verführung sei gar nicht so schwer. Menschenkenner Döpfner analysierte nämlich messerscharf, dass es genau sechs Dinge gäbe, für die sich der gemeine Konsument interessiert. Dies seien:

  • Sex
  • Verbrechen
  • Sport
  • Spiele
  • das persönliche lokale Umfeld
  • Geld und macht
  • und das Wetter

Wesentlich wären aber nur die ersten beiden: Sex and Crime. Und für Intellektuelle eben Eros und Thanatos. Für Informationen zu diesen beiden zahlen die Menschen seit Griechenland. Er sehe keinen Grund, warum sich das im digitalen Zeitalter ändern sollte. Liebe und Hass müssten lediglich hübsch verpackt und exklusiv aufbereitet werden und dann würde der Rubel schon ins Rollen kommen. Glaubt Döpfner.

Grundsätzlich sei er aber auch ein großer Fan von nutzergenerierten Inhalten. So sei es beispielsweise ja die Bildzeitung gewesen, die durch das Abdrucken von Presseausweisen zum Selbstausschneiden den  Nebenberuf des Leser-Reporters etabliert habe und deren “großartiges Material”  nun regelmäßig gegen Bezahlung veröffentlichte. Die pseudo-investigativen Amateur-Paparazzi mit engagierten Bloggern in einen Topf zu schmeißen, die sich wie Pitbulls in Geschichten verbeißen, die nicht immer Sensationen sein müssen ist zwar gewagt, passt aber zum Rest von Döpfners Ausführungen:

"Es ist einfach falsch zu denken, im Web müsse alles kostenlos sein. Die Theorie, dass es einen freien Zugang zu Informationen geben soll, gehört zum Absurdesten, was ich jemals gehört habe. […] Dies ist ein spätes ideologisches Ergebnis von Webkommunisten: Nur wenn alles kostenlos ist, ist es demokratisch." (Golem)

Döpfners Ausführungen gipfelten in einem Vergleich mit bestechender Logik: Bier im Supermarkt sei schließlich auch nicht gratis. Wie er auf diese Metapher kam, erklärte er nicht, wohl aber, was er damit meine: Wenn im Internet die Zukunft der Informationsverbreitung läge, wovon er ausginge, dann muss es auch dort Qualität geben. Diese aber sei nur möglich, wenn jemand bereit sei in die Herstellung dieser Qualität auch Geld zu investieren. Diese Bereitschaft wiederum setze die Aussicht auf Rendite voraus. Informationsportale im Netz brauchen demnach ein klares Geschäftsmodell das sicherstellt, dass sich diese Informationen auch auszahlen. Ohne diesen Geschäftsmodell würde nicht nur die journalistische Qualität sinken, sondern sich der Medienmarkt insgesamt erheblich verkleinern, was wiederum zulasten der Vielfalt ginge. Diese Theorie lässt sich durchaus bereits mit Fakten belegen: In Amerika ist bereits vom großen Zeitgungssterben die Rede und auch in Europa stellen die ersten Blätter ihr Erscheinen ein. Die Publikationen die bleiben müssen sparen wo es nur geht, und dies leider viel zu oft zuerst bei den Auslandskorrespondenten, auch hierzulande.

Die Herstellung von Nachrichten ist teuer. Und Döpfner hat wohl recht, wenn er warnt, dass Blogger und Suchmaschinen nichts zu verwerten, zu verbreiten oder zu remixen hätten, wenn niemand mehr qualitativ hochwertigen Content einstellt. Allerdings vergisst er, dass eben dieser Content, und zwar durchaus auch hochwertiger auch von Bloggern bereitgestellt werden kann. Dies hat sich nicht zum ersten Mal beim Aufstand im Iran vor einigen Monaten gezeigt. Das herrschende Regime konnte westliche Reporter zwar des Landes verweisen, und deren Berichterstattung so erheblich erschweren, es hatte aber vergessen, dass das Internet auch vor seinen Landesgrenzen nicht halt gemacht hat. Die Aufständigen organisierten sich über Facebook, Twitter & Co. und im Zuge der Berichterstattung schafften es YouTube-Videos von Amateuren sogar bis in die Tagesschau.

Spätestens hier zeigt sich, dass Blogger den traditionellen Journalismus erheblich bereichern können. Sie können ihn nicht ersetzen – nutzergenerierter Content muss redaktionell geprüft, editiert und aufbereitet werden. Aber das was Regierungen und Medienkonzernen der Öffentlichkeit als Wahrheit verkaufen, bedarf gelegentlich dringend einer Revision. Das kann man gerade am Beispiel von Murdochs Sender Fox News sehr schön nachvollziehen.

