Leipziger Dummheit: Bürger gegen Asylbewerber

Die Stadt Leipzig will eine marode Massen-Unterkunft für Asylbewerber am Rande der Stadt schließen und die Bewohner in mehrere kleine über das gesamte Stadtgebiet verteilte Einheiten umsiedeln. Nun wurde eine Bürgerinitiative gegründet um genau das zu verhindern.

Hier ein sehr sehenswertes Video zum Sachverhalt:

Bei diesem Protest geht es aber nicht um Asylbewerber. Es geht auch nicht um Menschen. Sondern um Dummheit. Und Rassismus – also Dummheit. Was deshalb besonders schmerzt, weil sie sich ausgerechnet in der Stadt Bahn bricht, die wie keine zweite in Deutschland für den Wunsch nach Demokratie, die Wahrung der Bürgerrechte und friedliches Zusammenleben stehen will. Die als Marke geschützte Leipziger Freiheit wird augenblicklich offenbar auch als die Freiheit nicht Nachzudenken verstanden.

Der Mechanismus ist alt: Ein Klischee, das man beim Frisör, am Stammtisch oder beim Geraniengießen aufgeschnappt hat, wird wieder und wieder weitererzählt. Solange bis man denkt, es wäre eine Meinung. Die eigene, sogar. Das ist gut zur Selbstvergewisserung. Zur Sicherung der Gruppenzugehörigkeit. Zur Erzeugung von Gemütlichkeit. Das gute Gefühl, sich gemeinsam zu echauffieren, mit der Zunge zu schnalzen, den Kopf zu schütteln und die Arme in die Hüften zu stämmen. Es macht mich traurig: Die Leipziger Dummheit gibt es eben auch. Sie grinst bräsig aus einem pinkfarbenen Top und sagt:

Na die müssen nicht unbedingt hier hin, weil hier ist ja ein Wohngebiet und das passt halt nicht hier her.

oder:

Man kann auch nicht 70 Mann auf einem Fleck in ein Wohngebiet eingliedern. Das geht nicht.

oder:

Die Leute haben Angst […] vor der Zunahme der Kriminalität: Drogenkriminalität, Beschaffungskriminalität…

Natürlich sind das keine Argumente! Das sind Parolen! Was nur deshalb niemand bemerkt, weil niemand fragt. Es gibt keinen wahren Kern darin. Es gibt überhaupt keinen Kern!

Ich behaupte, dass niemand, der in dieser Bürgerinitiative organisiert ist jemals mit einem Asylbewerber gesprochen hat. Und auch niemanden kennt, der jemanden kennt, dem diese möglicherweise sehr erhellende Erfahrung zuteil wurde.

Ich behaupte außerdem, dass niemand der diese Parolen gefällig wiederkäut, auch nur eine Minute darüber nachgedacht hat, worüber er eigentlich spricht. Keine einzige dieser Parolen würde einer Überprüfung standhalten. Und da rede ich nicht von Studien. Keine dieser Parolen ist einen Gedanken weiter noch wahr.

Wer sind eigentlich Asylbewerber? Kriminelle? Drogenabhängige? Zuhälter? Kinderschänder? Oh, Moment: Sind Asylbewerber nicht Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt, unterdrückt oder mit dem Tode bedroht werden? Die ihr Zuhause hinter sich lassen, weil sich Ihnen dort keine lebenswerte Perspektive bietet?

Wenn Asylbewerber nicht ins Wohngebiet passen, wo passen sie denn dann hin? Ich weiß schon: Am Besten, sie gehen dorthin zurück, wo sie herkommen. Wirklich? Sind nicht gerade viele Leipziger vor gar nicht allzu langer Zeit selbst wegen politischer Verfolgung und Unterdrückung aus Ihrem Land in ein anderes geflohen? Und waren die nicht sehr froh darüber, eben nicht einfach so wieder zurückgeschickt zu werden? Haben nicht gerade viele von uns vor nicht allzu langer Zeit ihre Heimat verlassen um anderswo ihr Glück zu suchen? Und mussten sie auf dieser Suche nicht selbst zunächst auf Rechnung einer fremden Gemeinschaft beherbergt werden?