Obendrein sorgen Blogger und Suchmaschinen für einen erheblichen Besucherzuwachs auf einschlägigen Nachrichtenseiten, in dem sie Beiträge andere in ihrem Angebot verlinken. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Werbeeinnahmen der Inhaltsanbieter aus.

Auch das kann ein Geschäftsmodell sein. In den USA sorgt derzeit eine Plattform namens Huffington Post für Aufsehen. Hierbei handelt es sich nicht, wie der Name vermuten lassen könnte um eine weitere gedruckte Tageszeitung sondern vielmehr um einen Zusammenschluss von ca.. 2.000 Bloggern, die über alles mögliche, was ihnen bemerkenswert erscheint schreiben. Wohlgemerkt unentgeltlich. Das Portal hat im letzen Jahr seine Reichweite vervierfacht und glänzt mit 8,1 Mio. Seitenaufrufen monatlich. Dieser Erfolg ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass den Bloggern regelmäßig Exklusivmeldungen gelingen, nach denen sich traditionelle Medien alle zehn Finger lecken.Von den Werbeeinnahmen können 80 Angestellte bezahlt werden. Laut Mitbegründerin Arianna Huffington gingen mittlerweile mehrere Hundert E-Mails täglich ein, in denen Inhaltsanbieter darum bitten, dass auch ihre Beiträge in der “HuffPo” besprochen würden.

Klar ist trotzdem: Die Einnahmen reichen nicht dafür aus auch die Blogger für ihre durchaus respektable Arbeit zu entlohnen. Im Gegenteil, auch Online-Community Projekte renommierter Zeitungen seien teuer und würden letztlich hauptsächlich aus den Verkaufseinnahmen der Papierexemplare finanziert. Brechen deren Absatzzahlen jedoch ein müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden. Darüber wird auch im von mir wärmstens empfohlenen Crossover-Projekt der Freitag eifrig diskutiert.  Freitag Verleger Jakob Augstein äußerte sich unlängst auch in der 3sat Kulturzeit zum Thema paid content, und wurde dafür von seiner eigenen Community heftig kritisiert. Diese nämlich fühlte sich für ihren Beitrag zum Reiz des gesamten Projektes zurecht nicht wertgeschätzt.

Lauscht man Arianna Huffington klingt die Lösung des Problems einfach.

Ambiguity is the new exclusivity.

Wer für die durch ihn zur Verfügung gestellten Inhalte bezahlt werden wolle, solle sich vor allem darum kümmern diese an so vielen Orten im Netz wie möglich verfügbar zu machen und vor allem auf die Finanzierung durch Werbung zu setzen.

Döpfners Prognose, dass es in 10 Jahren von der Grundversorgung mit Nachrichten abgesehen nur noch kostenpflichtige Inhalte geben werde, wies sie humorvoll aber energisch zurück.

Solange Sie keine bizarre Pornografie anbieten oder sehr spezifische Information für Anleger, werden sie keinen Erfolg damit haben Ihre Inhalte einzumauern. […]

und weiter:

I am sorry to say, that even though you are incredibly convincing, you will be proven incredibly wrong.

Hoffentlich behält sie recht.

Aufgewischt: Meine persönliche Datenlache

Ich habe in der letzten Zeit viel über Überwachung und Datenschutz geschrieben. Und freilich noch viel mehr darüber gelesen. Dabei habe ich zweifellos mehr über die Tricks und Kniffe der Online-Datenkraken gelernt, als mir lieb sein kann. Wie sich daran zeigte, dass diesem Wissen in der letzten Nach ein Großteil meines Schlafes zum Opfer fiel.

Wie durch ein undichtes Dach plätscherte Tropfen für Tropfen die Gewissheit in mein Gemüt, dass ich bisher mit meinen persönlichen Daten überaus salopp umgegangen war. Eigentlich könnte man es auch dämlich nennen: Im Internet hatte ich seit Jahren jedes Formular bereitwillig ausgefüllt, jedes Social Network ausprobiert, in jedem Forum über das ich stolperte arglos unter echtem Namen gepostet, rezensiert, kommentiert, schwadroniert. Herrje! 

Mir fiel ein Dienst nach dem anderen ein, bei dem ich mich irgendwann mal registriert hatte. Und dann erinnerte ich mich an die vielen Artikel darüber, dass das Internet nicht vergisst, dass man das Internet nicht löschen kann, weil es überall Kopien davon gibt, dass sich das Internet zum wahren Karriere-Killer entpuppen kann, wenn man nicht aufpasst, und dass es mitterweile ausgefeilte Personensuchmaschinen gibt, die die bunt verteilten Informationsschnipselchen aus jeder noch so abgelegenen Dreckecke des Internets herausklamüsern, um sie flinkflink zu einem hübschen wohlsortierten Personenprofil aufzubereiten. Mit Telefonnummer und Passfoto. Wenn man dumm genug war. (War ich zum Glück nicht, wie ich erst am nächsten Morgen erfuhr.)

Tropfen für Tropfen hatte sich eine unangenehm große, unangenehm kalte Datenlache gebildet, die mich aus dem Bett trieb. Ich fing an eine Liste zu schreiben mit allen Seiten auf denen ich wissentlich Daten hinterlassen hatte. Also mit allen, die mir nach 15 Jahren Internetnutzung noch einfielen. Unter die achtundvierzigste zog ich einen Strich, der Bleistiftspitze brechen ließ. 48 – das waren alle, die mir einfielen. Google konnte sich auch an keine weitern erinnern. Bing auch nicht, auch nicht Yahoo. 123people oder Yasni habe ich mich nicht getraut zu fragen. Dafür war es zu früh. So gegen halb zwei.

Während der Rechner hochfuhr, machte ich mir einen Tee. Dann arbeitete ich die Liste ab. Auf jeder Seite warf ich meine Angel aus und siehe da: in meiner Datenlache gab es Fische! Dicke sogar! Amazon gab beispielsweise jedem bereitwillig Auskunft darüber, welche Bücher ich mir in der letzten Zeit zugelegt hatte, wie sie mir gefallen hatten, und welche ich mir noch wünschte. Bei Facebook war öffentlich nachvollziehbar, mit wem ich befreundet und mit wem ich verlobt bin. Last.fm versorgte jeden, der wollte (und der ein last.fm Konto hatte) mit meinen persönlichen Hitlisten. Flickr gab Einblicke in mein Wohnzimmer (Gott sei Dank nur mein altes!) und studiVZ in die Ereignisse der letzten Betriebsfeier. Tricks und Kniffe, oder gar Spionage war für keine dieser Angaben nötig. Mein egomanes Sendungsbedürfnis und das meiner Freunde reichte dafür völlig.

Das alles war ja auch keine Katastrophe. Auf keinem der Fotos im Internet war ich so betrunken, dass man es mir angesehen hätte. Und von mir aus kann die ganze Welt wissen, dass ich ab und an zu den alten Hits der Münchner Freiheit abgehe. Muss aber nicht.

Ich habe also gelöscht, abgemeldet, entfernt, unsubscribed was die Nacht hergab und zum Abstreichen der Liste noch zweimal meinen Bleistift angespitzt. Das hat regelrecht Spaß gemacht. Auch, weil mir der Frust des vergessenen Passwortes erspart blieb: In den letzten fünf Jahren habe ich ganz offensichtlich immer und überall das gleiche Passwort verwendet. Das ist war einfach und praktisch und in dieser Nacht war ich überaus dankbar dafür. Auch, weil mich der wohlige Grusel darüber, was dieses Passwort in den falschen Händen hätte anrichten können, wie ein doppelter Espresso wach hielt.

Gegen fünf Uhr war meine Liste auf 21 Dienste zusammengeschmolzen. Das waren wirklich nur die allernötigsten, aber nachprüfbar immer noch zu viele: Wie um Himmels Willen soll ich mir 21 unterschiedliche sichere Passwörter merken?

Mit einem Trick! Mit welchem? Ich bin doch nicht wahnsinnig!

PS: Meine Nachtschicht hat sich vielleicht schon bezahlt gemacht:  Yasni und 123people halten sich brav zurück.

In Germany most people speak german

Eigentlich ging es um Handys. Handys sind ja seit der Implosion der Mobiltelefonsparte von Siemens, spätestens aber seit der Schließung des Nokia Werkes in Bochum im letzten Jahr kein besonders deutsches Phänomen mehr. Was sich gerade ändern könnte.