Wollen wir nun jene, die bei uns Schutz suchen allen Ernstes auch in Zukunft in eine verlassene Kaserne pferchen, in der ihnen nachts die Kakerlaken übers Gesicht laufen? Die in einer Gegend steht, in der sie von der Leipziger Freiheit nichts anderes als ein Gewerbegebiet, eine Ausfallstraße und einen Puff zu Gesicht bekommen? Und wollen wir uns dann allen Ernstes vor einem MDR-Mikrofon versammeln um über mangelnde Integration zu ningeln? Ist das das Land, das wir verkörpern wollen?

Ich schäme mich.
Dabei sollten die sich schämen!

Weiterführend:
Appell zur Unterstützung Asylsuchender in Leipzig

3 Gedanken zu „Leipziger Dummheit: Bürger gegen Asylbewerber“

  1. Ein sehr guter Artikel, danke. Auch wenn ich sagen muss, dass soviel Dummheit und Engstirnigkeit fast körperlich weh tut.

    Ich würde übrigens nicht darauf wetten, dass niemand von den in der Bürgerinitiative beteiligten Menschen jemals mit Asylbewerbern oder Asylanten Kontakt gehabt hat. Denn wer eine so abneigende Haltung hat, der kann durchaus auch mal irgendwo mit Asylbewerbern in Kontakt gekommen sein, vielleicht auch nur auf der Straße oder in der U-Bahn, aber solche Begegnungen würden seine Meinung überhaupt nicht ändern. Wie du schon geschrieben hast, diese Einstellungen vermitteln Sicherheit. Die machen die Welt überschaubar. Und wenn dann halt vielleicht ein Asylant (oder ein Mensch ausländischer Herkunft, das ist dem Vorurteilsbelasteten wohl in aller Regel egal) sogar noch besonders nett sein will, einer alten Dame Hilfe anbietet beispielsweise, dann ist der gleich aufdringlich, dann muss man Angst haben, der hält sich ja gar nicht zurück, kennt der keine Privatsphäre, der mischt sich in alles ein, wo kommen wir denn da hin … Wahrnehmung ist halt individuell. Man dreht sich Dinge oft so hin wie es einem passt. Leider.
    Und das alles macht mich noch viel trauriger. Weil es so, so verdammt schwer ist, Vorurteile auszuräumen. Weil nicht mal persönlicher Kontakt reichen muss. Und weil es deshalb noch so, so viele Leute gibt, die so denken, wie unsere lieben Mitbürger hier.

  2. Du hast vollkommen Recht, Laura. Was also tun? Ich war ehrlich gesagt ein bisschen verblüfft, dass der durchaus objektive Beitrag, den ich ja auch in meinen Text eingebunden habe, ausgerechnet bei “Hier ab vier” lief. Mein Eindruck ist, dass Sendungen wie diese – ich würde auch “Brisant”, “hallo Deutschland” und dergleichen in diese Kategorie sortieren – einen hohen Einfluss auf ihre Klientel haben. Mehr Berichterstattung aus Sicht der Asylbewerber könnte hier vielleicht etwas mehr Verständnis schaffen. So oder so: Es wird ein langer Weg, wie du schon sagst.

    Danke für Deinen Kommentar!

  3. Um ehrlich zu sein habe ich “Hier ab vier” noch nie gesehen, aber über “Brisant” und “hallo Deutschland” bin ich schon das ein oder andere Mal drüber gestolpert, also kann ich mir einigermaßen vorstellen, welche Kategorie Sendung du hier meinst.
    Ich stimme dir zu, dass diese objektive Berichterstattung durchaus etwas bewegen kann. Vor allem, weil eben nicht gewertet wird á la “ihr Rassisten”, sondern beide Meinungen absolut gleichbedeutend dargestellt wird, so dass Meinungsänderung auch möglich ist, ohne sein Gesicht zu verlieren. Das finde ich gut.
    Es ist ja auch schon einiges passiert auf dem Weg. Wie der Beitrag auch zeigt, muss halt auch noch einiges passieren. Und wie du sagst, das braucht Zeit. Aber solche Beiträge sind sicher ein guter Schritt auf dem Weg in die Toleranz, und das ist eigentlich schon sehr erfreulich.

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