Der kanadischer Hersteller der in Businesskreisen zum Ersatzteddy avancierten Blackberry Mobiltelefone RIM eröffnete nämlich ebenso im letzten Jahr an Ort und Stelle ein Forschungszentrum, in dem deutsche Ingenieure an den Nachfolgern der Nachfolger künftiger Handys arbeiten.

Voller Stolz präsentierte das Unternehmen heute auf einer Pressekonferenz das erste Resultat des deutschen Think Tanks: ein neues Handy. Nicht jedoch, ohne der nach Rumänien abgewanderten Konkurrenz von Nokia mit der Bemerkung vor die Füße zu spucken, dass die extrem kurze Entwicklungszeit des Telefons von nur 12 statt üblicherweise 16 Monaten nur aufgrund der besonders effizienten deutschen Arbeitsleistung habe bewerkstelligt werden können.

Als Gastredner geladen war auch der amtierende deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert. Das dieser unumwunden zugab, nicht viel von Handys zu verstehen und statt dessen einen mitellangen Ausflug in die Geschichte des 21. Oktobers machte, weil er sich damit nun mal besser auskenne, blieb den meisten internationalen Journalisten verborgen. Weil diese nämlich kein einziges Wort verstehen konnten. Lammert sprach Deutsch.

Eine englische Journalistin unterbrach ihn schließlich mit dem Zwischenruf: "We don’t speak German.", woraufhin Lammert kurz von seinem Skript aufsah und lächelnd mit “In Germany the most people speak german." konterte, um anschließend zu erklären, dass, falls er Englisch spräche viele andere Anwesende nicht folgen könnten, was doch auch schade wäre. Anschließend bot er der Journalistin in fließendem, beinahe elegantem Englisch an, seine Rede nach der Veranstaltung gern für sie in ihrer Sprache zusammenzufassen.

 

Womit haben wir es hier zu tun? Mit einem Running Gag? Mit einem Trend? Mit einer verlorenen Wette?

Lammert ist nicht gerade für seine Schlagfertigkeit berühmt, so dass man sich mit einem gerüttelt Maß an mutiger Arroganz dazu hinreißen lassen könnte, ihm zu unterstellen, dass er sich für den Fall des Falles eine entsprechende Reaktion parat gelegt hatte, die er nun tatsächlich vorführte. Was wiederum bedeuten würde, das seine Reaktion wohl überlegt war. Was seinerseits nun wiederum fragt: Warum fiel seine Reaktion so aus?

Ist das eine Form neuen deutschen Selbstbewusstseins zu der uns die schießhundscharfen französischen Sprachwächter inspiriert haben? Ist das faule Scheu vor einer Fremdsprachenrede? Ein beherzter Stinkefinger gegen das arrogante Selbstverständnis englischsprachiger Journalisten?

Im Gegensatz zur tapsigen Verweigerung Westerwelles imponiert mir diese. Sie hat eine Arroganz, die mit Erhabenheit verwechselt werden könnte und eine Schlagfertigkeit die an eloquente Eleganz grenzt.

Quellen: Deutschlandradio, ruhr.business-on.de, heise.de

 

Neues Airbrush-Verfahren enthüllt: Fremdenfeindlichkeit in Deutschland!

Günter Wallraffs neuester Coup: Ein Jahr lang erlebt er braun angesprüht und mit Afro-Perücke den Alltag eines Somaliers in Deutschland. Wie alltäglich ist es aber für Schwarze, dass ihr Jahr nur 6 Wochen Tage dauert und sie währenddessen permanent von einem Filmteam und einem Fotografen begleitet werden?

Den ansonsten sehr respektabel arbeitenden Damen und Herren vom ZEIT-Magazin ist dieser “Alltag” offenbar noch investigativ genug, um ihm ein Doppelcover und sechs Heftseiten zu widmen. Wer anschließend immer noch Schmink-Tipps braucht oder generell sehr für Karneval ist, kann sich alles nochmal en detail im Kino bei “Schwarz auf Weiß – eine Reise durch Deutschland” erklären lassen. Oder er kauft sich mit “Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere” das Buch zur Story. Vielleicht reicht aber auch schon das Video hier um zu begreifen, wie borniert Wallraff selbst ist: Der Trailer zu seinem Film zeigt nicht etwa die Ausgrenzung die er in seiner Verkleidung erfahren hat sondern wie Wallraff in der Maske zurechtgemacht wird. Mit einem echten Schwarzen auf dem Sofa, der sich am Ende dem direkten Vergleich unterziehen muss. Wow! Ein echter Schwarzer! In Deutschland!

Zweifellos leben wir in einem Land, in dem die Ausgrenzung anders Aussehender zur Tagesordnung gehört. Viele Deutsche kriegen davon leider nichts mit, weil es in ihrem sozialen Umfeld  keinen anders Aussehenden gibt. (Herrje: Ist das etwa ein Indiz?) Schon um wieder einmal daran erinnert zu werden wie dreist, wie ignorant und wie himmelschreiend dumm viele unserer deutschen Mitbürger sind, lohnt sich die Lektüre von Wallraffs Artikel. Dennoch bleiben alle Erlebnisse Wallraffs zotige Anekdoten, und ähnlich wie bei den bis zum Erbrechen rezitierten Entgleisungen von Thilo Sarrazin, die der Intellektuellen-Postille Lettre International die Auflage Ihres Lebens beschert haben dürften, steht die Eitelkeit, Sensationsgier und das Aufmerksamkeitsbedürfnis der Autoren einer ernsthaften gesellschaftlichen Debatte im Weg. War es in Sarrazins Fall vor allem die messerscharf-zynische Kopftuchmädchen-Metaphorik die den Blick auf  die durchaus angebrachte Kritik an der verfehlten Integrationsleistung aller Beteiligten vernebelte, so ist es bei Wallraff die vor die Kamera gezerrte Kuriosität des Airbrush-Verfahrens und die ewige Betroffenheits-Romantik, die der ernsthaften Auseinandersetzung mit subtilem wie offensiven Rassismus schon im Ersten Absatz den Garaus macht.

Wallraff schreib selbst:

Der alltägliche Rassismus dagegen schafft es nur selten in die Zeitungen, was nicht bedeutet, dass er seltener ist. Er schafft es nicht über die Wahrnehmungsschwelle, er gehört zum deutschen Alltag […]

Danach aber vergisst er sich darüber zu wundern, auf welch schülerzeitungshafte Art und Weise er diese Wahrnehmungsschwelle durchbricht. Was er erlebt ist für mehr als 300.000 Menschen in diesem Land tägliche Realität. An 52 Wochen im Jahr. Auch ohne Perücke.  Wofür braucht es also diese alberne Undercover-Inszenierung? 300.000 Leute in diesem Land sind auch ohne Airbrush schwarz. Mit ein paar von Ihnen (gern vermittle ich hier Kontakte) hätte er sich lediglich unterhalten brauchen um ihnen ein öffentliches Forum zu verschaffen. Oder geht es Wallraff etwa vielmehr um sein Forum?

Jede meiner Rollen ist auf eine bestimmte Art anmaßend – aber ohne diesen Schritt auf fremdes Terrain würde ich viel weniger über die Lebenswirklichkeit der Menschen erfahren, in deren Haut ich schlüpfe.

Genau so ist es. Dieses Gebaren ist nicht nur anmaßend es ist vor allem eitel. Und hat mit Lebenswirklichkeit – weder mit schwarzer noch mit weißer – rein gar nichts zu tun. Sonst würde ja auch keiner drüber schreiben, oder?

Dabei scheint Wallraff durchaus recherchiert und auch nachgedacht zu haben:

Nach einer Untersuchung des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer pflegt rund ein Drittel der Deutschen rassistische Vorurteile. Wie viele Menschen in Deutschland hingegen aggressiv rassistisch sind, ist umstritten. Fest steht, dass nicht unerhebliche Teile der Gesellschaft den Rassismus als ideologisches Klebemittel brauchen, um sich ihrer nationalen Identität zu versichern. [..] Fremdenfurcht, genau wie Antisemitismus, hat ja auch nichts mit realen Erfahrungen zu tun, tritt sogar umso häufiger auf, je seltener Menschen Fremden begegnen.

Tiefer dringt er nicht in die Materie ein. Dabei geht der ernsthafte Diskurs frühestens hier los: Die Angst vor dem Fremden ist eine tiefe, fast archaische Urangst des Menschen. Leichter als sie zu überwinden ist es, den Fremden zum Freund zu machen. Vor dem, der nicht fremd ist fürchtet man sich auch nicht. Fremdheit überwindet man mit Begegnung. Womit der Kreis zur verfehlten Integrationspolitik mit schönem Gruß an Thilo Sarrazin geschlossen wäre.

Watch out Guido!

Nicht nur Westerwelle selbst wünscht sich sicherlich, den 18-plus-X Wahlkampf von 2005 aus den Köpfen der Menschen und den Archiven der Medien zu verbannen. Weil das nicht geht, hat er sich fürs Überpinseln entschieden. Sogar beim schon im Vorfeld nicht gerade als seriös geltenden TV-Total-Wahlkampf-Showdown letzte Woche erschien er als einziger in Schlips und Kragen und mahnte gebetsmühlenartig zur Seriosität. “Schließlich geht es weder um Sie noch um mich. Es geht um unser Land, Herr Raab.” Dass er mit Sätzen wie diesem gepunktet hat, wissen wir heute alle.

Offenbar steigt ihm sein Erfolg jedoch zu Kopf. Über den Pressekonferenz-Eklat am Montag wurde ja auf breiter Front berichtet – nicht gerade zu Westerwelles Gunsten. Für ihn offenbar Anlass genug sich bei der heutigen Pressekonferenz anlässlich der FDP-Präsidiumssitzung nochmals auf den Fremdsprachenverweigerungs-Ausrutscher zu beziehen:

“Herzlich Willkommen zur Pressekonferenz zur FDP-Präsidiumssitzung, die auf Wunsch aller ausschließlich in deutscher Sprache gehalten wurde.” Das Gelächter blieb verhalten, der Witz war eben so witzig nicht. Auch später in der Konferenz bezog er sich nochmal auf den Vorfall und zwar in einer Art und Weise, die man gutmütig durchaus als Entschuldigung verstehen könnte. Er verwies auf den harten, anstrengenden Wahlkampf, sein erheblichen Schlafdefizit und behauptete außerdem dem BBC-Journalisten die Antwort 3 mal höflich und nur ein zu vernachlässigendes Mal etwas spitz gegeben zu haben. Er bat um Nachsicht.

Vielleicht wäre man sogar versucht gewesen selbige walten zu lassen, wenn der Rest dieser Pressekonferenz nicht so katastrophal daneben gegangen wäre. Als er die Frage eines weiteren Reporters inhaltlich nicht verstand, “obwohl sie auf deutsch gestellt war”, schlug dieser gewitzt vor, dass er auch auf Altgriechisch fragen könnte. Westerwelle parierte und drohte er werde die Frage dann auf Latein beantworten. Wenn er es denn nur mal hätte.

Die Wahrheit ist: Herr Westerwelle hat keine einzige Frage beantwortet. Natürlich hat er geredet. Gebetsmühlenartig wie gewohnt. Gesagt hat er aber nichts. Weshalb sich sogar der Phoenix-Moderator Gerd-Joachim von Fallois nach Abschluss der Konferenz dazu hinreißen ließ dem irritierten Zuschauer zu erklären: “Wir Journalisten sind ja nicht freiwillig hierher gelaufen, sondern von der FDP eingeladen worden. Wenn Herr Westerwelle aber keine Fragen beantworten will, hätte man sich das auch sparen können.”

Das stimmt nicht ganz. Wie immer gab es was zu lernen. Westerwelles Weisheit des Tages: “Fragen beantwortet man nicht immer, wenn sie gestellt werden, sondern wenn sie sich stellen.” Auf die kritische Nachfrage einer Journalistin, die dieses Statement offenbar nicht nur ebenso respektlos sondern auch ebenso gefährlich für die Demokratie und die Rolle der Medien in selbiger empfand, stolperte er: “Sie dürfen meine Weigerung Ihre Fragen zu beantworten nicht in den falschen Hals bekommen.” Er könne Fragen zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen mit der Union freilich erst geben, wenn diese Verhandlungen abgeschlossen seien.

Das mag stimmen. Was aber war dann Westerwelles Ansinnen bei dieser Pressekonferenz? Hatte er erwartet, dass ihn die Journalisten nach seinem Lieblingsmüsli oder seiner aktuellen Gute-Nacht-Lektüre fragen würden?

Und viel wichtiger: Müssen wir hinnehmen, das Politiker neuerdings ungeniert und vor offenen Mikrofonen erklären, dass es Transparenz und klare Kante in der Politik nicht mehr geben kann? Ganz ähnlich polterten ja Herr zu Guttenberg und auch Herr Steinbrück bei Anne Will einen Sonntag vor der Wahl, als sie verkündeten, dass es unabhängig vom Wahlausgang harte Einschnitte geben würde, und man “Abschied von Liebgewonnenem” nehmen müsse, um sich dann trotz mehrfacher Nachfrage Wills zu weigern, auszusprechen worum es sich dabei handele.

Poor Guido!

Darüber muss man gar nicht streiten: Es war unelegant, unhöflich und belehrend, wie der deutsche Außenminister in spe Guido Westerwelle sich auf einer Pressekonferenz am Montag weigerte, die Frage eines Journalisten der BBC in Englisch zu beantworten und ihm in zweiter Instanz sogar verbot seine Frage wenigstens auf Englisch zu stellen. Zumal Sätze wie “Es ist Deutschland hier.” sogar in Westerwelles Muttersprache ziemlich dahingestolpert klingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dennoch darf man sich darüber wundern, welch hämischen Wellen diese peinlichen 30 Sekunden im Netz schlagen.

Es ist nämlich alles andere als üblich, dass sich Politiker vor laufender Kamera in einer anderen als ihrer Muttersprache äußern, zumal dann nicht, wenn die Themen ernst oder sogar heikel sind. Das begreift man schnell, wenn man beispielsweise versucht, ein Videoschnipselchen im Netz zu finden, an dem sich die Englischkenntnisse unseres bisherigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier prüfen ließen – es gibt keins. Auch die Suche nach einer Englischprobe von Angela Merkel endet mit null Treffern. Lediglich Joschka Fischer traut sich ein englisches Interview zu geben, allerdings erst, nachdem er aus der politischen Verantwortung des Außenministers längst entlassen ist.

Dafür gibt es nachweislich auch gute Gründe: Wenn mein Lieblingspopstar zur Eröffnung seines einzigen Deuschlandkonzertes ein besoffenes “Güten Obend Börlin” herauskaut, ist das niedlich und supersüß. Wenn aber Herr Sarkozy gleiches versucht, während er über politische Dinge spricht, kann das nur peinlich und irritierend wirken:

Das hat offenbar sogar Sarko selbst eingesehen, und sich nach der Bauchlandung umgehend für ein paar Englischstunden angemeldet. Schreibt jedenfalls der Telegraph.

Verblüffend finde ich auch, dass sich niemand über die Selbstverständlichkeit wunderte, mit der der Journalist die englische Frage stellte. Ich weiß schon, wenn ich jetzt sage, dass niemand auf einer Pressekonferenz in London auf den Gedanken käme eine deutsche Frage zu stellen, heißt es sofort, dass man das überhaupt nicht vergleichen könne, weil Englisch schließlich die derzeitig Weltsprache ist. Dass stimmt freilich. Wäre ich jedoch Journalist in Frankreich oder England, würde ich mich bemühen die entsprechende Landessprache zu erlernen. Das soll die journalistische Arbeit ja erheblich erleichtern. Und wäre außerdem Ausdruck von Respekt und Interesse.

Nicht schwitzen!

Dafür, dass einem an jeder Straßenecke prophezeit wird, wie waaahnsinnig langweilig der heutige Fernsehabend sein wird solange man nicht “Die Simpson – Der Film” guckt, ist das mediale Rauschen um das anstehende TV-Duell zwischen Steinmeier und Merkel doch ziemlich laut, oder?

Gysi schimpft über das„Regierungs-Selbstgespräch zwischen Kanzler und Vize-Kanzler Steinhauer, äh, meier“ und fragt sich, “wie’se da Spannung reinkriejen wolln", während Westerwelle dem verhinderten Zuschauer die “Realsatire” freundlicherweise schon mal vorab zusammenfasst: “Frau Merkel wird dann sagen: Frank-Walter, es war nicht alles schlecht. Und Frank-Walter sagt: Da hast du recht, Angela.” Frau Künast hingegen übt sich in Sachlichkeit und erklärt, es sei schlichtweg "undemokratisch, wenn nicht alle Parteien ihre Konzepte darlegen können". Trotz ehrlichem und aufrichtigem darüber Nachdenken fällt mir kein Argument dagegen ein: Das stimmt wohl. Ebenso richtig scheint mir zu sein, dass der Gesprächsrunde heute Abend deutlich Potential verloren geht, weil die drei oben genannten einfach ausgesperrt wurden. Deren Zusammentreffen am Donnerstag bei Maybrit Illner war nicht nur aufschlussreich sondern durchaus auch verblüffend, gerade in Bezug auf die eigentlich ja streng verbotene aber teilweise geradezu aufdringliche programmatische Ähnlichkeit von Grünen und FDP.

Aber nicht nur die Leugnung jeglicher oppositionellen Kraft treibt mir mit Blick auf die Sendung heute Abend Falten der Irritation auf die Stirn:

1. Wer heute die Fernsehzeitung aufschlägt lernt das gruseln: Das TV-Duell läuft auf 5 Kanälen gleichzeitig. Auf Phoenix wird das Geschehen simultan in Gebärdensprache übersetzt, alle anderen Kanäle, nämlich das Erste, das ZDF, RTL und Sat.1 werden sich nur durch das eingeblendete Logo voneinander unterscheiden. Ganz ehrlich: Was soll das? Gewinnen RTL und Sat.1 durch einen einzigen Abend tatsächlich an politischem Profil? Glaubt das jemand? Oder wäre bei einer erwarteten Einschaltquote von 20 Millionen jede andere Programmierung schlichtweg zu teuer?

2. Obwohl es schon die Sache schon beim letzten Mal eher zur Komödie denn zum Action-Kracher gemacht hat, werden auch diesmal vier Moderatoren – genau: einer nämlich von jedem beteiligten Sender – auf die Kandidaten losgelassen. Vielleicht ist das Kindergartenfairness fürs Leben, und vielleicht sind die zu erwartenden Gockelkämpfe zwischen Herrn Plasberg und Herrn Kloeppel auch unterhaltsam, der Seriosität der Sache dienlich ist diese Moderatoren-Gruppentherapie wohl aber nicht.

3. Die Regeln des Duells sind vorab veröffentlicht, damit alle Hobbyschiedsrichter, die es pünktlich vom Dorfsportplatz zur Tagesschau geschafft haben, die Trillerpfeife für Fouls auch zuhause nur aus dem Mund nehmen müssen, um die Bierflasche anzusetzen. Neben der Begrenzung und peinlichen Überwachung der Redezeit auf 90 Sekunden pro Frage finden sich im Regelwerk auch so sinnige Vorgaben wie das Verbot jeglicher Gegenstände auf dem Pult außer Papier und Stift. Wollte jemand einen Teddy mitbringen oder was?

4. Lässt man auch dieses Mal den Regisseur Volker Weicker an die Steuerknüppel hinter den Kulissen. Weicker ist gut und preisgekrönt. Vor allem für Fußballspiele, Formel-1-Übertragungen und (Aufpassen!) Boxkämpfe. Und wie ein Boxkampf soll die ganze Nummer wohl auch wirken. “Blutgrätschen sind verboten”, titelt der Tagesspiegel zynisch. Gut zu wissen.

Soweit ich das verstanden habe, ist das hier ein Bundestagswahlkampf. Es geht darum, als Wähler zu entscheiden, wem man am ehesten zutraut, das Land halbwegs passabel durch diese ja nicht ganz einfache Zeit zu navigieren. Es geht nicht darum, wem im TV-Event des Jahres die markigsten Sprüche einfallen und wer überzeugender mit den Armen wedelt sondern darum, die zur Wahlstehenden Inhalte in einer kompakten 90-minütigen Gesprächsrunde – keinem Fußballspiel – direkt gegenüberzustellen.

Das hab ich aber ganz offensichtlich missverstanden, wie ein Blick in die Medien verrät:  Der RBB beispielsweise widmet dem Duell im Vorfeld ein Medienmagazin in dem die Moderatoren der Sendung – und nicht etwa die Kandidaten – ins Blaue drauf los schwadronieren dürfen. Die Zeit hingegen erhofft sich vom Duell die Wahlkampfwende, und gibt obendrauf gleich noch hilfreiche Tipps in Steinmeiers Richtung: “So kann ein schwitzender Kandidat etwaige Zweifel an seiner Eignung bestätigen.”

Da kann man nur hoffen, dass Steinmeiers Antitranspirant heute Abend nicht versagt bzw.. dass Udo Walz nicht gerade heute mit einer akuten Magen-Darm-Infektion darnieder liegt. Glaubt man den Medienmachern, könnte Merkel die Wahl verlieren, wenn ihre Haare heute Abend nicht perfekt sitzen.

Wenn man sich mal auf der Zunge zergehen lässt, für wie bescheuert leicht manipulierbar der Wähler von einigen Medienfuzzis Medienmachern gehalten wird, könnte man tatsächlich Lust auf einen Boxkampf bekommen.